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Interview mit Ron Leshem "Verbotene Orte ziehen mich an"

Gerade weil es ihm als Israeli nicht möglich ist, den Iran zu bereisen, schreibt Ron Leshem in "Der geheime Basar" über eine Jugend in Teheran. Im Gespräch mit n-tv.de erzählt er, wie er Freundschaften mit jungen Teheranern knüpfte und wie er mit seinen neuen Freunden während der "Grünen Revolution" bangte. Den arabischen Frühling erlebt Leshem dennoch mit gemischten Gefühlen.

Ron Leshem wurde in Israel bereits mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet.

Ron Leshem wurde in Israel bereits mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet.

n-tv.de: Herr Leshem, ich will mit Ihnen über Ihren neuen Roman "Der geheime Basar" sprechen, der hierzulande in diesem Jahr erschienen ist, in Israel aber schon 2009 veröffentlicht wurde. Wie ist das für Sie, immer zeitversetzt über Dinge sprechen zu müssen, die eigentlich schon abgeschlossen sind?

Ron Leshem: Ehrlich gesagt, liebe ich das! Vor allem, weil es mir die Gelegenheit gibt, viele verschiedene Länder zu bereisen. Mein erster Roman "Beaufort" ist nun in China und Brasilien veröffentlicht worden und demnächst folgt Südkorea, so dass ich auch dorthin reisen kann, was großartig ist. Im Vergleich kann man aber sagen, dass der deutsche Markt sehr schnell ist mit den Übersetzungen.

Ihr jüngster Roman "Der geheime Basar" spielt im Iran, genauer gesagt in Teheran. Nun sind die Beziehungen zwischen Israel und dem Iran nicht die besten. Warum entschließt sich ein israelischer Autor wie Sie, seine Geschichte ausgerechnet dort anzusiedeln?

Das ist eine gewaltige Frage! Der Wunsch zu schreiben, entsteht bei mir durch das Bedürfnis, jemand anderes zu sein und Orte zu betreten, die ich nicht kenne oder die sogar für mich verboten sind. Ich muss zugeben, dass ich mich wirklich von verbotenen Terrains angezogen fühle. Ich erinnere mich, dass ich als Kind an der jordanischen Grenze stand und auf der anderen Seite spielende Kinder sehen könnte. Und es hat mich schier wahnsinnig gemacht, dass ich nicht rüber zu ihnen konnte.

Was den Iran angeht: Mit meinem israelischen Pass ist es für mich unmöglich, dorthin zu reisen. Als ich dennoch anfing, mich näher mit dem Iran zu beschäftigen, war ich geschockt, wie wenig ich über dieses Land und die Menschen, die dort leben, wusste. Daher hatte ich das Bedürfnis, mehr zu erfahren und zu verstehen. Aber ich muss auch zugeben: Diktaturen haben eine große Faszination für mich. Das Leben dort hat etwas Romantisches, vor allem aber Beängstigendes. Eigentlich ist es unvorstellbar für mich, dass im Jahr 2011 in meiner unmittelbaren Nähe eine solche Diktatur aufrecht erhalten werden kann. Wobei ich nicht davon ausgehe, dass Demokratie ein Gut ist, das immer gewährleistet ist. Beispielsweise leben wir in Israel zwar in einer Demokratie, aber es ist nicht ausgeschlossen, dass die fanatischen und religiösen Tendenzen stärker werden und wir in 20 oder 30 Jahren in einer Diktatur leben. Und das ist etwas, vor dem ich mich wirklich fürchte.

Ich habe dieses Buch also auch geschrieben, um herauszufinden, wie ich selber leben und agieren würde, wenn ich mit solchen massiven staatlichen Beschränkungen klar kommen müsste.

Da Sie als Israeli nicht in den Iran reisen können, muss die Recherche für das Buch entsprechend schwierig gewesen sein. Woher haben Sie die Informationen über die Orte, Gewohnheiten und Gerüche genommen, die Sie im Buch so detailliert beschreiben?

Manchmal habe ich das Gefühl, dass man Orte, die für einen verboten sind, sogar noch besser verstehen kann, als die Orte, die jederzeit zugänglich sind. Was die Recherche angeht, fing alles über das Internet an. Ich habe mich in sozialen Netzwerken mit Leuten befreundet, die eigentlich keinen Grund hatten, mit mir befreundet zu sein. Das mag jetzt etwas naiv klingen, aber ich glaube daran, dass die Welt ein besserer Ort wäre, wenn jeder Israeli einen iranischen Freund hätte und sei es nur über Facebook.

