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Herzrasen eines Satirikers Mark Twain schrieb Liebesbriefe

Mark Twain erfand den Nichtsnutz Tom Sawyer und den Tunichtgut Huckleberry Finn. Seiner Frau jedoch schrieb Twain, der vor 100 Jahren starb, Liebesbriefe voller Zärtlichkeit.

Satiriker, Humorist und zarter Poet: Mark Twain.

Satiriker, Humorist und zarter Poet: Mark Twain.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

"Du bist so rein, so groß, so gut, so schön. Wie könnte ich Dich nicht lieben? Sage doch, wie ich Dich nicht anbeten könnte, meine liebe kleine Abgöttin?" Nicht aus Ovids "Amores" oder Shakespeares Sonetten stammen diese liebreizenden Sätze, sondern von – Mark Twain. Der Satiriker und Ironiker, der Realist und Atheist, der scharfe Kritiker des amerikanischen Kapitalismus hatte auch eine zärtliche Seite. Die Zeilen voller Liebe und Sehnsucht richtete er an seine spätere Frau Olivia Langdon, genannt Livy. Für immer ein "heimatloser Vagabund" wolle er sein, sollte ihn die zehn Jahre jüngere Frau nicht erhören, schreibt er ihr. " Ich werde ab morgen keinen Alkohol mehr anrühren (…), werde nichts tun, was Dich oder Livy bekümmern könnte", heißt es in einem Brief an seine Mutter. Eine "Sonne", ein "Engel", eine "Vollkommene" ist Olivia für den jungen Autor, der vor 100 Jahren, am 21. April 1910 starb.

Überschäumend und sehnsuchtsvoll sind Twains Briefe an seine Frau, die unter dem Titel "Sommerwogen" (Aufbau Verlag) erstmals in Deutschland erscheinen. Der Band gestattet einen tiefen Blick in die Gefühlswelt des Schöpfers von Tom Sawyer und Huckleberry Finn. Da Twain oft auf Reisen war, hält der rege Briefwechsel auch in den Ehejahren an. Der Band wird so zur Autobiographie, die Twain durch die Jahre begleitet. Dem Leser präsentiert sich eine vollkommen unbekannte Seite des Autors – und eine höchst witzige.

Lesenswert sind vor allem die frühen Schreiben, in denen Twain um die Frau aus gutem Hause wirbt. Er verspricht ihr, ein guter Christ zu werden, möchte seinen unsteten Lebenswandel für sie aufgeben. Wenn sie es verlange, würde er sogar auf das Rauchen verzichten, schreibt er – und legt gleichzeitig auf mehreren Seiten dar, warum das Rauchen keinesfalls schädlich für ihn sei. So ganz kann er eben nicht aus seiner Haut, der Schwadroneur und Geschichtenerzähler. Man merkt den Briefen an, wie sich Twain zusammenreißen muss, um nicht ins Flunkern zu geraten oder in sarkastische Bemerkungen abzuschweifen.

Fünf Heiratsanträge abgelehnt

Twain mit Livy und Tochter Clara 1900 in London.

Twain mit Livy und Tochter Clara 1900 in London.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Olivia indes nimmt den wilden Abenteurer und Schriftsteller zunächst distanziert wahr, fünf Heiratsanträge lehnt sie ab. Vielleicht ist es seine Unbeständigkeit, die sie abschreckt. Als Schriftsetzer, Steuermann auf dem Mississippi, Goldgräber und Reporter im Wilden Westen und auf Hawaii hat Samuel Langhorn Clemens bereits gearbeitet. Mit Reportagen, vor allem aber mit Humoresken und Satiren feierte er schließlich erste literarische Erfolge. Nun legt er sich den Künstlernamen Mark Twain zu, der zwei Faden Wassertiefe auf dem Mississippi beschreibt.

Auf einer Schiffsreise in den Nahen Osten sieht er bei einem Mitreisenden ein Portrait Olivias und kommt zu dem Schluss: Diese Frau möchte er kennenlernen – und heiraten. Mehrmals treffen sie sich, doch Olivia zögert. Immerhin darf er sie "Schwester" nennen und ihr schreiben. Es sind die Widersprüche zwischen seinem früheren, wilden Leben und den Liebesschwüren an Livy, die das Lesen der Briefe so unterhaltsam machen. "Ich bin jung und sehr gut aussehend und sie ist wahrhaftig das schönste Mädchen, das ich je gesehen habe", bekennt er einem Freund. "Du weißt, ich würde nie eine Schandtat begehen, mein Liebling", schreibt der verliebte Twain seiner Angebeteten. Sein Werben hat schließlich Erfolg, am 2.Februar 1870 heiraten sie.

