Unterhaltung

Endlich wieder Panik! Udo Lindenberg rockt Berlin

Udo - der Obervorturner der Bunten Republik Deutschland.

Udo - der Obervorturner der Bunten Republik Deutschland.

(Foto: imago/MITO)

Ich war wieder unterwegs in Sachen "Alte Männer auf der Bühne". Dieses Mal bei "Halli Hallo Hallöchen"- Udo Lindenberg. Der Greis ist heiß! Und bevor jetzt wieder einer meckert von wegen Altersdiskriminierung: Das ist ein Zitat.

"Alte Männer sind gefährlich, denn die Zukunft ist egal, alte Frauen sind begehrlich, denn es ist das letzte Mal", wird er irgendwann in dieser fantastischen Sommernacht ohne Regen singen. Und alle singen mit!

Jan Delay und Udo

Jan Delay und Udo

Udo Lindenberg beginnt pünktlich um 19.45 Uhr. Er hört um 23 Uhr auf. Ohne Pause. Udo ist ein Phänomen, der es schafft, das Kunststück zwischen 1a-Unterhaltung und das Rütteln am Gewissen der Gesellschaft unter einen - seinen - Hut zu bringen. Leider ist das Olympia-Stadion in Berlin nicht ausverkauft, wahrscheinlich packen alle die Koffer, denn ab heute sind Ferien. Das tut seiner guten Laune jedoch keinen Abbruch: Er schwebt in einer Art Vogelkäfig über das Stadion, und auf seinen dünnen Beinen, mit der Zigarre in der Hand und dem Hut auf dem restlichen Haar wirkt er tatsächlich wie ein komischer Vogel. Aber auch wie ein ganz besonderer, vom Aussterben bedrohter Vogel. Was Udo Lindenberg auf die Beine stellt in seiner zu Recht als Revue bezeichneten Show ist so ziemlich das Beste, was man in letzter Zeit auf einer Bühne sehen konnte. Meine Schwärmereien für Tom Jones, Herbert Grönemeyer und Charles Aznavour soll das nicht schmälern, sie alle haben ihre Berechtigung, aber was der 69-Jahre alte Mann aus dem Westfälischen da hinzaubert, ist eigentlich ohne Worte.

Nach einem Schlückchen Eierlikör zum Stimme-Ölen ("Ist ja noch früh am Morgen, yeah") legt er los, sein erster Gast ist Clueso, und zusammen stimmen sie das Cello und das Publikum darauf ein, dass da noch mehr kommen wird. Hier steht ein Vollblutmusiker auf der Bühne - und ein Vollblutmensch! Der Musiker stellt als erstes seine Band vor, treue Kumpane aus ganz frühen Zeiten, darunter natürlich Steffi Stephan, Jean-Jaques Kravetz, Bertram Engel und Jörg Sander. Der Mensch Udo kann nicht anders und muss zwischen den Songs immer wieder was sagen: Dinge, die raus müssen, Dinge die er teilen will, und Fragen wie: "Wozu sind die Scheiß-Kriege da?" Es kommt ein Kinderchor auf die Bühne, und wer bei dem Klassiker von 1981 keine Träne im Knopfloch verspürt, der hat kein Herz. Scheint im Falle von Udos Publikum nicht der Fall zu sein - Rührung allerorten.

Hinter dem Horizont immer weiter

Willkommen, everybody!

Willkommen, everybody!

(Foto: Sabine Oelmann)

Udo hat was gegen Nazi-Schweine, gegen ausländerfeindliche Parolen, er hasst Intoleranz. Er will es bunt! Nach einem Treffen mit der Boxsportlerin Susi Kentikian hat er einen Song für sie geschrieben, denn die junge Frau armenischer Abstammung floh mit ihrer Familie 1996 aus ihrer Heimat. Ihre Sicht der Dinge hat Udo mächtig beeindruckt, und nun beeindruckt er mit dem Song "Wir werden jetzt Freunde". Kaum einer kriegt die Zwischentöne so gut hin wie er, keiner schafft den Übergang zwischen echter Betroffenheit und grenzenlosem Spaß so perfekt wie er. Kritisiert man ihn für eine gewisse Oberflächlichkeit, das Leid anderer in seiner Show "auszunutzen", nuschelt Udo (wie im "Tagesspiegel"): "Die Leute stehen da, schwer geschockt, ergriffen und berührt. Aber dann sind sie auch motiviert und denken: Ich werde mich jetzt mal mehr darum kümmern, ich werde hier an einer Ecke - nennen wird das ruhig mal so - meines Weltgewissens gepackt. Ich lebe nicht nur in einem ziemlich friedlichen Deutschland, ich bin auch Planetenbürger. Die Welt geht mich an." Udo versteht es, die Dinge ins richtige Licht zu rücken.

Und den Zuschauer packt die Erkenntnis, schon wieder was gelernt zu haben, nämlich dass es einfach nur geil ist, wenn Musiker eine Message haben. Keine seelenlose Casting-Kacke, kein hohler Kommerz, sondern Zirkus Halligalli in Ideal-Besetzung, mit Spaß und Ernst und Freude und Freunden.

Apropos Freunde: Von denen hat der Udo ne Menge. Es kommen im Laufe des langen Abends Jan Delay, Adel Tawil, Bülent Ceylan, Eric Burdon, Max Herre, sein alter WG-Kumpel Otto Waalkes, Carl Carlton, Helge Schneider, der Tiger von Eschnapur Carola Kretschmer, Stefanie Heinzmann, sein Mädchen aus Ost-Berlin Josephine Busch (die im Musical"„Hinterm Horizont" die Hauptrolle spielt) und viele mehr. Sie tanzen, singen, verbiegen sich, fliegen, sind vom Mars oder von der Venus, sind schwarz, weiß, gelb und grün, und plötzlich ist er da, dieser Spirit, der vermittelt, dass alles möglich ist, wenn man es will.

Udo macht sein Ding

Dass eine Stadion-Show, mit fetterer LED-Leinwand als bei den Rolling Stones, mit besserem Sound als bei AC/DC und mehr Spaß als in jedem Blockbuster, funktioniert, ist ein kleines Wunder. Aber Udo kann ja auch mit Außerirdischen sprechen, er ist ein Marathon-Mann, der weiß, wie es hinter dem Horizont weiter geht, der Honky Tonky auf deutsch kann und der zwar mindestens fünf Mal das Jackett wechselt, aber kein einziges Mal den Hut absetzt.

Als er nach "Andrea Doria", "Sonderzug nach Pankow", "Ich lieb dich überhaupt nicht mehr", "Mein Ding" und fast allen Hits, die er in seiner über vierzigjährigen Karriere geschrieben hat, von Pagen aus seinem Hamburger Heimat-Hotel "Atlantic" von der Bühne eskortiert wird, ahnt man bereits, dass man diesen Abend nicht wieder so leicht aus dem Kopf kriegen wird.  

Wenn Sie die größte Party, die einem Stadion abgehen kann, mit einem endlos fitten, tanzenden, sprintenden Entertainer at his best auch noch sehen wollen, dann ab nach Frankfurt am Main. Am 18. Juli spielt Udo Lindenberg in der Commerzbank-Arena, es gibt noch Karten.  

Quelle: ntv.de

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