Ich habe also jede Nacht mit meinen neuen Freunden gechattet und zusätzlich Bücher gelesen, Musik gehört – einfach alles, was ich in die Finger kriegen konnte. Außerdem habe ich Freunde, die in den Iran fliegen konnte, beauftragt, mir von dort Geschichten mitzubringen und einige meiner Fragen zu beantworten. Doch das reichte mir irgendwann nicht. Schließlich habe ich einige meiner iranischen Freunde in Europa getroffen und das war unglaublich.

Als Sie sich endlich getroffen haben – was für Gemeinsamkeiten und Unterschiede konnten Sie feststellen? Sind sich junge Iraner und Israelis vielleicht ähnlicher, als zum Beispiel Europäer und Israelis/Iraner?

Ich habe mittlerweile 22 Länder bereist und ich habe nie Leute getroffen, die uns Israelis so ähnlich sind, wie die Iraner! Der einzige Unterschied ist vielleicht, dass die persischen Frauen eleganter sind als die Israelinnen.

"Der geheime Basar" ist auch eine "Coming of Age"-Geschichte. Die Hauptfigur Kami kommt nach Teheran und findet dort eine völlig andere Welt vor, als die die er kennt. Gleichzeitig lässt er in seinem Heimatdorf seinen besten Freund zurück, der sich der Religion zuwendet. Was können junge europäische Leser von Kami lernen?

Ich wollte mit Kamis Geschichte zeigen, wie ein junger Mann vor den Umständen und seiner Umgebung kapitulieren kann. Kami wird in Teheran so vielen Freiheiten ausgesetzt – Untergrundpartys, Drogen, Frauen, Sex – das es zu viel für ihn ist. Die Freiheiten kommen zu schnell und er kämpft damit, sich anzupassen

Als ich anfing zu schreiben, dachte ich, dass Kami mein Alter Ego werden würde. Doch im Laufe der Geschichte fand ich heraus, dass ich in Wirklichkeit Tante Zahra war.

Sie verwandelten sich von einem 18-Jährigen in eine ältere Dame?

Ja! Ich fühlte mich Zahra mit ihrer Verbundenheit zur Vergangenheit und ihren Ängsten näher. Aber natürlich steckt auch in Kami einiges von mir. Außerdem wollte ich mit dem Roman auch die Nutzung des Internets thematisieren. In gewisser Weise leben wir alle in einer Matrix und zwar einer recht bizarren. Nachrichten über den Vollzug von Todesstrafen stehen Seite an Seite mit Videos über lustige Katzen. Wir erfahren jede Menge schreckliche Dinge über das Internet, können uns aber gleichzeitig dort davon ablenken lassen.

Das Internet hat auch bei der iranischen "Grünen Revolution" sowie bei den Jasmin-Revolutionen eine zentrale Rolle gespielt. Neben all den Chancen, die das Internet den jungen Leuten gegeben hat, sich zu organisieren und zu vernetzen – waren die Risiken nicht auch enorm hoch? Einige haben einen hohen Preis für ihre Aktivitäten bezahlt.

Sie haben absolut Recht. Aber ich wollte vor allem zeigen, wie das Internet das Leben dieser Menschen verändert hat. Ich habe das Buch "Der geheime Basar" wenige Monate vor der "Grünen Revolution" 2009 beendet, und als die Revolution ausbrach, habe ich mich sehr um meine Freunde gesorgt. Sie wollten, dass sich die Geschichte an sie erinnert, gleichzeitig waren sie sehr pessimistisch, was den Erfolg ihrer Revolution angeht. Die einzige Chance, die sie sahen, war, dass das Regime zurückkehrt zu der Ära von Präsident Mohammed Chatami (1997 – 2005 Anm. der Redaktion), der eine islamische Demokratie anstrebte.

Auch wenn ich mir die Bilder von den Demonstrationen in Nordafrika anschaue, muss ich sagen, ich schätze diese Menschen sehr. Aber eine Revolution ist die nicht schwierigste Herausforderung. Da ist jede Menge Ärger und Adrenalin mit im Spiel. Viel schwieriger ist es, die Dinge Tag für Tag zu ändern. Und ich bewundere diejenigen, die dafür kämpfen.

