"Fröhlich geht es selten zu" Kein Entrinnen vor Nick Cave
23.03.2010, 08:54 Uhr
Nick Cave bei einem Konzert in St. Gallen (Archivbild vom 27.06.2009).
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Zwar hat Nick Cave kein Genre revolutioniert und galt nie als Identifikationsfigur. Aber dennoch ist er ein musikalisches Phänomen. Mit "The Bad Seeds" singt er von verlorenen Seelen.
Wie sagte Bill Murray in "Ghostbusters" doch gleich: "Jennifer, du bist ein legitimes Phänomen." Der Geisterjäger hätte das auch zu Nick Cave sagen können.
Der spindeldürre Australier ist nie ein Virtuose gewesen, hat kein Genre revolutioniert und auch nie als Identifikationsfigur getaugt. Dennoch, lässt man sich - und sei es zunächst auch widerwillig - nur ein kleines bisschen auf Caves bipolare Welt aus Blues/Gospel/Country auf der einen und Punk/Industrial/Gothic auf der anderen Seite ein, gibt es vor dem Mann kein Entrinnen mehr. Vom unerträglichen Krach seines ersten Albums "From Her to Eternity" bis zur süffigen Barmusik der jüngeren Alben ist es weniger das Songmaterial als vielmehr die bloße Präsenz des Meisters, die seine Stücke im Innersten zusammenhält. Quält man sich durch die frühen Feedbackorgien, ahnt man die große Geste des späteren Entertainers, gibt Cave dann eine neuere Ballade zum Besten, meint man das Splittern des Klavierlacks zu hören, weil der Künstler möglicherweise kurz vorher mit der Gitarre auf das arme Piano eingedroschen hat.
Die drei Alben "Tender Prey", "The Good Son" und "Henry´s Dream" verbinden das Beste der beiden Pole des Nick Cave. Entstanden mit den Bad Seeds zwischen 1988 und 1992, bieten sie die Essenz seines musikalischen Schaffens; erzählen von bereits verlorenen Seelen und solchen, die der Teufel noch holen möge.
Musik verarbeitet Tod des Vaters

Nick Cave & The Bad Seeds: "Tender Prey".
Fröhlich geht es bei Cave ohnehin selten zu. Als Meilenstein der gepflegten Finsternis darf mit Fug und Recht "The Mercy Seat" gelten, der Opener auf "Tender Prey". Durch eine Coverversion von Johnny Cash im Jahr 2000 geadelt, führt "The Mercy Seat" durch die letzten Gedanken eines Todeskandidaten in seiner Zelle, zitiert dabei die Tora und hinterlässt nach mehr als sechs Minuten eine lähmende Leere, die eigentlich nur durch das Drücken der Wiederholungstaste am CD-Spieler wieder aufgefüllt werden kann. Oder durch das Warten auf "Deanna", Song Nummer drei auf "Tender Prey", der mit seinem 60er-Jahre-Charme ein hemmungsloses Gaunerpärchen auf Raubzügen begleitet und solange gute Laune verbreitet, bis der Protagonist zugibt, dass er eigentlich gar nicht mehr älter werden will als er ist. Da muss man dann schon etwas schlucken.

Nick Cave & The Bad Seeds: "The Good Son".
"The Good Son" verrät den roten Faden des Albums bereits im Titel. Cave, der im Alter von 21 Jahren seinen Vater bei einem Autounfall verlor, thematisiert den Verlust in seinen verschiedenen Facetten, klagt den Vater im Titelsong an, weil dieser ihn nicht mehr hört; verflucht ihn für seine gute Erziehung, um ihm im "Weeping Song" die naive Frage zu stellen, warum denn alle Menschen auf der Welt ständig weinen müssten. Die Platte hätte ebenso "One more man gone" heißen können, wie jene Zeile aus "The Good Son", die Cave einem Mantra gleich gefühlte zweihundertmal wiederholt.
Konsequente und ehrliche Folklore
Auch das Album "Henry´s Dream" greift den Verlust des Vaters auf, ob zum Teil autobiographisch, sei dahingestellt. Aber Titel wie "Papa won´t leave you, Henry" deuten in darauf hin. Musikalisch geht Cave mit "Henry´s Dream" einen großen Schritt in Richtung Folklore, 1992 noch zum Schrecken vieler Fans, aber im Nachhinein betrachtet nur konsequent und ehrlich.

Nick Cave & The Bad Seeds: "Henry's Dream"
Auf Fotos aus jenen Tagen kann man Cave übrigens mit einer Kylie-Minogue-Fan-Tasche über den Schultern sehen, jener australischen Discoqueen, die er einige Jahre später zu einem Duett einladen sollte. Mit ihr zusammen gelang den Bad Seeds Mitte der 90er die bis heute einzige Hitsingle: "Where the wild roses grow". Ein ewiger Outlaw, der zusammen mit einem einstigen TV-Darling die Geschichte eines frauenmordenden Psychopaten erzählt und es damit bis in die Niederungen des deutschen Dudelfunks schafft, ja, der darf als legitimes Phänomen gelten. Aber: Sich auf den Derwisch aus Down Under einzulassen, ist nicht ganz ungefährlich. Aber nur für den Geldbeutel!
PS: Und wer das mit dem spindeldürren Mann nicht glaubt, kann sich den Meister auf den beigefügten DVDs ansehen.
Nick Cave & The Bad Seeds:
"Tender Prey", CD/DVD, Mute EMI
"The Good Son",CD/DVD, Mute EMI
"Henry's Dream", CD/DVD, Mute EMI
Quelle: ntv.de