Unterhaltung

Schwiegermamas "unheiliger" Liebling Sehr brav, der Graf

Alt-Gothic mit Kuschelfaktor: Der Graf.

Alt-Gothic mit Kuschelfaktor: Der Graf.

Die Musik von "Unheilig" ist ganz und gar nichts Neues - aber unheimlich erfolgreich. Altbewährte Gothic-Klänge, viel Pathos und ein Hauch von Schlager, so lautet die simple Mischung, mit der die Aachener Band derzeit die Charts stürmt. Ihr Aushängeschild: Der charismatische Frontmann "Der Graf".

Man muss nur wenige Bilder im Internet gesehen haben, um zu wissen, dass man Deutschlands neuesten Popstar eigentlich nicht treffen will. Der Graf ist glatzköpfig, hat eklige weiße Augen, schwarz lackierte Fingernägel und unter beiden Mundwinkeln einen Dreiecksbart. Dazu Dracula-Blick und satanisches Grinsen.

Mit mulmigem Gefühl betritt man ein abgewracktes Kölner Bürogebäude im Hinterhof. Von der Straße her nicht einsichtig. Werden hier schwarze Messen gefeiert? Es geht durch einen langen schmalen Gang. Eine Tür öffnet sich, dahinter ein hagerer Mann. "Ich habe einen Termin beim Grafen." - "Beim Grafen? Hahaha ... Kommen Sie mal mit!" Das erinnert doch sehr an Jonathan Harkers ersten Besuch auf einer gewissen transsylvanischen Immobilie. Der Typ deutet auf ein abgewetztes Sofa. "Setzen Sie sich. Der Graf kommt gleich."

"Herr Graf, wie geht's?"

Ein Blick auf das Handy: "Suche Netz". Nach wenigen Augenblicken schwere Schritte im Flur. Da ist er. Ziemlich groß, ziemlich kahl - und ziemlich sympathisch. Wie redet man ihn an? "Ich sag immer: Sagt einfach 'Herr Graf, wie geht's dir?'"

Der Herr Graf - er könnte Mitte 30 sein - hat noch immer diese komischen Bartdreiecke, trägt ein weißes Hemd und eine schwarze Krawatte. Sonst aber ist er im Vergleich zu den Internetfotos stark verändert. Die Augen sind nicht mehr weiß und die Nägel nicht mehr schwarz. "Vor vier Jahren hab ich aufgehört, mir die Finger zu lackieren", erzählt er. "Und diese gefärbten Kontaktlinsen tun auch weh, wenn man die sechs Stunden anhat. Es gibt natürlich Leute die sagen 'Ach ja, jetzt wird er kommerziell.' Aber es war nie meine Intention, nur Leute aus einer bestimmten Szene als Hörer zu haben."

Gemeint ist die Schwarze Szene, in der der Graf und seine Band "Unheilig" lange Jahre ein Geheimtipp waren. Damals trat er noch in Kutte auf. Aber langsam entstieg er der Subkultur, und dieses Jahr ging's Schlag auf Schlag. Sein Song "Geboren um zu leben" lief rauf und runter im Radio. Das Album "Große Freiheit" belegte in der ersten Woche Platz 1 der deutschen Hiptarade, steht mittlerweile seit 17 Wochen in den Charts und schaffte es in der aktuellen Hitliste wieder ganz nach oben - noch vor Grand-Prix-Siegerin Lena. Als nächstes ist er zu Gast bei Stefan Raab. Gebisse unter sich.

Was der Graf und Atze Schröder gemeinsam haben

Internetforen zufolge heißt der Graf im wahren Leben Bernd Heinrich Graf. Er will das nicht kommentieren. "Das ist einfach, um mein Privatleben da rauszuhalten, deshalb hab ich das Pseudonym. Atze Schröder heißt ja auch nicht Atze Schröder. Ich betreibe halt ein bisschen Geheimniskrämerei. Wie das Rumpelstilzchen - niemand weiß, wie ich heiß."

Er redet wie ein Wasserfall, und je mehr er erzählt, desto klarer wird: Dieser Graf beißt nicht. Er stottert höchstens ein bisschen. Als Kind war er extrem schüchtern, konnte niemandem in die Augen sehen, hat nur das Nötigste gesprochen. "So bin ich auch zur Musik gekommen. Da konnte ich klimpern auf meiner Orgel und brauchte nicht zu reden, und die Leute haben mir zugehört. Wenn ich jetzt auf der Bühne vor Menschen stehe, ist das ein innerer Sieg. Das ist eigentlich das Schönste, was die letzten Jahre passiert ist."

Seine Texte schreibt der Graf selbst. Sie handeln vom Meer und von der Freiheit und spielen stellenweise ins Grönemeyer-hafte. "Ich war immer ein extrem nachdenklicher Mensch und konnte das dann irgendwie in Texte packen. Warum, woher das kommt - weiß ich nicht."

Religiös und heimatverbunden

Schüchtern, nachdenklich, uneitel - woher dann das Fledermaus-Image? Konkret gefragt: Hat er was mit Satanismus zu tun? "Nein, auf gar keinen Fall", beteuert er und wirkt richtig erschrocken. Der Graf zahlt sogar Kirchensteuer. "Ich bete für mich selber, jeden Tag. Ich glaube auch an dieses klassische Paradies, wie es von der Kirche gepredigt wird. Aber ich konnte nie was mit den ganzen Geboten und Gesetzen anfangen. Und wer so denkt, ist in den Augen aller Religionen ein Unheiliger. Daher kommt der Name."

Der Erfolg ist ihm nicht zugefallen, er hat zehn Jahre dafür gearbeitet. Morgens um acht im Studio, mittags eben mit dem Hund raus. Die Familie und seine Eltern sind ihm wichtig. Und heimatverbunden ist er. "Ich bin in Aachen geboren, und da will ich auch bleiben."

Brav, der Graf. Unterm Strich bleibt der Eindruck eines cleveren Typen, der sich im richtigen Moment auf ein Mainstream-Publikum einstellt. Schwiegermütter werden ihn lieben.

Quelle: ntv.de, dpa

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