Genossen unter sich Ein Blick in die Welt der Margot Honecker
02.05.2012, 11:30 Uhr
Margot Honecker im September 2011 in Chile.
(Foto: picture alliance / dpa)
Fast 30 Jahre lang ist Margot Honecker Ministerin für Volksbildung der DDR. Sie führt den umstrittenen "Wehrkundeunterricht" ein und sorgt für die Drangsalierung christlich engagierter Schüler. Sich selbst sieht sie in der Rückschau als erfolgreiche und weitsichtige Akteurin. Kritik ist nicht nur unerwünscht, sondern auch unnötig. Vor allem in ihrem Buch.
Gerade ist Margot Honecker 85 Jahre alt geworden. In einem Fernsehinterview konnte man sie jüngst als rüstige ältere Dame sehen, deren wesentliche Überzeugungen sich nicht geändert haben. Jahrelang schwieg sie im chilenischen Exil. Das scheint sich nun zu ändern. Denn sie hat nicht nur das Fernsehinterview gegeben, sondern sich auch dem ostdeutschen Publizisten Frank Schumann für ein Interviewbuch "Zur Volksbildung" zur Verfügung gestellt.
Das 220-Seiten-Buch ist im Verlag Das Neue Berlin erschienen und weit mehr als etwas Lesestoff über das Bildungssystem der DDR. Honecker ergreift die Gelegenheit, vieles von dem zu sagen, was sie möglicherweise in den vergangenen Jahren hätte sagen wollen. Und ihr Gesprächspartner Schumann ist dafür ein dankbares Gegenüber, denn Widerspruch hat er sich nicht unbedingt auf seine Fahne geschrieben.
Im Gespräch mit n-tv.de betont Schumann, dass es ihm nicht schwer gefallen sei, mit Honecker ins Gespräch zu kommen. "Es gab kein Eis, das gebrochen werden musste, schließlich haben wir jahrzehntelang der gleichen Partei angehört. Der Stallgeruch verliert sich nicht." Schumanns Intention war es, Honecker Raum für ihre Sicht der Dinge zu geben. "Es ist ein Gespräch, das dokumentiert, wie sie bestimmte Dinge heute bewertet."
Unerschütterliches Weltbild
So geht es um die Beantwortung der Frage: Wie wird man Ministerin? Honecker beschreibt ihre soziale Herkunft, den Weg über die Parteibildungseinrichtungen bis ins Ministeramt. Hier ist noch etwas zu ahnen von der jungen Frau, die, aus einfachen Verhältnissen kommend, eigentlich Lehrerin werden will. Es wird allerdings auch schnell deutlich, warum die frühere First Lady der DDR vielen als gnadenlos und dogmatisch in Erinnerung geblieben ist.
Denn Honecker lässt keinen Zweifel an ihren Überzeugungen. Sie bedauert, dass es nicht gelungen sei, dem "Gegner hinreichend Widerstand entgegenzusetzen", und verteidigt auch zwanzig Jahre nach ihrem die DDR als das bessere Deutschland. An ihren Fehlern ist die DDR nach Honeckers Ansicht jedenfalls nicht zugrunde gegangen, vielmehr wurden die Weichen für den Untergang der DDR in Moskau und Washington gestellt. Da "liefen schon jahrelang Prozesse im Hintergrund - hinter unserem Rücken und über unsere Köpfe hinweg". Alles andere bleibt einer späteren Analyse vorbehalten.
Kritik ist unangebracht
Geht es um den Kern des DDR-Bildungssystems, also das Bildungsziel, "allseitig und harmonisch entwickelte sozialistische Persönlichkeiten" heranzubilden, verlegt sich Honecker auf eine Doppelstrategie. Kritik ist "Verunglimpfung der DDR", und zu den jetzigen Verhältnissen lässt sich auch eine Menge Kritisches anmerken. Zweifel oder Nachdenklichkeit findet der Leser hier nicht. Honecker wischt die "Unzulänglichkeiten und Ärgernisse" vom Tisch.
Honecker betont, die DDR-Schule habe ein humanistisches Menschheitsideal vermittelt. "Sinn der Volksbildung war nicht, Gegner des Sozialismus oder desinteressierte Mitläufer zu erziehen." Von Zwängen, militarisierter Erziehung und verweigerten Bildungschancen will sie nichts wissen. Das sind, so scheint es, die Kollateralschäden des revolutionären Weltprozesses. "Nirgendwo gibt es einen Staat, in dem die Bürger mit allem einverstanden sind, was ihnen der Staat vorschreibt."
Kein Zorn, keine Nostalgie
Schumann hat seine Gesprächspartnerin im September 2011 fünf Tage in Chile besucht. Er beschreibt, dass Honecker täglich vier bis fünf Stunden im Internet deutsche Zeitungen und Nachrichtenangebote lese. "Dass sie mit dem Kopf mehr in Deutschland lebt, das teilt sich schon mit", so Schumann. Der Alltag der 85-Jährigen verläuft unspektakulär, vereinsamt ist Margot Honecker aber nicht. Sie habe einen großen Freundes- und Bekanntenkreis und natürlich die Familie. Nach 20 Jahren des Exils spreche Honecker Spanisch, sie erledige ihre Einkäufe und lese viel.
"Sie ist weder zornig noch nachtragend oder nostalgisch", sagt Schumann. Margot Honecker sei in keiner Weise rückwärtsgewandt. Wichtiger sei ihr, dass die Erfahrungen aus der DDR, "die Guten wie die Schlechten", für die "Auseinandersetzungen in der Gegenwart und in der Zukunft" genutzt werden. Man kann es auch so sehen: Margot Honeckers Weltbild hat sich nicht verändert. Schumann sagt, Honecker sei sich treu geblieben. "Dem Leser steht es frei, wie er damit umgeht. Es sind unterschiedliche Interpretationen möglich."
Quelle: ntv.de