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Nicht so hübsch wie die Beatles Als die Stones ihre ersten Koffer kauften

Der Fotograf Gered Mankowitz begleitete die Rolling Stones auf ihrer USA-Tournee und gestaltete mehrere Albumcover.

Der Fotograf Gered Mankowitz begleitete die Rolling Stones auf ihrer USA-Tournee und gestaltete mehrere Albumcover.

(Foto: Gered Mankowitz)

Die 1960er - ein aufregendes Jahrzehnt. "Eine erstaunliche Zeit. Gott sei Dank war ich dabei", sagt Keith Richards. Als seine Band Rolling Stones die Welt eroberte, wurde sie von zwei Fotografen begleitet. Ihre Bilder sind zu sehen in "Breaking Stones 1963-1965".

Kürzlich machte in den sozialen Netzwerken ein Artikel aus dem FAZ-Feuilleton vom September 1965 die Runde, Überschrift: "Rollende Steine". Karl Korn beschreibt darin ein Münsteraner Konzert der ihm völlig unbekannten Rolling Stones. Fassungslos-verächtlich hält er fest: "Wem galt der Rausch? Fünf jungen Männern, die die Haare länger tragen als Mädchen und eine erbärmlich einfallslose Musik zum besten geben. Der Rhythmus soll auf junge Menschen so elementar wirken, daß es kein Halten gibt." Korn, Jahrgang 1908, war zu dem Zeitpunkt Mitte 50 und hatte offenbar die Verbindung zur jungen Generation komplett verloren: "Ganz gewiss ist das nicht die Jugend. Vielleicht ist es nur ein kleiner Bruchteil? Was wir sahen, war freilich massenhaft und beängstigend."

"Die Säle waren voll mit tobenden Kids und die Polizei hatte keine Ahnung, was sie machen sollte. Ein Anzeichen von Kreischen, ein Versuch aufzustehen, sofort rannten Polizei oder Security los."

"Die Säle waren voll mit tobenden Kids und die Polizei hatte keine Ahnung, was sie machen sollte. Ein Anzeichen von Kreischen, ein Versuch aufzustehen, sofort rannten Polizei oder Security los."

(Foto: Gered Mankowitz)

Der Text ist ein beredtes Zeugnis der Zeit, in der die "Beat-Manie" ausbrach und die "Beatlemania" vor allem die Mädchen erfasste, die sich bei den Konzerten der Beatles und eben der Rolling Stones die Kehlen wundschrien. In dieser Zeit, in den Jahren 1963 bis 1965, haben Terry O'Neill und Gered Mankowitz die Rolling Stones mit ihren Kameras begleitet. Diese Fotos aus der Anfangszeit der Band - sie hatte sich 1962 gegründet - sind zu sehen im Bildband "Breaking Stones 1963-1965: Eine Band auf der Schwelle zum Weltruhm". Die Bilder darin werden zum Teil erstmals abgedruckt und ergänzt durch viele Originalzitate und Presseartikel aus jener Zeit - was noch mehr in die besondere Atmosphäre Anfang der Sechzigerjahre eintauchen lässt.

"Eine Zeit heftiger gesellschaftlicher Umbrüche, angestoßen vom wachsenden Wohlstand der Nachkriegszeit und verstärkt durch jugendliche Renitenz. ... Soziale und religiöse Regeln zerbröselten. Die neuen Helden von Kunst, Film, Literatur und Musik kamen aus der Arbeiterklasse. Vor 1963 waren Jugendliche fügsam und tüchtig - nach 1963 waren sie nicht mehr zu ignorieren", schreibt Robin Morgan in der Einleitung. In dieser Zeit begann die Karriere der Stones, wie sie oft verkürzt genannt werden, und man sieht ihnen auf den Bildern jener Zeit die Arbeiterklasse auch noch an.

"Guck dir diese scharfen Jungs an"

Neue Koffer: die Rolling Stones in Soho, London im Januar 1964.

