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Gesänge aus der Dunkelheit Gurrumul spielt "Rrakala"

Tief aus dem Inneren: Gurrumul singt.

Tief aus dem Inneren: Gurrumul singt.

Auf der anderen Seite der Erde, im Norden Australiens, wohnt ein blinder Sänger mit außergewöhnlicher Begabung: Gurrumul aus dem Volk der Yolngu beeindruckt nicht nur Weltstars wie Björk oder Sting. Die Wurzeln seiner Melodien reichen tief in eine fast verlorene Welt. Im Herbst kommt er für vier Konzerte nach Deutschland. Was erwartet den Hörer?

Isolation. Dunkelheit. Vollständige, immerwährende Nacht. Geoffrey Gurrumul Yunupingu ist eigentlich alleine. Er, das Kind einer Ureinwohnerfamilie aus dem Norden Australiens, ist von Geburt an blind. Um mit der Welt in Kontakt zu treten, bleiben ihm keine anderen Möglichkeiten als tasten, lauschen oder sprechen. Menschen, die weiter als eine Armeslänge von ihm entfernt sitzen, sind für ihn verloren, fast so, als wären sie hunderte Kilometer entfernt oder nie geboren. Er hat einen Weg gefunden, die Einsamkeit zu überwinden: Er singt. Dann kann Gurrumul - das ist sein traditioneller Name - sie alle mit seiner Stimme berühren.

Gurrumul

Gurrumul

Mehrere Tausende Jahre lang blieb der australische Kontinent nahezu unberührt. Kein Fernhandel, kein Austausch, kaum Einflüsse von außen. Pflanzen, Tiere und die in Arnhemland an der Nordspitze des Kontinents lebenden Menschen blieben über ungezählte Generationen unter ihresgleichen - in einer Umgebung voller Wunder und Gefahren. Alles, was sie hatten, um ihre Erfahrungen und Gedanken weiterzureichen, waren Träume, Mythen und die erzählenden Gesänge am Feuer.

Dann kamen die Schiffe der Entdecker, und mit ihnen die Eroberer, Siedler und Farmer. Australien wurde ein abgelegener Teil einer weiten, hektischen, brutalen Welt. Mit ihnen kamen unbekannte Krankheiten, der Alkohol, fremde Gesetze, das Gewinnstreben und der Hunger nach Land und Rohstoffen. Die Welt der Ureinwohner drohte zu zerbrechen.

Gut 350 Jahre nach den ersten Seefahrern aus Europa kam im Norden Australiens ein Junge mit milchigen, unbrauchbaren Augen zur Welt: Damals, im Jahr 1970, konnte niemand ahnen, welchen Weg dieses Kind einst gehen würde. Denn dank seiner außergewöhnlichen Begabung gilt Gurrumul heute als "die wichtigste Stimme Australiens". In seinen Liedern singt er vom Schmerz, seinem Glauben und dem Leben in ewiger Dunkelheit unter der brennenden Sonne der Südhalbkugel.

Ein Ray Charles Australiens?

Bei seinen Auftritten sitzt Gurrumul meist unbewegt vor dem Mikrofon, hält seine Gitarre linkshändig wie Jimi Hendrix und singt mit einer Stimme, die ausgeglühte Musikprofis im Innersten durcheinanderbringt. Bei seinen Auftritten bleibt sein Gesicht glatt wie eine Maske: ein feinfühliger Autodidakt, der sich auf jede Nuance konzentriert. Nur hin und wieder verrät ein Zittern über der Stirn die Bewegungen in der Tiefe.

Der Rummel ist ihm egal, die Wirkung seiner Musik nicht.

Der Rummel ist ihm egal, die Wirkung seiner Musik nicht.

Sein erstes Album "Gurrumul" trug ihn ab 2008 auf einer Welle des Erfolgs quer durch Australien und dann in die weite Welt hinaus: Das blinde Mitglied einer Minderheit, die bis heute um ihre Rechte kämpfen muss, findet plötzlich internationale Beachtung. Beobachter ringen um Vergleiche: Ist er eine Art tausendjähriger Ray Charles aus "Down under"? Klingt seine Stimme nicht wie ein Neil Young, gereift und verwandelt in der Hitze Australiens?

Oder sitzt hier der Johnny Cash des Northern Territory an der Gitarre? Große Namen wie Björk oder Sting bewundern sein Talent. Elton John bat ihn um ein Eröffnungsstück für eine eigene Konzertreihe. Die Melodien scheinen aus ihm herauszuströmen wie Wasser aus einem reichen Brunnen. Drei Jahre nach seinen ersten Welterfolgen ist das neue Studioalbum fertig. Es trägt den ebenso schlichten wie geheimnisvollen Namen: "Rrakala" - ein Schlüsselwort aus der Welt seiner familiären Wurzeln.

"Ich will eine Brücke bauen", sagt Gurrumul. Ansonsten spricht er kaum über sich und seine Musik. Freunde oder seine Musikerkollegen von Yothu Yindi oder der Saltwater Band beschreiben ihn als außergewöhnlich scheu, im kleinen Kreis ebenso wie auf der großen Bühne. Nicht, dass er unnahbar wäre. Es fällt ihm nur schwer, mit einer Welt außerhalb der Musik in Kontakt zu treten. Er hat diese Welt ja auch noch nie gesehen. Interviews gibt er generell nicht. Das ist übrigens auch gar nicht so einfach. Er spricht kaum Englisch und Journalisten aus Europa kein Yolngu Matha.

Doch eigentlich braucht es auch keine Erklärungen. Die Magie seiner Melodien ließe sich ohnehin nicht übersetzen. Wer ihn verstehen will, muss nur die Augen schließen - und in vollkommener Dunkelheit einer außergewöhnlichen Stimme lauschen.

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Quelle: ntv.de

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