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Live in concert, semilive und Studio Der Meister Bob Dylan

Es ist schon eine komplizierte Dialektik: Man ist beglückt, wieder einem Konzert des Meisters gelauscht zu haben und geht einigermaßen nachdenklich nach Hause. Wieso, weshalb, warum? Mister Zimmerman hat bei seinem Konzert am vergangenen Mittwoch in Berlin einmal mehr sein Ego bedient. Alle waren froh. Nur: So recht wollte kein Glücksgefühl aufkommen. Manche Stücke erkannte man erst dann, wenn die Schlüsseltextzeile auftauchte. "You Ain't Goin' Nowhere" reüssierte bis dahin als - gleichwohl - wundervoller Countrysong; "When I Paint My Masterpiece" schwabbelte als Hymne durch den Saal, bis dass die erlösenden Worte vom gemalten Meisterstück erklangen. Der Frühklassiker "Highway 61 Revisited" war bis zur Unkenntlichkeit verhackstückt. Man kannte die irrsinnige Geschichte von Abraham, der seinen Sohn Isaak töten sollte, aber man erkannte den Song erst in dem Moment, als erwähnter Highway erwähnt wurde. Man kann ihn verstehen: Seit gut 40 Jahren wollen die Konzertgänger die Songs eines der größten Songschreiber des 20. Jahrhunderts immer wieder so hören, wie sie sie von ihren Platten kennen. Das wiederum kann den Autor nicht befriedigen, der zeigen will, dass in seinen Liedern mehr steckt als bei der ursprünglichen Plattenaufnahme. So werden die Fans wohl beim nächsten Mal wieder eine noch andere Facette ihrer Lieblingssongs zu hören bekommen.

Es gibt aber Alternativen, von denen auch der Verfasser dieser Zeilen Gebrauch gemacht hat. Seit kurzem sind remasterte CDs des Doppelalbums "The Basement Tapes" (1975) und der LP "New Morning" aus 1970 auf dem Markt. Die "Kellerbänder" hatte Dylan 1967 bei Jamsessions während seiner Rekonvaleszenz nach einem Motorradunfall mit seiner 66er Begleitband aufgenommen, die später unter dem Namen The Band Furore machte. Dylan singt 16 der insgesamt 24 Tracks des ursprünglich nur als Bootleg erhältlichen Werks: rohe, ungeschliffene Songs. Gleichwohl ist "You Ain't Goin' Nowhere" hier beim ersten Ton erkennbar. Gleiches gilt für "This Wheel's On Fire" oder "Nothing Was Delivered". Alle drei Songs übrigens wurden kongenial von den seligen Byrds gecovert. In Klammern gesagt und bei allem Respekt: Den Drive eines Roger McGuinn hat Dylan nie erreicht.

Die meisten Songs stammen aus Dylans begnadeter Feder. Toll das Arrangement der Band für den Traditional "Ain't No More Cane", bei dem Drummer Levon Helm den Leadgesang übernommen hat. Das gab einen Vorgeschmack auf spätere Songs von The Band wie "Up on Cripple Creek". Der Begriff "erdig" für diese Art Musik mag abgegriffen sein, auf Helm wie auf Robbie Robertson, den anderen Sänger von The Band, trifft er zu.

"New Morning" ist ein stilistisch buntes Album, auf dem Dylan mit mehreren Songs Rockgeschichte geschrieben hat: "If Not For You", den erste Track, hat er mit seinem Freund George Harrison in dessen "Concert For Bangladesh" gesungen. Der einstige Leadgitarrist der Beatles hat das Lied auch auf seinem 1970er Studioalbum "All Things Must Pass" nachgespielt; es gibt sogar eine Version von der australischen Popsängerin Olivia Newton-John, die "Down Under" zum Erfolg wurde. "Father Of Night" ist eine - eigentlich recht respektvolle - Ode an Gott, die Manfred Mann's Earth Band später zu einer Hymne verpoppte, die leider nicht so gelang wie die frühen Coverversionen von Dylansongs der Vorgängertruppe Manfred Mann; als da wären "Just Like A Woman", "The Mighty Quinn" oder "If You Gotta Go, Go Now".

Summa summarum sind beide Alben ein weiterer Beweis: Ohne Dylan - und ein paar andere, sicher - wäre die zeitgenössische Populärmusik armselig. Deswegen sind die beiden CDs und auch das nächste Dylankonzert in Berlin ein Muss.

Bob Dylan: "The Basement Tapes", 2CD, Columbia Sony
Bob Dylan: "New Morning", CD, Columbia Sony

Quelle: ntv.de

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