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Zwischen Schein und Wirklichkeit Japans Geschäftskultur

Sie werden zuweilen als die Preußen Asiens bezeichnet, die Bewohner der Inseln Hokkaido, Honshu, Shikoku und Kyushu. Aber legen die Japaner tatsächlich großen Wert auf klirrende Militär-Ästhetik, schwelgerische Heldengeschichten und unbedingten Kadavergehorsam, oder handelt es sich bei dieser Etikettierung um eine der üblichen, einem unausrottbaren Eurozentrismus geschuldeten Simplifizierungen? Nach der Lektüre der überaus anregenden und informativen Abhandlung über die japanische Geschäftskultur von Urs Schöttli wird man wohl kaum umhinkommen, letzteres zu bejahen. Schöttli, der als Korrespondent für die "Neue Zürcher Zeitung" von Tokio aus berichtet, kann als einer der profiliertesten Asien-Journalisten im deutschsprachigen Raum gelten. Bei seinen Artikeln handelt es sich nie um subjektiv gefärbte Impressionen und Bewertungen, sondern stets um sachliche Einordnungen mit einem geradezu wissenschaftlichen Anspruch.

Mit vereinten Kräften gegen die Natur

Ausgangspunkt seiner Erkundungen ist eine Spurensuche nach den Wurzeln des japanischen "Nationalcharakters", den Schöttli in überzeugender Manier auf die außergewöhnlichen geografischen und klimatischen Bedingungen des Landes zurückführt. In Anbetracht eines knappen und rohstoffarmen Bodens sowie angesichts periodischer Naturkatastrophen in Form von Erdbeben und Taifunen bleibe den Japaner gar nichts anderes übrig, als durch Höflichkeit, Sauberkeit und Selbstdisziplin ihre Kräfte zu bündeln. Nur so lasse sich der unbändigen Macht der Natur etwas entgegen setzen. Mit dem deutschen Hang zur Subordination hat dies alles jedenfalls nichts zu tun. Bedenkt man, dass wirtschaftliches Handeln prinzipiell im Kontext der jeweiligen sozio-kulturellen Rahmenbedingungen zu sehen ist, dürfte es kaum überraschen, dass sich die japanischen Eigenheiten auch im Wirtschaftsleben aufspüren lassen. Vor einer derartigen Unternehmung sollte man sich, so Schöttli, jedoch hinreichend bewusst machen, dass die Japaner durchaus viele Anregungen vom asiatischen Kontinent übernommen haben, aber in ihrem unzugänglichen Inselstaat ein einzigartiges Zivilisationsmodell errichtet haben. Dies beginnt mit einem auf grazile Verfeinerungen abzielenden Ästhetikempfinden und hört mit einem an Kriterien der Eleganz gemessenen Sozialverhalten auf.

Umso verwirrender muss es auf den Beobachter wirken, dass die Japaner einerseits subtile Veredelungen schätzen, andererseits aber ein verblüffendes Talent offenbaren, wenn es darum geht, äußere Einflüsse aufzunehmen und ihren Belangen anzupassen. Für Schöttli ist dieser Widerspruch nur ein scheinbarer. Denn die im Zuge der Meji-Reformen des Jahres 1868 vorgenommene Übernahme von westlichen Institutionen und Verfahren diente allein dem Zweck, dem Schicksal der Kolonisierung zu entgehen. Im Übrigen ist hiermit auch eine plausible Erklärung für die Fundamente des japanischen Adaptions-Modells gefunden, bei dem westliche Technologien aufgegriffen und konsequent zur Perfektion geführt wurden.

Flexibel und der Tradition verpflichtet


Allerdings sollte diese Flexibilität nicht darüber hinwegtäuschen, dass die japanischen Mentalitäten und Wertevorstellungen im Kern weiterhin intakt sind. Das Wissen um die Fähigkeit der Japaner, parallel in verschiedenen Welten – einer ultramodernen und einer zutiefst traditionellen – leben zu können, stellt für den Autor die wichtigste Lektion dar, die es bei einem geschäftlichen Engagement in Japan zu lernen gilt. Aus dieser Doppelgesichtigkeit leiten sich all die missverständlichen Verhaltenscodes ab, die ein erfolgreiches wirtschaftliches Agieren in Japan so schwierig machen.