Viele Medien schreiben oft über die Untergrund-Szene in Israel und Reiseführer wie der Lonely Planet rühmen unsere Partyszene und das Strandleben, besonders in Tel Aviv. Das ist natürlich ganz schön. Aber was hier wirklich passiert, ist eine Entpolitisierung der Jugend. Sie ist weit weniger pathetisch als die Generationen davor. So werden Sie nur wenig junge Leute finden, die auf den Straßen gegen die Politik des Staates Israels demonstrieren. "Warum soll ich dahingehen und hinterher in Depressionen verfallen?", lautet hier die Devise. Natürlich gibt es jede Menge engagierte und großartige Leute. Aber es sind zu wenige.

Die "Grüne Revolution" im Iran vor Augen lesen sich einige Szenen in Ihrem Roman geradezu prophetisch. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie nun die Entwicklungen in Nordafrika verfolgen?

Ich war den Winter über natürlich extrem aufgeregt und habe mich sehr für meine ägyptischen Freunde gefreut – ich habe sie bewundert und gleichzeitig um ihren Mut beneidet. Doch alles, was bisher passiert ist, bedeutet im Grunde noch nicht viel. Die Menschen auf der Straße kämpfen nicht für Demokratie, sondern für bessere ökonomische Bedingungen. Aber gerade für letzteres sind Demokratien nicht schnell genug. Es ist schwer, schnell sichtbare wirtschaftliche Erfolge in einer Demokratie zu erzielen, und die Moslem-Brüderschaft wartet schon am Rand.

Der muslimischen Welt stehen jede Menge Veränderungen bevor, aber es wird keine demokratische, es wird eine religiös geprägte Zukunft sein. Etwas anderes zu erwarten, ist meiner Ansicht nach naiv. Wir müssen uns jedoch vor diesen religiösen Strömungen sehr in Acht nehmen, mir bereitet das große Sorgen. Mir ist es egal, ob jemand jüdisch, muslimisch oder christlich ist – wer liberal ist, ist mein Partner und Freund, wer es nicht ist, ist mein Feind.

Viele junge Israelis nehmen übrigens diese ganzen Veränderungen nicht ernst genug – sie sehen sich als Kosmopoliten und wollen einfach auswandern, wenn es zu brenzlig wird. Sie sind nicht bereit, für die Demokratie zu kämpfen – und ich sage absichtlich: Kämpfen! Es wird wieder Zeit dafür. Mein Ur-Großvater lebte in Europa und statt zu kämpfen, war er besessen von der Vergangenheit. Seine Tochter, meine Großmutter, war ganz anders – sie war besessen von einer besseren Zukunft.

Haben Sie das Buch deshalb Ihren Großmüttern gewidmet?

Ja, vielleicht. Aber vor allem habe ich es ihnen gewidmet, weil sie mich mein Leben lang sehr beeinflusst haben, der größte und beste Einfluss im meinem Leben. Zahra und Frau Safureh sind nach ihrem Vorbild entstanden. Ich denke, dass meine Großeltern in vielen ihrer Ideen und Ansichten recht behalten haben und dass die Generation unserer Eltern es später ein wenig vermasselt hat. Sie hätten mehr von ihren Eltern lernen sollen.

Ihr Roman war für Wochen auf der israelischen Bestseller-Liste. Was für Reaktionen haben Sie von den israelischen Lesern erhalten? Konnten sie sich mit der Geschichte identifizieren?

Das "Der geheime Basar" auf der Bestseller-Liste war, war natürlich fantastisch und ich habe auch sehr gute Kritiken und so weiter gekriegt. Darüber bin ich auch sehr dankbar. Doch es gibt etwas, das mich enttäuscht hat. Keiner hat in Israel irgendeinen Zusammenhang zu unserem Leben hier gesehen, niemand hat die Parallelen gezogen. Ich dachte eigentlich, ich müsste über einen anderen Ort schreiben, um den Menschen hier einen Spiegel vorzuhalten, aber es hat nicht funktioniert.

Und im Ausland?

Ich habe das Gefühl, dass das Buch in Europa tatsächlich besser verstanden wurde als in Israel. Besonders einige Kritiken aus Deutschland waren da sehr aufregend für mich. Es war toll, das zu lesen.

Herr Leshem, vielen Dank für das Gespräch.

Mit Ron Leshem sprach Samira Lazarovic

"Der geheime Basar" im n-tv-Shop

Quelle: ntv.de

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