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Außenpolitische Orientierungslosigkeit Wie weiter Deutschland?

Es ist zu einem Allgemeinplatz geworden: Die Zeitenwende von 1990 hatte weit reichende Konsequenzen für die internationale Politik. Aber was bedeutet diese Erkenntnis für Deutschland, für die deutsche Außenpolitik zu Beginn des 21. Jahrhunderts genau? Welche Chancen und welche Risiken ergeben sich aus den veränderten weltpolitischen Rahmenbedingungen, und welche Strategien sind die Erfolg versprechenden?

Der renommierte Zeithistoriker Hans-Peter Schwarz versucht in seinem neuen Buch "Republik ohne Kompass" Antworten auf diese und andere Fragen zu geben. Ausgehend von der Skizzierung der Veränderungen nach Beendigung des Kalten Krieges nimmt er eine tiefgründige Bewertung der deutschen Außenpolitik der neunziger Jahre vor. Dabei trägt das mit zahlreichen historischen Querverweisen gespickte Buch eher den Charakter einer Streitschrift.

Sein Urteil ist vernichtend: Nicht nur gebe es in Deutschland keinen Konsens zur Begegnung der gegenwärtigen ökonomischen Krise; die gesamte politische Klasse, egal ob derzeit in der Regierung oder nicht, sei auch in außenpolitischen Fragen völlig orientierungslos und laviere deshalb von einem Extrem zum anderen. Zu den drängenden Problemen gehören für ihn vor allem der Umgang mit den USA, die Uneinigkeit in der EU über deren Zukunft, die Rolle von NATO und UNO sowie die Frage, wo auf der Welt sich Deutschland engagieren soll. Anstatt eine kühle Abwägung der eigenen Ziele vorzunehmen, fährt man einen Zick-Zack-Kurs und sitzt letztlich zwischen allen Stühlen.

Als Ursache hierfür sieht er einen deutschen Sonderweg. Im Gegensatz zu anderen europäischen Staaten, die nach wie vor versuchen, ihre nationalen Interessen durchzusetzen, habe sich die deutsche Elite mit der Europäischen Union eine Ersatzheimat geschaffen und betracht alle Sachfragen nur noch durch die europäische Brille. Dieser Trend habe sich im Laufe der Neunziger noch weiter verschärft. Nun haben jedoch der 11. September und noch mehr der Irak-Krieg gezeigt, dass auch der Großteil der Europäer immer noch in nationalen Kategorien denkt. Die Deutschen stehen also mit ihren internationalistischen Sehnsüchten allein auf weiter Flur – zum großen Schaden des Landes.

Schwarz plädiert folglich für die Wiederentdeckung einer nüchternen, wohlverstandenen Staatsräson, die sich an den Interessen der Staatsbürger, deren Identität und Prosperität ausrichtet. Die Politiker müssten erkennen, dass sie letztlich ihren Wählern gegenüber verantwortlich sind. An erster Stelle ist das Wohl des eigenen Staates zu stellen, die Europäische Union sei zwar wichtig, aber demgegenüber nur zweitrangig. Dabei vermeidet er gleichwohl einen Rückfall zu einem dumpfen Nationalismus, der den Deutschen ja so schlecht bekommen ist.

Egal, ob man die Einschätzung von Schwarz in dieser Schärfe teilt oder nicht, scheint es in Deutschland dennoch einen eklatanten Mangel an strategischen Überlegungen zu geben. Eine Debatte über die Rolle, welche das Land im kommenden Jahrhundert spielen will, tut Not. "Republik ohne Kompass" ist ein erster Anstoß, es ist der Versuch, die deutschen Interessen in einer sich rasant verändernden Welt zu definieren.

Daniel Müller

Hans-Peter Schwarz "Republik ohne Kompass. Anmerkungen zur deutschen Außenpolitik", Propyläen Verlag, Berlin 2005, 20 Euro

Quelle: ntv.de

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