Im Speziellen gilt es, das japanische Maskenspiel, das Changieren zwischen Schein und Wirklichkeit zu durchschauen: So sind Seilschaften mit zahllosen Hierarchiestufen in fast allen Gesellschaftsbereichen anzutreffen. Gleichzeitig werden die Machtunterschiede aber nicht offensiv zur Schau gestellt, da dergleichen als parvenühafte Egozentrik gilt. Bescheidenheit, Selbstbeschränkung und Genügsamkeit gelten als zentrale Tugenden in einem Land, das sich als Mittelstandsgesellschaft versteht. Soziale Rangunterschiede werden so weit wie möglich verdeckt. "Gesicht geben" ist hingegen die wichtigste soziale Verhaltensregel in Japan.

Beziehungen für immer

Für ein Spezifikum hält Schöttli auch die absolute Dienstleistungsmentalität, die sich aus dem hohen Stellenwert der Pflichterfüllung in der japanischen Sozialethik herleitet: Alle Interaktionen werden von wechselseitigen Pflichtverhältnissen bestimmt, aus denen sich weit gespannte Loyalitätsnetzwerke ergeben. Diese Loyalitätsbande gehen – im Gegensatz zu China! – weit über den eigenen Clan hinaus und finden vor allem in einer ausgeprägten Firmenloyalität ihren Niederschlag. Man nimmt nicht nur eine Stelle an, man wird Teil einer Familie. Die Identifikation beschränkt sich jedoch nicht nur auf das eigene Unternehmen; auch den Geschäftspartnern, ja selbst den Kunden fühlt man sich verpflichtet.

Ein wesentlicher Eckpfeiler der japanischen Geschäftskultur ist dabei die Orientierung auf langfristige Beziehungsgeflechte, weshalb ein Abbruch um des kurzfristigen Vorteils willen tabu sein sollte. Dieses normative Organisationsprinzip ist zwar globalisierungsbedingt unter Druck geraten, bleibt aber weiterhin der Referenzpunkt wirtschaftlicher Aktivitäten. Investoren sollten daher möglichst intensive Kooperationsbeziehungen mit ihren Geschäftspartnern anstreben und zwar im Wissen darum, dass die Japaner ein feines Sensorium für austariertes Geben und Nehmen besitzen.

Ehrlichkeit ist Trumpf

Zudem sollten sie bedenken, dass in Nippon andere Rechtsnormen vorherrschen, bei denen stets eine außergerichtliche Einigung gesucht wird und übermäßiges vertragliches Kodifizieren als Misstrauensausweis gilt. Auch muss dem beinahe fanatischen Qualitätsbewusstsein der Japaner Rechnung getragen werden. Mit Billigangeboten wird man folglich kaum reüssieren. Grundsätzlich sind ethische Erwägungen auch im operativen Geschäft von entscheidender Relevanz: Bei etwaigen Versäumnissen sollte ein Unternehmen immer die Schuld auf sich nehmen und Reue geloben. Denn nichts stößt Japanern bitterer auf als der Versuch, Verantwortung abzuwälzen. Dies gilt für ausländische Firmen in besonderem Maße, weil die Japaner bei in- und ausländischen Produkten zweierlei Maßstäbe anlegen. Auch Ehrlichkeit ist im Geschäftlichen ein unbedingtes Muss. Täuschungen sind weit mehr als nur Gesetzesverstöße und ziehen einen massiven Gesichtsverlust nach sich. Schließlich sollte jedem Japan-Aspiranten klar sein, dass die unerwartete Abkehr von der Norm peinliche Konfusionen erzeugen kann. Deshalb gilt: Alles bis ins kleinste Detail vorbereiten und nichts, aber auch gar nichts im Unverbindlichen lassen.

All dieser nahezu übermenschlich erscheinenden Wesenszüge zum Trotz weist der Autor darauf hin, dass diese im Grunde Ausprägungen von universalen Werten darstellen. Es geht mithin darum, das spezifisch Japanische an ihnen herauszuarbeiten. Dazu leistet das Buch wertvolle Hilfestellungen. Schöttli ist das Kunststück gelungen, einen Mentalitätsführer zu verfassen, der Managern, Touristen wie auch allgemein Interessierten gleichermaßen anempfohlen werden kann.

Urs Schöttli, Erfolg auf Japanisch. Business, Gesellschaft und Kultur im Land der aufgehenden Sonne, Orell Füssli Verlag, Zürich 2008, 208 Seiten, 29,90 Euro, ISBN: 978-3-280-05299-0

Quelle: ntv.de

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