Interview mit Abdallah al-Frangi "Arafat hat geweint wie ein Kind"
22.11.2011, 11:46 Uhr
Arafat und Rabin 1994 in Madrid.
(Foto: picture-alliance / dpa/dpaweb)
Abdallah al-Frangi war von 1993 bis 2006 palästinensischer Generaldelegierter in Deutschland. Sein Geburtsort ist Beersheba in der Negev-Wüste. 2007 wurde er von der Fatah, der größten Fraktion in der PLO, zum außenpolitischen Sprecher gewählt. Al-Frangi war Vertrauter von Jassir Arafat, dem ersten palästinensischen Präsidenten und Chef der PLO. Heute berät er Arafats Nachfolger Mahmut Abbas.
n-tv.de: Sie entstammen einer gutsituierten Familie. Sie hätten sich mit den Israelis arrangieren können, sind aber einen anderen Weg gegangen, als selbst Ihr Vater es wollte.
Abdallah al-Frangi: Die Israelis haben uns 1948 alles weggenommen, was wir hatten. Wir wurden von unserem Land vertrieben. Da waren wir all unseren Besitz los. Wir haben dann im Gazastreifen im Flüchtlingslager gelebt, genau wie die anderen Palästinenser.
Könnten Sie den Israelis das verzeihen?
Es geht nicht darum, den Israelis zu verzeihen, sondern darum, dass wir unsere Rechte ausüben und in Freiheit leben können. Wir haben Israel im Osloer Abkommen von 1993 anerkannt, obwohl die Israelis mehr Land in Anspruch genommen haben, als ihnen (laut Teilungsplan der UNO von 1947) zugestanden hätte, und obwohl die wichtigsten Fragen ausgeklammert wurden: das Flüchtlingsproblem, die Wasserversorgung, die Fragen der Sicherheit, der Grenzen und der Siedlungen. All diese Fragen sollten eigentlich bis spätestens 1998 gelöst werden, damit wir in zwei Staaten existieren können. Wir haben gute Erfahrungen mit einigen Israelis gemacht, die dazu bereit waren, mit Ministerpräsident Jitzhak Rabin und der Arbeiterpartei. Wir hatten viel erreicht zwischen dem Abkommen von Oslo und dem Tag als Rabin erschossen wurde, dem 4. November 1995. Wir waren auf dem richtigen Weg und hätten 1998 unseren Staat ausrufen können.
Wie hat die PLO auf den Mord an Rabin reagiert?
Lassen Sie mich eine Episode erzählen. Als die Nachricht eintraf, hielten wir uns, vielleicht 30, 35 Mann von der Führung der PLO, im Büro von Yassir Arafat auf. Arafat hat geweint wie ein Kind. Als er gefragt wurde, warum er weine, hat Arafat gesagt: weil ich meinen Gesprächspartner verloren habe.

Abdallah al-Frangi (M.), der damalige Innenminister Otto Schily (l.) und Jassir Arafat im Februar 1999 auf dem Petersberg bei Bonn.
(Foto: picture-alliance / dpa)
Und danach?
Arafat hat recht behalten. In Israel kam es zu einer neuen Entwicklung. An die Spitze gelangten immer mehr Politiker, die an "Eretz Israel" glauben, und die nicht mehr zu Kompromissen bereit sind. Wenn ein palästinensischer Staat entsteht, und für den sind ja auch die USA und Deutschland, dann wird es ein Staat sein in den Grenzen von 1967, also nur auf einem Viertel des ursprünglichen Palästina. Wir haben doch schon viel aufgegeben. Die Bereitschaft zu Versöhnung ist bei uns größer als bei den Israelis.
Wie soll es praktisch weitergehen, jetzt, nachdem Sie die Aufnahme in die UNO beantrag haben und Mitglied der Unesco geworden sind? Besteht nicht die Gefahr, dass es auf palästinensischer Seite zu einer Radikalisierung kommt, wenn eine politische Lösung ausbleibt?