Neue Koffer: die Rolling Stones in Soho, London im Januar 1964.

(Foto: Terry O'Neill)

Sie tragen die damals angesagten Beatles-Boots, ähnlich wie Chelsea-Boots mit Mittelnaht und Absätzen, aber auf manchen Fotos sieht man: Die Schuhe sind abgewetzt, die ollen Pullover haben Knötchen, die Kleidung sieht oft eher billig aus. Das richtige Geldverdienen kam erst später. Und doch waren sie sehr stolz auf ihre Outfits: "Die Kerle, die da die Straße runtergehen, das sind wir: 'Ey, guck dir diese scharfen Jungs an.' Wir tragen alle Beatles-Boots. Sobald wir das erste Mal ernsthaft Bares verdient hatten, sind wir los und haben neue Gitarren und Beatles-Boots gekauft. Das war der Knaller. Das war das Ding. Du hast es geschafft! Ich kaufte mir diesen brandneuen Koffer. Es war der erste Koffer, den ich je besessen habe", so wird Keith Richards zitiert. (Die Koffer brauchten sie für Aufnahmen im Januar 1964 in den Straßen von Soho, London - sie sollten wie eine Arbeiterklasseband auf dem Weg in die nächste Stadt aussehen, heißt es im Buch.)

Vor dem Tin Pan Alley Club in London, 1963: Mick Jagger, Keith Richards, Bill Wyman, Brian Jones und Charlie Watts (v.l.)

Vor dem Tin Pan Alley Club in London, 1963: Mick Jagger, Keith Richards, Bill Wyman, Brian Jones und Charlie Watts (v.l.)

(Foto: Terry O'Neill)

Und auch Fotograf O'Neill, selbst kaum älter als die Band (er ist Jahrgang 1938), war voller Bewunderung: "Die Stones waren die Ersten, die sich cool kleideten. Sie erfanden ihren eigenen Stil." Doch nicht alle waren von ihrem Erscheinungsbild so begeistert, denn als O’Neill "die Stones-Fotografien an meinen Redakteur schickte, rastete er aus. 'Die sind hässlich! Besorg mir eine hübsche Band wie die Beatles'."

Erst will keine, dann wollen alle

Nun gut, die Rolling Stones wurden als der dreckige, wilde Gegenentwurf zu den als brav und sauber inszenierten Beatles verkauft und man sieht auf den Fotos deutlich Mick Jaggers schmutzige Fingernägel, aber die Mädchen hat das offenbar nicht gestört, sie fanden die Stones nicht hässlich, im Gegenteil: "Plötzlich stehst du da oben auf der Bühne und bevor du weißt, was los ist, werfen junge Frauen ihre Unterwäsche nach dir. Und ein Jahr vorher noch wollte keine mit dir ins Bett", erinnert sich Keith Richards.

Mick Jagger und Brian Jones in der Kantine eines Fernsehstudios, 1964.

Mick Jagger und Brian Jones in der Kantine eines Fernsehstudios, 1964.

(Foto: Terry O'Neill)

Dass man überhaupt auf den Aufnahmen den Dreck unter Jaggers Nägeln sieht, liegt auch daran, dass die Fotografen der Band unglaublich nahe kommen konnten; sie waren quasi immer und überall dabei. Sie durften mit zu den Fernsehshows, waren bei den Proben dabei und backstage - laut O'Neill war es in den frühen 1960ern nicht ungewöhnlich, so freien Zugang zu haben, völlig anders als heute, wo alles überkontrolliert sei.

"Und dann wackelte Mick mit dem Hintern"

Ganz im Gegensatz zu den Freiheiten, die das Publikum heute genießt im Vergleich zu jener Zeit - aufstehen, tanzen, schreien beim Konzert? Damals undenkbar; vor allem in den USA, was die Stones auf ihren US-Tourneen 1964 und 1965 zu spüren bekamen. Denn in vielen Städten dort war es Vorschrift, sitzen zu bleiben. Aus Angst vor einem Abbruch des Konzerts schrien die meisten Fans also von ihren Sitzplätzen aus.