Meistererzählungen und Satiren

Für Samuel und Livy beginnt eine glückliche Zeit. Twain ist noch weit entfernt vom Weltruhm, doch ein bekannter Autor, vor allem aber berühmter Redner ist er schon. Zu verdanken hat er dies den frühen Erzählungen und Reiseberichten, die vor Übertreibungen, vor witzigen Einfällen und satirischen Spitzen auf die amerikanische Gesellschaft strotzen. Der Band "Die schönsten Erzählungen" (Aufbau Verlag) versammelt Twains frühe Storys wie "Der berühmte Springfrosch von Calaveras" und einige schwer zu findende autobiographische Stücke, Reportagen und Satiren.

Meist stehen diese Werke im Schatten von Twains bekanntesten Romanen "Tom Sawyers Abenteuer" und "Huckleberry Finns Abenteuer" – zu Unrecht, wie sich zeigt. Der Autor, der vielen Experten als Ursprung der amerikanischen Literatur gilt, beweist auch in seiner Kurzprosa, dass er diesen Ruf verdient hat. Bereits in den frühen Storys blitzt der begnadete Erzähler auf, der menschliche Schwächen und gesellschaftliche Verlogenheit gekonnt in Geschichten verpackt. Seine Sprache, vor allem aber sein Humor wirken heute, weit mehr als 100 Jahre nach der Veröffentlichung, keineswegs antiquiert. Im Gegenteil: Seine Gesellschaftsbeschreibungen haben kaum an Aktualität eingebüßt, seine satirischen Zuspitzungen und ironischen Einwürfe lassen auch den heutigen Leser herzhaft lachen.

Es ist ein Lachen, das im realen Leben immer wieder von Schicksalsschlägen unterbrochen wird. Nur kurz währt das vollkommene Glück von Samuel und Livy. Ihr erster Sohn stirbt keine zwei Jahre nach der Geburt. Zwei weitere seiner insgesamt vier Kinder wird Twain zu Grabe tragen müssen. Literarisch feiert Twain dagegen zunächst große Erfolge. Livys Interesse an seiner Kindheit und Jugend inspiriert Twain zu seinen Büchern "Tom Sawyers Abenteuer" (das er Livy widmet) und "Huckleberry Finns Abenteuer". Den Mississippi zeigt er als Lebensader der USA, als Sammelpunkt unterschiedlichster Schichten und Charaktere und als Spiegel der amerikanischen Seele – die beiden Bücher sind nicht nur Abenteuerbücher voller kindlicher Phantasie, sondern auch brillante gesellschaftliche Zustandsbeschreibungen.

Twain ist oft unterwegs: Er hält Vorträge in London, besucht Deutschland – dessen "abscheuliche und unmögliche Grammatik" er in "Die schreckliche deutsche Sprache" beschreibt – und fährt über den Mississippi. Von all seinen Reisen schickt er Livy Briefe, die seine Erlebnisse beschreiben, manchmal witzig, selten banal, oft wunderschön poetisch und immer wieder verliebt: "Wenn ich keine Sehnsucht habe, Dich zu sehen, dann hat sich kein Liebhaber je nach seiner Liebsten gesehnt", schreibt er ihr aus London.

Ruin und Neuanfang

Das Haus der Twains in Hartford.

Das Haus der Twains in Hartford.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

In den 1890er Jahren gerät die Familie allerdings in finanzielle Schwierigkeiten. Der technikbegeisterte Twain – er ist der erste Autor, der ein maschinengeschriebenes Manuskript abliefert – investiert große Teile des Vermögens in eine fehlerhafte Setzmaschine. Hinzu kommt die Beteiligung an einem Verlag, die ihn in den Ruin treibt. Twain beginnt wieder ausgedehnte Vortragsreisen, die ihn lange von seiner Frau trennen. Mit Auftritten in Australien, Indien und Südafrika kann er seine hohen Schulden begleichen. Doch der gemeinsame Neuanfang endet nur wenige Jahre später: Livys ohnehin latent angeschlagener Gesundheitszustand verschlechtert sich. "Es ist lang her, meine Liebste, doch die 33 Jahre haben uns reichlich mit Liebe belohnt – eine Liebe, die stärker wurde, nicht schwächer, die mit jedem Jahr kostbarer wird", schreibt er seiner Frau vor ihrem Tod 1904.

Einem Freund vertraut er kurz darauf an: "Wie süß war sie im Tod, wie jung, wie schön, wie sehr glich sie dem Mädchen von vor dreißig Jahren. (…) Warum darf ich nicht mit ihr gehen?" Doch Twain muss noch ein paar Jahre warten. Als er 1835 geboren wurde, war der Halleysche Komet gerade am Himmel erschienen. Im April 1910 kommt der Himmelskörper wieder – einer Vorahnung entsprechend stirbt Twain einen Tag später, der Satiriker, Realist – und zärtliche Poet.

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Quelle: ntv.de

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