Es gibt Techno auf die Tasten Francesco Tristano mit bachCage
25.03.2011, 13:51 Uhr
Ein nachdenklicher Künstler: Francesco Tristano Schlimé.
Der junge Mann schafft etwas, das nicht vielen gelingt: Er bekommt einen der angesagtesten Clubs in Berlin voll, und zwar mit klassischer Musik. Naja, zumindest bis zur Hälfte, denn was dann folgt, ist wieder eher der Clubkultur à la "Cookies" zuzuordnen: Techno.
Einen Tag nach seinem ungewöhnlichen Konzert, im Hotel Westin Grand an der Berliner Friedrichstraße, sitzt ein etwas erschöpfter Pianist, der jedoch äußerst höflich und ausführlich Auskunft gibt über sein neues Werk "bachCage". Ein Album, das zu der neuen, jungen Generation von Musikern gehört, die sich auf einem hohen Niveau zwischen den unterschiedlichsten musikalischen Genres hin- und herbewegen. Francesco Tristano ist so einer dieser Generation - der 29-Jährige ist auf dem Cover von angesagten Magazinen genau so zu Hause wie in einem Studio, wo er gerade sein neues Album aufgenommen hat, das die Trennung zwischen U- und E-Musik hinfällig macht.
Das sehen vielleicht noch nicht alle so, aber die Anzahl derer, die experimentierfreudig, offen, kosmopolitisch und erfolgreich sind, wächst ja stetig - auch wenn bachCage vielleicht nicht das Album für den ersten Blick ist - oder das erste Hören. Denn in Tristanos eigenwilligem und sehr persönlichen Umgang mit den musikalischen Wegbereitern Johann Sebastian Bach und John Cage muss man sich vielleicht erst einmal hineinhören. Dem Künstler machen allerdings ganz andere Umstände Sorgen.
n-tv.de: Herr Tristano, Sie wirken nicht so richtig glücklich, obwohl der Termin gestern Abend doch ein voller Erfolg war!?
Francesco Tristano: Ja, das war super, aber was mir Sorgen macht, ist die Situation in Japan, weil ich mich immerzu fragen muss, ob man überhaupt etwas Schönes machen kann, wenn die Welt eine solche Katastrophe zu verkraften hat. Ich habe das Gefühl, dass es nicht richtig ist, wenn wir hier Spaß haben.
Glauben Sie nicht, dass es die Aufgabe eines Künstlers ist, den anderen Freude zu bereiten?
Das stimmt sicher bis zu einem gewissen Grad. Aber sehen Sie, ich hatte vor, diesen Sommer eine Tournee in Japan zu machen, und das geht nun nicht mehr.
Meinen Sie nicht, dass sich die Japaner über Ablenkung und gute Musik freuen würden und dass es sie von ihrem Alltag ablenken könnte?
Ja sicher, aber für mich fühlt es sich nicht richtig an. Ich kann für mich nur sagen: "Gott sei Dank habe ich die Musik", denn sie hilft mir oft, aber Japan steht trotzdem in den Sternen.
Der junge Künstler aus Luxemburg lässt sich schwer in eine Schublade stecken, und das nicht nur wegen der vier Sprachen, die er spricht. Er fällt aus dem Rahmen mit seiner Art von Musik. Gewinnt er so eher Zuhörer oder verschreckt er sie? Der Pianist ist erfolgreich sowohl in der Lounge- und Club-Welt als auch im klassischen Ambiente. Während wir in der Hotel-Lobby plaudern, wird der Kuchen für den Nachmittagstee aufgebaut - der Angestellte drapiert die einzelnen Torten voller Muße auf dem Flügel.
Uups, ist das nicht ein Faux-Pas, geradezu ein schmerzlicher Fehler für einen Mann, der dem Instrument sonst so herrliche Töne entlockt?
Tristano lacht: Auf gar keinen Fall! Diese Glorifizierung eines Flügels, diese Beweihräucherung geradezu, ist übertrieben und alt. Es ist ganz gut, wenn das mal aufhört!
Er hat ja recht, das ist ein Instrument und kein heiliger Gral, Michelle Pfeiffer hat sich in "Die fabelhaften Baker Boys" schon auf einem Flügel geräkelt und Udo Jürgens schleppt sein gläsernes Teil sogar mit an den Strand, dennoch hat so ein Flügel immer etwas Mystisches, Faszinierendes. Das hat man am Abend der Yellow Lounge im Cookies auch gemerkt. Die Leute haben sich um Francesco Tristano und seinen Flügel geradezu geschart, sich ihm zu Füßen gelegt. Er präsentierte Ausschnitte seines aktuellen Programms. Mit dabei waren die DJ Canisius und Clé, und auch für die Augen gab es etwas - abgesehen vom Künstler selbst: Die an rasant geschnittene Musik-Videos erinnernde optische Gestaltung lag in den Händen der VJs von Safy Sniper.