"Breaking Stones" ist bei Emons erschienen. 240 Seiten, 200 Abbildungen, gebunden, 39,95 Euro.

"Breaking Stones" ist bei Emons erschienen. 240 Seiten, 200 Abbildungen, gebunden, 39,95 Euro.

(Foto: Emons Verlag)

Die Stimmung, den Aufruhr bei den US-Auftritten der Stones hielt Mankowitz fest, der sie bei ihrer Tournee 1965 begleitete - er selbst, 1946 geboren, war da also noch nicht einmal 20. Er erinnert sich: "Die Säle waren voll mit tobenden Kids und die Polizei hatte keine Ahnung, was sie machen sollte. Ein Anzeichen von Kreischen, ein Versuch aufzustehen, sofort rannten Polizei oder Security los. Wenn jemand auf die Bühne stürmen wollte, wurde die Show unterbrochen. Der Polizeichef oder Feuerwehrchef kam auf die Bühne und redete wie ein Schuldirektor auf das Publikum ein: "Wenn ihr nicht auf euren Sitzen bleibt, werden wir das Konzert abbrechen.' Und dann kam wieder Mick auf die Bühne und wackelte mit dem Hintern."

Heute sind die Stones über 70, aber sie touren noch immer und Mick wackelt immer noch mit dem Hintern. Wie übergroß sie einmal werden würden, konnte man in jenen Jahren noch nicht wissen, aber manch einer hatte schon so eine Ahnung, wie Reporter Norman Jopling im Mai 1963: "Es läuft nicht schlecht für diese R&B-Band, die den amerikanischen Sound besser zustande bringt als irgendeine andere Gruppe hierzulande – und die aller Wahrscheinlichkeit nach bald die führende R&B-Band Großbritanniens sein wird." In der Liste der 100 größten Musiker aller Zeiten der US-amerikanischen Musikzeitschrift "Rolling Stone" stehen sie heute auf Platz vier (hinter den Beatles, Bob Dylan und Elvis Presley). Im Bildband "Breaking Stones" kann man ihnen dabei zusehen, wie sie dazu wurden.

Terry O'Neill wurde 1938 in London geboren. Seine Karriere begann Anfang der 1960er - er fotografierte die Beatles und die Rolling Stones schon in ihren Anfangszeiten. Seitdem hatte er viele Prominente aus Politik, Gesellschaft und Popkultur vor der Kamera - etwa Winston Churchill, Nelson Mandela, Amy Winehouse, Frank Sinatra, David Bowie und James-Bond-Darsteller von Sean Connery bis Daniel Craig. O'Neill gehört heute zu den weltweit bedeutendsten Fotografen und arbeitet für viele große Magazine und Zeitungen. Seine Bilder finden sich auf Filmplakaten und Albumcovern und werden in der National Portrait Gallery in London ausgestellt.

Gered Mankowitz, geboren 1946 in London, verließ mit 15 Jahren die Schule ohne Abschluss. Schauspieler Peter Sellers brachte ihn auf die Fotografie; schon 1963 eröffnete Mankowitz sein erstes Studio in London. 1964 traf er Marianne Faithfull und Andrew Loog Oldham, der sie und die Rolling Stones managte. 1965 begleitete er die Stones auf ihrer US-Tournee. Er gestaltete auch einige ihrer Plattencover. In den Sechzigern wurde Mankowitz einer der führenden Rock-Fotografen Londons; seine Aufnahmen von Jimi Hendrix und The Jimi Hendrix Experience gehören zu seinen berühmtesten Arbeiten. Seine Bilder sind in Magazinen erschienen, wurden für Werbung verwendet und in Galerien weltweit ausgestellt. Er lehrt zudem am University College Falmouth in Cornwall.

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Quelle: ntv.de

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