Brief an den Weihnachtsmann Roy Orbison gewünscht
01.01.2009, 13:34 UhrLieber, guter Weihnachtsmann,
schau mich und diesen Brief nicht so böse an. Ich weiß, Du hast von Natur aus ein gutes Herz, und außerdem müsstest Du mich kennen. Ich bin der, welcher immer erst nach den nach Dir nach benannten Tagen dazu kommt, noch ein paar Wünsche los zu werden. Aber ich liege mit dem Zeitpunkt meines Schreibens auf Linie der Bundesregierung. Die wünscht sich nämlich, dass das gute Verkaufsklima auch im neuen Jahr andauert. Was Dir schnurzpiepe zu sein scheint. Mit der Erfüllung meiner Wünsche kannst aber auch Du zu einem Citoyen werden.
Ich gebe zu: Billig ist er nicht, der Wunsch, aber hoffentlich verständlich. Von Roy Orbison sind unzählige Platten erschienen, seit er mit seinen Kumpels Billy Pat Ellis, Jack Kennelly und James Morrow als The Teen Kings Mitte der 50er Jahre im Sun Records Studio von Sam Phillips in Memphis/Tennessee seine ersten Aufnahmen machte. Die Kollektion, die ich gern hätte, begleitet von einem informativen, 96 Seiten starken Büchlein, ist aber die einzige mir bekannte, die labelübergreifend alle Schaffensperioden bis in die 80er umfasst. Dazu gibt's eine Sammlung von Postkarten, deren Motive Orbison in seiner Zeit auf der High School gepinselt hat. Ehrlich: Ein Glück, dass er sich für eine Laufbahn als Sänger und Songschreiber entschieden hat. Als solcher ist er wahrlich unschlagbar und aus der Geschichte der Populärmusik nicht wegzudenken. Von Mick Jagger über Robin & Barry Gibb bis zu Chuck Berry loben ihn alle, die im Rock and Roll Rang und Namen haben. Nur Ringo Starr gibt - im oben genannten Booklet - dummes Zeug von sich. Roy Orbison sei der einzige Act gewesen, dem die Beatles nicht folgen wollten. Dabei haben sich Lennon/McCartney beim Schreiben und Interpretieren ihres Songs "Please, Please Me" am dramatischen Balladenstil des 1936 in Vernon/Texas Geborenen orientiert.
Balladen im Überfluss
Balladen hat's im Überfluss auf den vier CDs. "Blue Bayou" und "Crying", in der Soloversion aus 1961 und in der 1987er Einspielung mit K. D. Lang. "Pretty Paper" und "Only The Lonely" natürlich. Allein dieses Stück hätte gereicht, ihm den Platz in der "Rock and Roll Hall of Fame" zu sichern. "Ooby Dooby", seine erste Chartplatzierung, die 1956 nur den 59sten Rang in den Hot Hundred erreichte, gibt es auch in der Teen-Kings-Fassung, die ein Jahr davor aufgenommen worden war. Erstmals zu hören ist eine Darbietung von Little Richards "Tutti Frutti". Ein Radiospot ist zu hören, in dem ein Auftritt von Master Roy in Memphis angekündigt wird, er aber nur einer von vielen und Carl Perkins der Hauptact ist.
Mit Perkins, diesem großen Verkannten des Rock and Roll, verband ihn eine jahrzehntelange Freundschaft. Auf CD Nummer drei gibt es eine Aufnahme, in der beide mit Johnny Cash und Jerry Lee Lewis den "Waymor's Blues" zum Allerbesten geben. Auch der "King of Country" und der "Killer" erklommen die ersten Sprossen ihrer Karriereleiter bei Sun Records. Ihre gemeinsame Platte, aus der der zitierte Blues ausgekoppelt ist, heißt "The Class Of '55" und hat Kultstatus. Spannend und für die Größe Orbisons symptomatisch ist, dass er - im Unterschied zu Elvis Presley, auch der ein Zögling von Sam Phillips - auch in späteren Jahren nicht in den Kitsch abglitt, von ein paar unsäglichen und glücklicherweise hier nicht berücksichtigten Aufnahmen auf deutsch einmal abgesehen.
Sein von Jeff Lynne produziertes "Heartbreak Hotel" aus 1988/92 ist so ein mitreißender Rocker wie "Rockhouse", das mehr als dreißig Jahre zuvor unter den Auspizien von Mr. Phillips entstanden war. Von seinem unschätzbaren Beitrag zum Erfolg der Travellin' Wilburys ganz zu schweigen. Die sorgfältigen Herausgeber der Kollektion haben "Not Alone Anymore" für würdig befunden, diese Prachtedition zu schmücken. Wenn ich jetzt noch verkünde, das "Pretty Woman" mit von der Partie ist, gleich in mehreren Versionen, trage ich Eulen nach Athen. Der Song vertrieb 1964 die Fab Four vom ersten Platz der Billboard Charts und wurde 1990 als Titelsong des gleichnamigen Films zum Sprungbrett für eine nunmehr - und dadurch? - große Mimin namens Julia Fiona Roberts.
Braucht's noch mehr? Bruce Springsteen sagt: "Als ich 1975 im Studio an meinem Album ‚Born To Run' arbeitete, war mein größter Wunsch, so zu singen wie Roy Orbison. Inzwischen weiß jeder, dass niemand so singen kann wie Roy."
Drum, Weihnachtsmann, sieh mir, bitte, meine Verspätung und Apologetik in Sachen Konjunkturpolitik der Bundesregierung nach. Und schenk' mir "The Soul Of Rock and Roll".
Dein Manfred
Roy Orbison: "The Soul Of Rock and Roll", 4CD im Schuber, Sony BMG
Quelle: ntv.de