Tief in der Seele verwurzelt Von Krieg und Gewalt fasziniert
20.11.2011, 06:28 UhrMehr als einhundert Länder bereist Lutz Kleveman in wenigen Jahren, aus vielen berichtet er als Kriegsreporter. Er erlebt Mut und Feigheit, Gier und Großzügigkeit, Liebe und Verrat. Die ständige Gefahr erweist sich als kräftige Droge, die ihn mit seinem Großvater auf unheilvolle Weise zu verbinden scheint. Kleveman macht sich auf die Suche.
Lutz Kleveman ist 24 Jahre alt, als sein Vater stirbt. Er soll den Familienbetrieb übernehmen, das Gut Ankelohe in der Nähe von Cuxhaven. Doch Kleveman zieht es nach seinem Studium in Frankreich und Großbritannien in die Welt. Er wird freiberuflicher Kriegsreporter. Jahrelang begibt sich auf allen Teilen der Erde immer wieder in Lebensgefahr, rettet sich oft genug nur mit dem Glück desjenigen, dem die Welt scheinbar nichts anhaben kann.
Kleveman startet als naiver junger Mann, lässt keine Party beim Tanz auf dem Vulkan aus. Ihn faszinieren die "zornigen, jungen Männer mit Schusswaffen". Er säuft und hurt auch mal, er ist wie ein Spieler, einmal muss ihn Peter Scholl-Latour retten. Kleveman verkauft seine Geschichten, um sofort ins nächste Abenteuer starten zu können.
Keine Reise ist ihm zu weit, kein Konflikt zu gefährlich. Geradezu dreist fordert er sein Schicksal immer wieder heraus. Er begibt sich auf die Spur von Drogen- und Diamantenhändlern, die Kriege dieser Welt scheinen ihn magisch anzuziehen. Dabei nähert er sich den Menschen neugierig und gleichzeitig voller Mitgefühl. Lange geht das gut, doch in einer Spielhölle in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi wird er niedergeschlagen.
Kriegssehnsucht in Briefen
Er stellt sich zunehmend die Frage, was ihn immer wieder in den Krieg zieht. Da findet er bei einem seiner Abstecher in die Heimat in einer Munitionskiste auf dem Dachboden Briefe seines längst verstorbenen Großvaters Hans-Heinrich. Der war als junger Mann im Ersten Weltkrieg in russische Kriegsgefangenschaft geraten und hatte als hoher Offizier im Zweiten Weltkrieg in den Diensten der Nationalsozialisten gestanden. Kleveman fragt sich, ob auch er immer wieder der Faszination des Krieges erliegt. Um die Antwort auf diese Frage zu finden, reist er auf den Spuren des Großvaters nach Sibirien.
Aus dieser suchenden Reise ist das Buch "Kriegsgefangen" entstanden. Wie in einer Collage verbindet Kleveman sein Eindringen in das familiäre Erbe mit Berichten aus seiner eigenen Kriegsreporterzeit. Die Erforschung auch der eigenen Seele erweist sich dabei als ein schmerzhafter Prozess und gleichzeitig als ein tiefer Blick in die deutsche Geschichte. Das passt nicht immer harmonisch zusammen, doch spürt man die Ernsthaftigkeit von Klevemans Erkundung.
Nach der Reise ins ferne Sibirien stellt sich Kleveman der familiären Verantwortung. Er übernimmt den norddeutschen Familienbetrieb, lässt das Leben als Kriegsreporter hinter sich. Als Leser hat man das Gefühl, er hat die wilden Jahre gebraucht, um erwachsen zu werden. Kleveman dämonisiert den Großvater nicht, er versucht, ihn zu verstehen. Und versteht dabei möglicherweise am Ende vor allem sich selbst.
Quelle: ntv.de