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"Feigen in Detroit" Fatimas Tausendundeine Nacht

Um Früchte zu tragen, muss der Feigenbaum Wurzeln schlagen.

Um Früchte zu tragen, muss der Feigenbaum Wurzeln schlagen.

Fatima weiß, wann ihre Zeit abgelaufen ist: in neun Tagen, wenn die magische Scheherazade sie zum 1001. Mal besucht. Dabei muss die 85-Jährige noch eine Frau für ihren schwulen Enkel finden. Und wer soll das Haus erben? Dass Alia Yunis' Roman ein Bestseller ist, ist keine Magie.

Das Leben in Amerika könnte so viel einfacher sein, findet Fatima Abdullah. Hätten die Araber, als sie 800 Jahre lang in Spanien waren, den Spaniern Arabisch beigebracht, hätten diese es später den Mexikanern beibringen können und Fatimas Unterhaltungen in den Bussen von Los Angeles wären nicht so eintönig. Und in der alten Heimat im Libanon müsste sie sich auch nicht mit so entsetzlichen Wörtern herumschlagen, wie dem Lieblingsausdruck ihres Lieblingsenkels: Schwul. So einen Unfug gibt es dort einfach nicht.

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Vor 992 Tagen ist Fatima Abdullah von Detroit zu ihrem Enkel Amir nach L.A. gezogen und seither kommt Scheherazade sie Nacht für Nacht besuchen und will zur Abwechslung keine Geschichten erzählen, sondern ihre, Fatimas, hören. Tausendundeine Nacht hat die schöne Prinzessin der alten Dame Zeit gegeben, um ihr Leben Revue passieren zu lassen. Neun Tage sind nun übrig, aber es ist noch jede Menge zu tun. Zwar hat Fatima Mr. Kim von der Reinigung bereits ihre genauen Anweisungen für die Beerdigung diktiert, aber noch muss sie eine Frau für Amir finden. Und entscheiden, welches ihrer acht Kinder das Haus im Libanon erben soll. So kreisen ihre Geschichten nur um die unerledigten Dinge und nicht, wie von Scheherazade erhofft, um pikante Details aus den beiden Ehen, die Fatima hinter sich hat.

Auch wenn Scheherazade mit den Erzählungen unzufrieden ist, so ist die magische Gestalt doch die beste Gefährtin für Fatima, deren Kinder über die ganze USA verteilt sind und deren Anrufe sich nur noch ums Wetter und nicht mehr um die wahren Sorgen und Nöte drehen. So ist es an Scheherazade, die für die anderen nur in den Selbstgesprächen der alten Frau sichtbar wird, sich auf ihren Teppich zu schwingen und nach dem Rechten zu schauen. Nach Amir, der von einer Karriere als Schauspieler träumt, aber immer nur Terroristenrollen ergattert und damit das FBI auf sich aufmerksam macht. Nach Ibrahim, dem verlassenen Ehemann, der Fatima nie seine Liebe gestehen konnte. Und nach den anderen Kindern und Enkeln, die gegen Krebs ankämpfen, gegen Teenager-Schwangerschaften oder dagegen, dass ihre texanischen Nachbarn herausfinden, dass sie Araber sind. Sehnsucht nach dem Haus im Libanon hat keiner mehr. Kein Wunder, dass der Feigenbaum in Amirs Garten, den Fatima mitgebracht hat, keine Früchte trägt.

Eine ganz normale Familie

"Feigen in Detroit" gibt einen warmherzigen Einblick in das Leben einer arabisch-amerikanischen Familie mit all ihren Vorzügen und Fehlern. Alia Yunis Charaktere durchleben den ganz normalen Wahnsinn einer Familie, die sich über die Jahre und Entfernungen auseinandergelebt hat. Zudem zeigt der Roman humorvoll auf, was es nach dem 11. September 2001 bedeutet, als Araber in den USA zu leben.