Die Pause stört am meisten – haben Sie in der "Zeit" einmal gesagt, warum dann gestern die Pause? Oder gehört das zum Yellow-Lounge-Konzept?
Ja, das ist richtig, aber das gestern war ja kein richtiges Konzert, eher ein Set, ein Anspielen meiner Musik. Die ganze Sache war auch für mich ungewöhnlich. Die Leute waren mir sehr nah, konnten mir auf die Finger gucken, die Kamera war ständig aus der Nähe auf mich gerichtet und im Hintergrund saßen auch überall Menschen, das war schon anders. Aber gut. Interessant.
Haben Sie das Gefühl, dass Sie die Leute verwirren?
Nun, ich weiß nicht. Vielleicht interessiere ich sie, weise sie auf etwas hin. Und das gefällt mir natürlich.
Ja, das kann die Autorin nur bestätigen, denn sie hat ihre Mutter mit zu dem Konzert genommen, eine Klassik-Veteranin, könnte man meinen.
Tristano: Und - was hat die Mama gesagt?
n-tv.de: Ja, sie fand es gut, zeitgemäß, mal was anderes. Aber wahrscheinlich ist das doch eher Musik für jüngere Leute, denn es gab ja auch weibliche Fans, die sich anschickten, auf der Bar zu tanzen.
Wow, das habe ich gar nicht mitgekriegt.
Der Abend begann mit Johann Sebastian Bach - und Stille, wie sie nicht einmal in der Philharmonie herrscht, kehrte ein. Nach der Pause dann wie gesagt Cage, und jetzt wurde es auch lauter im Publikum, unruhiger. Viele fragten sich wahrscheinlich, ob man jetzt mitwippen oder mitklatschen dürfe. Die Spannung lag in der Luft. Genau diese Irritation mag Tristano aber.
Tristano: Klassische Musik hat ja nichts mehr mit dem heutigen Leben zu tun, sie ist fast artifiziell. Ich liebe diese Musik, aber ich habe immer überlegt, wie ich sie lebendiger machen kann. Es gab den Jazz, aber das ist auch schon wieder so lange her, eine ganz andere Zeit. Und dann gab es Techno! Das ist sozusagen die neueste Musik, und in meinen Augen ist die elektronische Musik DIE Entdeckung, die dem musikalischen Leben seit langem endlich wieder einen Sinn gab.

Das Publikum ist ihm nah, das gehört zum Club-konzept.
(Foto: Stefan Hoederath)
Sie haben für den Abend im Club ein Stück vorbereitet: Ist das anders als ein Stück für Hamburg oder Brüssel oder Barcelona?
Ja, denn ich bin mindestens einmal im Monat hier. Ich liebe Berlin. Als ich aus New York kam, weil ich mit meinem Studium fertig war, habe ich überlegt, ob ich nach Berlin oder Barcelona gehe. Gut, es ist Barcelona geworden, alles ist sehr entspannt dort und ich kann viel mit dem Fahrrad erledigen.
Woher nehmen Sie Ihre Inspiration?
Ich habe immer gute Ideen, wenn ich laufe, ich mache viel und gerne Sport. Oder bei einem guten Kaffee am Morgen. Ja, da habe ich meist die besten Einfälle.
Mit 13 gab er sein erstes Konzert mit eigenen Kompositionen. Später spielte er Tourneen als Solist oder mit hochkarätigen Orchestern, etwa dem Russischen Nationalorchester, dem Französischen Nationalorchester Lille oder dem Luxemburger Philharmonieorchester. Tristano gründete das Kammerensemble The New Bach Players, mit dem er auch als Dirigent auftritt.
Wie sind Sie auf John Cage gekommen?
Mein Kompositionslehrer hat mich mit seinem Werk bekannt gemacht, da war ich elf. Und während des Studiums: Cage hat mich fasziniert, sowohl als Musiker als auch als Künstler, der die Happeningkunst und die Neue Improvisationsmusik ausschlaggebend mit angeregt hat.
Welche Musik hören Sie privat?
Ich liebe die Zeit des Barock, und auch die Zeit davor. Ich höre aber, wie man sich denken kann, auch sehr gerne elektronische Musik.
Spielen Sie lieber in klassischen Konzert-Hallen oder in Clubs wie gestern?
Das hat alles seinen Charme, aber ich mag es, wenn ich das Publikum spüren kann. Das ist eher in einem kleineren Raum der Fall. Ich mag aber die Philharmonie und vergleichbare Orte ebenso gerne.
Was sind Ihre nächsten Projekte?
Ich gehe auf Tournee. Ich bin im April in München, Leipzig und Berlin, im Mai in Bottrop. Und danach wäre eigentlich Japan dran gewesen, aber das weiß ich jetzt noch nicht.
Mit Francesco Tristano sprach Sabine Oelmann
Quelle: ntv.de