20 Jahre Rollschuh-Spaß "Starlight Express" feiert
12.06.2008, 10:07 UhrDer Fahrtwind der 60 Stundenkilometer schnellen Rollschuhläufer weht durch die ersten Reihen. Beim Lied vom Kraft spendenden "Starlight Express" vergessen die Besucher in der Bochumer Halle Existenzängste und unsichere Jobs. Andrew Lloyd Webbers Rollschuh-Musical in der Ruhrgebietsstadt, das 1988 als finanzielles Wagnis und trotz vieler kritischer Stimmen startete, hat alle Flauten und eine Fast-Pleite überstanden und feiert am 12. Juni als erfolgreichstes Musical der Welt seinen 20. Geburtstag. Am 12. Juni 1988 war die Premiere über die neu errichtete Bühne gegangen. "Es läuft gut, und solange das so ist, wird weiter gespielt", sagt Pressesprecherin Nadine Villmann. "Wir wollen noch mal 20 Jahre."
20 Jahre lang sieben Mal pro Woche eine Halle mit fast 1700 Plätzen zu füllen das schafft nur eine simple Story, die wirkliche Bedürfnisse der Zuschauer bedient. Lloyd Webbers Werk über die Weltmeisterschaft der stolzen Lokomotiven und ihrer weiblichen Anhänger protzt in der Bochumer Produktion nicht nur mit wohl einmaliger Technik wie einer beweglichen Neun-Tonnen-Brücke über der großen Spielfläche und 250 Metern Rollschuhparcours mitten durch die Zuschauerplätze. Es spricht auch Zukunftsängste an, die viele Besucher - gerade im Ruhrgebiet quälen.
Auf die Nöte der nicht mehr ganz zeitgemäßen Dampflok Rusty, die von moderneren Konkurrenten nur noch verspottet wird, weiß das Musical dabei die typisch angelsächsische Antwort des unbeirrbaren Glaubens an sich selbst: "Du allein hast die Kraft in Dir", rät eine ältere Lok dem zweifelnden Protagonisten. Als Rusty im Sternenglanz sein Selbstbewusstsein wiederfindet, haben Macho Greaseball und die nagelneue Electra trotz High-Tech-Vorteils keine Chance mehr eine Seelenmassage im ICE-Tempo mit garantiertem Happy-End zu Laserlicht und 40.000-Watt-Musik.
Für Bochum, das erst kürzlich mit der Abwicklung des Nokia- Handywerks bundesweit Negativ-Schlagzeilen gemacht hat, garantiert das jährlich von rund 600 000 Menschen besuchte Musical weit mehr als verlässliche Übernachtungszahlen. Starlight Express ist zu einem bedeutenden Imageträger der Stadt geworden, wie Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz (SPD) betont.
Bochum als Kulturstadt mit Spitzentheater
Besucher aus ganz Deutschland und dem Ausland erlebten die Ruhrgebietsstadt einmal aus einer ganz anderen Perspektive: Nicht nur als Industriestandort mit großem Opel-Werk, sondern als Kulturstadt mit Spitzentheater und dem Musical in der eigens dafür errichteten Halle. Dass die Stadt 1988 dafür gut die Hälfte der Baukosten von 24 Millionen Euro auf den Tisch geblättert hat, war nur damals umstritten. "Das hat sich inzwischen vielfach rentiert", sagt Stadtsprecher Thomas Sprenger.
Die Schauspieler müssen für diesen Erfolg allerdings buchstäblich schwitzen. In ihren bis zu 18 Kilogramm schweren Zugkostümen verlieren sie Abend für Abend literweise Flüssigkeit. Stürze, Zerrungen und Knochenbrüche auf dem mit Epoxidharz überzogenen, spiegelglatten Boden kommen durchaus vor. "Nach den Doppelvorstellungen am Samstag und Sonntag ist es hier hinter der Bühne ziemlich still, dann sind alle kaputt", erzählt Villmann.
Trotzdem bewerben sich jedes Jahr mehr als 500 Darsteller - überwiegend aus englischsprachigen Ländern - für die Ein-Jahres-Engagements, bei denen ein Anfänger 2800 bis 3000 Euro brutto im Monat verdient. Im für die meisten Schauspieler fremden Bochum und angesichts der ungewöhnlichen Arbeitszeiten sind sich viele Darsteller auch privat näher gekommen: "Wir hatten in den 20 Jahren schon sieben Starlight-Babys", berichtet Pressesprecherin Villmann.
Von Rolf Schraa, dpa
Quelle: ntv.de