Unterhaltung

Russisches Ballett Siegeszug vor 100 Jahren

Fokin als Lucien d'Hervilly in Paquita, um 1905

Fokin als Lucien d'Hervilly in Paquita, um 1905

Vor 100 Jahren bescherte ein russisches Ensemble dem degenerierten europäischen Ballett eine wahre Blütezeit: Es entstand eine moderne Tanzsprache in Einheit mit neuer Musik und Bühnenbildern berühmter Künstler wie Lon Bakst und Picasso. Im vorrevolutionären Russland erfassten die politischen und sozialen Veränderungen auch die Kunstwelt mit voller Wucht. Der Tänzer und Choreograph Michail Fokin war es, der damals in St. Petersburg mit den von Marius Petipa bestimmten strengen Regeln des Tanzes brach und zu einem Wegbereiter des modernen Balletts wurde. Dank der Zusammenarbeit Fokins mit dem Kunstmanager Sergej Djagilew (1872- 1929) begann 1909 der weltweite Siegeszug des russischen Balletts.

"Etonne moi!" - "Verwundere mich!" - lautete Djagilews Credo und Arbeitsauftrag. Der Ballettimpresario organisierte am 19. Mai 1909 in Paris am Thtre du Chtelet erstmals seine "Russischen Saisons", um die Kunst seiner imperialen Heimat im Westen bekanntzumachen. Tänzer des Petersburger Mariinsky- und des Moskauer Bolschoi-Theaters, unter ihnen der legendäre Waslaw Nijinsky sowie die bravouröse Anna Pawlowa, begeisterten das Pariser Publikum. Djagilew und Fokin begriffen wie keiner vor ihnen das Ballett als Gesamtkunstwerk. Mit legendären Aufführungen wie "Les Sylphides" (1909) und zu Musik von Igor Strawinsky mit "Der Feuervogel" (1910) und "Petruschka" (1911) wurde der Grundstein für diese einzigartige Ballettrevolution gelegt.

Auch Fokins "Scheherazade" (1910) mit der orgiastischen Musik von Nikolai Rimski-Korsakow und das lyrische Ballett "Daphnis und Chloe" (1912) mit Tönen von Maurice Ravel standen am Anfang dieser neuen Epoche. Die Ballets Russes, bei denen Choreographen, Tänzer, Komponisten und Künstler als Bühnendesigner für die größte ästhetische Einheit zusammenarbeiteten, setzten Akzente - nicht nur in Europa, sondern auch in Amerika und in Asien. Etwa 20 Jahre dauerte diese Periode an, bis das Ensemble um Djagilew nach dessen Tod 1929 zerfiel und seine Mitstreiter eigenständig die Tradition fortsetzten und entwickelten.

Schöpferische Brüche

So erfolgreich die Ballets Russes zu Lebzeiten ihres Organisators auch waren, es kam immer wieder auch zu schöpferischen Brüchen. Eine erste Zäsur war es, als Fokin 1912 ging und Nijinsky sein Talent als Choreograph entdeckte. Der "Gott des Tanzes" entwarf ganz im Sinne Djagilews einen provokativen und revolutionären Tanzstil, der mit klassischen Sehgewohnheiten brach. So sorgte vor allem Nijinskys wild-erotische Choreographie zu Strawinskys "Le Sacre du Printemps" (1913) um männliche Fruchtbarkeitsrituale und Menschenopfer für Furore. Seine geometrisch-abstrakten Tanzfiguren prägten ganze Generationen.

Doch endete Nijinskys Arbeit bei den Ballets Russes abrupt, als er 1913 heiratete und der eifersüchtige Djagilew ihn feuerte. Später übernahm Djagilews Liebhaber Leonide Massine die Leitung der Compagnie.

Die Verbindung des glühenden russischen Zaristen Djagilew mit der westlichen Kunstwelt wurde zu jener Zeit immer intensiver. Künstler wie Henri Matisse, die Komponisten Erik Satie und Claude Debussy und die Modeschöpferin Coco Chanel arbeiteten für ihn. Djagilew selbst konnte wegen des Ersten Weltkrieges und der Oktoberrevolution nicht in seine Heimat zurückkehren, zumal danach die Ideologisierung der Kunst in der Sowjetunion einsetzte.

Ästhetische Revolution

Fünf Jahre vor seinem Tod nahm Djagilew 1924 George Balanchine in seine Dienste, der nach seiner Emigration aus Russland der letzte große Choreograph dieser Ära wurde. Balanchine schuf nach Einschätzung von Kritikern die "reinste Form des neoklassischen Balletts".

Djagilews Ballettensemble gilt heute nicht nur als Ursprung einer ästhetischen Revolution. Djagilew ist aus Sicht vieler auch Erfinder des modernen Tourneegeschäfts, das ohne staatliche Subventionen auskommen und sich nach dem Markt richten musste. Immer wieder gastierte die Compagnie auf Einladung der Grimaldis in den Wintermonaten in Monaco, wo sich besonders in den 1930ern alternde Tänzer zur Ruhe setzten. Das Ballett von Monte Carlo widmet den Ballets Russes daher in diesem Jubiläumsjahr die gesamte Spielzeit. Und in Moskau plant die Tretjakow-Galerie eine große Ausstellung über das Ensemble.

Quelle: ntv.de, Ulf Mauder, dpa

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen