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Radiohead für Sammler Rock gegen den Strich gebürstet

Radiohead störten sich am "gewinnorientierten Kurs des Managements" von EMI und veröffentlichten 2007 im digitalen Eigenvertrieb.

Radiohead störten sich am "gewinnorientierten Kurs des Managements" von EMI und veröffentlichten 2007 im digitalen Eigenvertrieb.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Die ohnehin selten gewordenen großen Künstler in Rock und Pop erkennt man auch daran, dass sie allzu häufig das Gegenteil von dem tun, was eine Plattenfirma gern hätte. Daran gemessen, sind Radiohead die Überflieger des neuen Jahrtausends.

Mit etwas verschrobenen, aber immerhin noch klaren Schemata folgenden Stücken inklusive der Hitsingle "Creep" hatten sie 1993 auf "Pablo Honey" begonnen, ließen 1995 mit "The Bends" ein überschwängliches, präzise durchkomponiertes und extrem dicht produziertes Album folgen, um 1997 unter dem Titel "OK Computer" ein von Kritik und Käufern gefeiertes "Pet Sounds" der Neuzeit abzuliefern.

"OK Computer" war ein derart dicker Brocken, dass sich die Fans, der EMI-Konzern und nicht zuletzt die Bandmitglieder selbst fragten, was um alles in der Welt denn nun noch folgen sollte. Die Antwort kam im Jahr 2000 in Form von Thom Yorkes musikalischer Eigentherapie namens "Kid A", einem faszinierend formlosen Klangteppich, der jegliche Gesetze der kommerziellen Rockmusik außer Kraft setzte und den Begriff "psychedelisch" neu definierte, indem er die helle Seite des Mondes gleich mit verdunkelte. Yorke soll es nach dem Ende der Aufnahmen auch gar nicht gut gegangen sein.

Nichts zum Hören in Gesellschaft

Ungewöhnlich daher, dass Radiohead schon 2001 mit "Amnesiac" einen Nachfolger für "Kid A" vorzuweisen hatten, der demselben Prinzip folgte, ebenso kuriose Soundideen enthielt, aber an Originalität seinem Vorgänger zwangsweise unterlegen war: Wieder traf elektronisches Gezwirbel auf zerschnittene Pianostrukturen, verstörende Rhythmusfiguren standen neben Yorkes klagendem Tenor, und nicht ganz unerwartet vernahm man aus den Reihen selbst der hartgesottensten Anhänger ein leises Stöhnen. Denn weder "Kid A" noch "Amnesiac" taugen zum Hören in Gesellschaft; beide sind allenfalls unter teuren Kopfhörern bei einem Glas nicht notwendigerweise teuren Rotweins von Anfang bis Ende zu ertragen. Wie freute sich das Label Parlophone, als das Quintett 2003 eine Rückkehr zu den Wurzeln ankündigte. Aber: "Hail To The Thief" geriet abermals zum Kunstklotz, trotz neu entdeckter Gitarren und aufkeimender Melodien. Man war geneigt, "Kid A", "Amnesiac" und "Hail To The Thief" als "die düstere Trilogie", eine Art "dark ages" der Truppe, zu betrachten.

Jetzt sind die drei Alben samt Single-B-Seiten und Liveaufnahmen in Sammlereditionen zu haben, "Kid A" wurde sogar digital remastert. Die ersten drei Platten gibt es ebenfalls seit einiger Zeit als Doppel-CD-Versionen. Der Radiohead-Katalog bei EMI ist damit mehr oder weniger ausgeschöpft, denn nach "Hail To The Thief" kehrte die Band ihrem Geldgeber den Rücken. Während sich das Traditionshaus eine Hitsingle wünschte, störten sich Radiohead am "gewinnorientierten Kurs des Managements" von EMI und veröffentlichten "In Rainbows" 2007 im digitalen Eigenvertrieb - ein gewagtes Novum, denn der Internetkunde sollte nur zahlen, was er wollte; auch ein legaler Gratisdownload war somit möglich. Physische Tonträger folgten etwas später, dann kostenpflichtig. Eine Antwort auf die Krise der Musikindustrie gab die Gruppe damit trotzdem nicht, denn nur eine fest verankerte Band wie Radiohead konnte es sich leisten, ihre Aufnahmen auch einmal zu verschenken. Eine Plattenfirma, welche auch immer, könnte sich das nie leisten.
 

Radiohead: "Kid A", "Amnesiac", "Hail To The Thief", CDs, Parlophone/EMI

Quelle: ntv.de

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