Hinter dem Humor und der Ironie verstecke sich keine Wut, versichert Alia Yunis im Gespräch mit n-tv.de. "Aber ich sehe die Absurdität der Vorurteile, den engen Horizont, den die Leute haben und diese Dinge gehen manchmal zu weit." Früher habe es in den USA kein öffentliches Bewusstsein für Moslems gegeben. Der 11. September 2001 habe jedoch jeden Araber zum "Boogeyman" zum "Schwarzen Mann" Nummer Eins gemacht. Gleichzeitig hätten sich sowohl der Islam als auch das Christentum verändert, viele Menschen seien deutlich religiöser, zum Teil auch fundamentalistischer als früher, was sie als Amerikanerin verstöre.

Mit Humor gegen Vorurteile: Alia Yunis

Mit Humor gegen Vorurteile: Alia Yunis

Sie selbst fühle sich zunehmend verpflichtet zu sagen, dass sie Muslimin sei, weil die Menschen mittlerweile nur noch Osama bin Laden oder Frauen in einer Burka vor Augen hätten: "Ich bin aber definitiv nicht Osama bin Laden." Auch deshalb habe sie ein Buch über arabische Amerikaner schreiben wollen. "Aber zum Schluss ging es immer mehr um die Charaktere. Sie sind echte Menschen, mit echten Problemen, die nebenbei zufällig auch arabisch sind."

Kein Erfolg über Nacht

"Feigen in Detroit" ist Alia Yunis erster Roman. Das Buch hat es in den USA auf Anhieb in die Bestseller-Listen geschafft und wurde auf Norwegisch und Deutsch übersetzt, Französisch folgt demnächst. Die Lobeshymnen in den USA und im Mittleren Osten, wo das Buch auf Englisch erhältlich ist, nimmt die Autorin, die noch kleiner und zierlicher ist, als sie auf dem Umschlagfoto wirkt, gelassen entgegen. Für sie fühle es sich nicht so an, als ob der Erfolg über Nacht gekommen sei. Schließlich habe sie schon jahrelang als Drehbuchautorin gearbeitet.

Auch die vielen Lesereisen, machen der Kosmopolitin, die in Chicago geboren wurde, in den USA, Griechenland und in Beirut aufgewachsen ist, lange in Los Angeles arbeitete und jetzt seit zweieinhalb Jahren in Abu Dhabi an der Zayed-Universität Film lehrt, wenig aus. Heimweh kennt sie nicht. Für sie mache die Person, die auf sie warte, das Heimatgefühl aus. So sei Jordanien eine Heimat, weil ihre Mutter dort lebe und Virginia in den USA, wo ihr Bruder lebe, eine andere. Im Grunde sei ihre ganze Familie mit den zahlreichen Cousins und Cousinen weltweit verstreut. Auch deshalb erinnere sie das Buch an ihre eigene Familie, auch wenn sie niemanden bewusst portraitiert habe. Die meisten Reaktionen habe sie ebenfalls von Lesern erhalten, deren Familien ebenfalls weit entfernt voneinander leben – und nicht mal unbedingt aus der arabisch-amerikanischen Gemeinschaft.

In der Tat können sich in ihrer Erzählung nicht nur Leser mit eigenen Migrationswurzeln – ob arabisch oder nicht - wiederfinden, sondern im Grunde jeder, dessen Familie sich im Alltag aus den Augen verloren hat. "Feigen in Detroit" ist ein federleichter, witziger Roman, der an den richtigen Stellen die immer noch aktuellen Spitzen über das Zusammenleben von Christen und Muslimen nicht vergisst – sie aber in liebevoller Ironie abmildert. Und der sich so schnell und flüssig liest, dass man die Drehbuchschule merkt, durch die Yunis gegangen ist. Ob sie den Roman eines Tages gerne zum Drehbuch umschreiben würde? "Nein, danke!", kichert Alia Yunis mit ihrer hellen, amerikanischen Stimme. Aber jeder, der daran Interesse habe, könne sich gerne an ihre Agentin wenden. Dann kramt sie ihren Taschenspiegel hervor, um sich vor der Lesung noch mal die Lippen nachzuziehen und rasch die bestickten Tunika über Leggings und Stiefel geradezuziehen – kleine Schönheitskontrolle à la Scheherazade. Arabisch-Amerikanisch. In der Tat.

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Quelle: ntv.de

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