Erstens mussten wir die UNO-Mitgliedschaft beantragen, weil immer klarer wurde, dass sich das Nahost-Quartett (UNO, EU, USA und Russland) nicht weiter für eine Lösung einsetzen würde. Zweitens haben wir uns an die Versöhnung von Fatah und Hamas gemacht, damit die Palästinenser mit einer Stimme sprechen.
Ist die Einheit erreicht?
Wir sind dabei, sie zu erreichen. Es ist nicht leicht. Wir müssen dafür kämpfen, hart arbeiten. Dass die Einheit bislang nicht zustande gekommen ist, hängt nicht von den Palästinensern ab, sondern auch von äußeren Einflüssen. Es gibt Einflussnahme von hier und von dort, auf beiden Seiten. Deshalb wollen wir direkt mit der Hamas sprechen. Es wird bald zu einem Treffen von Präsident Abbas mit Hamas-Chef Chalid Maschal kommen.
Maschal, der in Syrien lebt?
Ja, aber er kommt nach Kairo. Und drittens hilft der "arabische Frühling", das Verständnis für unsere Probleme in Europa zu erhöhen. Wenn die israelische Regierung so weitermacht wie bisher, wird es irgendwann auch einmal zu einem "israelischen Frühling" kommen.
Wie bewerten Sie den "arabischen Frühling"?
Das ist von Land zu Land unterschiedlich. Gemeinsam ist diesem Aufstand, dass die Bevölkerungen sich nicht mehr von Diktaturen regieren lassen wollen, dass sie in Freiheit leben. Das wird auch dazu führen, dass die arabischen Völker enger zusammenzurücken und schneller zu gemeinsamen Lösungen finden.
In Ihrem Buch sprechen Sie sich lobend über die Bundesrepublik Deutschland aus, in der Sie ja auch studiert haben. Wie bewerten Sie die Politik Deutschlands gegenüber Palästina heute?
Früher haben die deutschen Regierungen, gleich welcher Parteien, unsere Forderung nach Selbstbestimmung unterstützt. Wir haben Hilfe bei der Entwicklung unserer Infrastruktur erhalten. Frau Merkel, obwohl sie hier und dort mal Kritik an Netanjahu übt, geht nicht soweit, wie wir Palästinenser uns das wünschen. Obwohl sie uns zugesteht, dass wir über die Voraussetzungen verfügen für einen eigenen Staat - sie hat ja auch unseren Ministerpräsidenten Salam Fayad gelobt -, hat Deutschland sich, noch bevor die Palästinenser den Aufnahmeantrag gestellt hatten, wie die USA und Israel dagegen festgelegt. Das ist für uns Palästinenser enttäuschend. Das hat auch zu einer gespaltenen Haltung Europas geführt. Das ist nicht günstig für den Friedensprozess und für die Stellung Deutschlands in der Region.
In Deutschland herrscht Furcht vor einer iranischen Atombombe. Das sunnitische Saudi-Arabien fürchtet sich vor einer schiitischen Atombombe.
Es gibt keine schiitische oder sunnitische Atombombe, sondern eine Atombombe, die vernichtet. Das sind die Bilder von Hiroshima, welche die Menschheit nicht vergessen wird. Wir alle in der Region sind gegen Atomwaffen, egal, in wessen Händen sie sich befinden. Wenn wir über das Problem sprechen, müssen wir auch von denen reden, die schon Atombomben haben. Israeldarf nicht ausgeklammert werden. Während des Oktoberkriegs 1973, als Israel vom Sinai zurückgedrängt wurde, hat (Israels damaliger Verteidigungsminister Mosche) Dajan darüber nachgedacht, die Bombe gegen Ägypten einzusetzen. Der Nahe Osten muss nach dem Willen aller Araber frei sein von Atomwaffen. Dann gibt es keinen Grund für den Iran, dann wären Saddam Hussein oder Gaddafi nicht auf die Idee gekommen, gegenüber Israel ein Gleichgewicht herzustellen zu wollen.
Mit Abdallah al-Frangi sprach Manfred Bleskin
Quelle: ntv.de