Der ewige Verräter Westbam auf der Götterstraße
26.04.2013, 13:36 Uhr
Macht Station im Pophimmel: Westbam.
(Foto: Andreas Bleckmann / Universal Music)
Er heißt im wahren Leben Maximilian Lenz. Er ist inzwischen 48. Und er ist ein Urgestein des Techno. 30 Jahre ist Westbam nun bereits als DJ aktiv. Umso mehr überrascht sein Album "Götterstraße" just zu diesem Jubiläum. Ein Album zum Verlieben - auch wenn ihn manche dafür womöglich wieder einmal hassen werden.
Wenn er heute 18 wäre, wäre DJ zu werden, nicht sein oberstes Ziel. Das hat Westbam vor drei Jahren gesagt - wenige Tage, bevor die Loveparade-Katastrophe in Duisburg die Welt der Raver endgültig zum Einsturz bringen sollte. Mit der Tragödie hatte die Aussage also nichts zu tun. Wohl schon eher damit, dass Techno, seine Jugendbewegung und die Idee der Raving Society de facto schon Jahre vor den Opfern der Loveparade zu Grabe getragen worden waren.
"Ob jemand ein großer Künstler wird, hat immer auch mit dem Timing und der Zeit zu tun, in die man hineingeboren wird", erklärt Westbam, weshalb die Berufung des Teenagers Maximilian Lenz - so sein bürgerlicher Name - heute womöglich nicht mehr die des Plattendrehers wäre. "Picasso ist einer der größten Künstler aller Zeiten. Aber was wäre gewesen, wenn er zehn Jahre früher oder später geboren worden wäre?", fragt er rhetorisch. Und stellt klar: "Ich bin nicht so größenwahnsinnig, dass ich mich für einen derart tollen Hecht hielte, der zu jeder Zeit etwas ganz tolles Neues gemacht hätte."
Westbam wurde am 4. März 1965 in Münster geboren. Keine zehn Jahre früher oder später. Nach ersten musikalischen Gehversuchen im Punk gibt er als 18-Jähriger 1983 sein Debüt hinter den Plattentellern, um nur rund ein Jahr später in einem Kurzaufsatz die Arbeit des DJs zur neuen Kunstform zu erheben. Wenig darauf erlebt er am eigenen Leib mit, wie sich seine Prophezeiung erfüllt. Er wird Label-Besitzer, Produzent, Initiator des Techno-Festivals Mayday und einer der begehrtesten DJs im In- und Ausland. Von ihrem beschaulichen Anfang bis zu ihrem tragischen Ende findet keine Loveparade statt, für die er nicht gebucht worden wäre.
Die Musik des 11. September
So kann der mittlerweile 48-Jährige in diesen Tagen nicht nur die Veröffentlichung seines neuen Albums "Götterstraße" feiern, sondern auch sein 30-jähriges Jubiläum an den Turntables. Drei Jahrzehnte, in denen er so manche Höhepunkte, aber auch Tiefschläge miterlebt hat - der schlimmste war wohl die Katastrophe auf der Loveparade. "Das war auch für mich ein sehr einschneidendes Erlebnis", sagt Westbam. Sein Entschluss, der Parade den Rücken zu kehren, stand dabei schon vorher fest - in Duisburg wollte er seinen Abschied von der Veranstaltung feiern. Doch dazu kam es nicht mehr. Angesichts der Tragödie sagte er seinen Auftritt ab. Zu dieser Entscheidung steht er heute ebenso noch wie zu der Einschätzung, dass die Loveparade nun nicht mehr stattfinden kann: "Wenn 20 Leute totgetrampelt wurden, ist die Party an der Stelle vorbei. Punkt."
Doch auch andere Ereignisse trübten nach Ansicht des DJs in den vergangenen Jahren die Feierlaune. Die Entwicklungen in der elektronischen Musik und den Trend zum "Geblubber" des Minimal zu Beginn des neuen Jahrtausends bringt er in Verbindung mit den gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen. "In den 90ern spiegelte wahrscheinlich nichts das Lebensgefühl jener Zeit zumindest in Europa besser wider als der größenwahnsinnige Happy Hardcore auf der Loveparade - nach dem Fall der Mauer herrschte Aufbruchsstimmung und Erleichterung. Man blickte positiv in die Zukunft", holt Westbam aus. "Mit den Terroranschlägen von New York hat sich dieses Blatt gewendet. Jetzt stellte man fest: Nee, die Welt findet uns gar nicht so toll, man liebt unsere Ideale gar nicht so wie gedacht." Übertragen auf die Musik sei das Ergebnis der Rückzug in die eigene Club-Welt gewesen: "Man wollte nicht mehr wie bei der Loveparade das Glück hinausposaunen, man wollte gar keinen mehr überzeugen, man wollte die Musik nicht mehr so laut haben und man wollte wieder Gesichtskontrolle."
Nein, die Zeit des "Techno-Biedermeier", wie Westbam die Nullerjahre auch nennt, war nicht seine. Schon mehr kann er da Newcomern wie Skrillex abgewinnen. "Das Tolle an Popkultur ist, dass immer wieder Leute kommen und innerhalb der begrenzten Mittel eine Formel finden, die doch wieder anders klingt", erklärt der 48-Jährige. "Bei Skrillex habe ich schon auch das Gefühl: Der Typ hat dem Ganzen wieder eine neue Formel verpasst." Für ihn könne das jedoch nicht bedeuten, sich daran messen zu lassen. "Das bringt mir als Künstler nichts. Spätestens wenn man über 40 ist, sollte einem klar sein, dass man sich nicht in einem solchen Wettbewerb der Klänge befindet", so Westbam. "Popmusik handelt zu großen Teilen immer von den Qualitäten des Nicht-Wissens und nach vorne Stolperns. Aber wenn man das mit fast 50 versucht, wird es zynisch. Mir ist bewusst geworden, dass ich mir keinen Wettlauf um den innovativsten Krach mit 20-jährigen DJs liefern sollte. In meinem Alter sollte ich nicht mehr mein Unwissen, sondern mein Wissen nutzen, um etwas Tolles über große Zeiträume zu erzählen", lautet Westbams Schlussfolgerung.
Der Typ aus dem Olymp
Dabei herausgekommen ist eben jenes Album "Götterstraße". Ein Alterswerk, könnte man sagen, auch wenn sein Macher dieses Wort - natürlich - nicht allzu gerne hört. In jedem Fall ist es eine Hommage an die Club-Kultur der vergangenen 30 Jahre, ohne dabei auch ein Club-Album zu sein. Stattdessen versammelt Westbam auf den insgesamt 14 Tracks eine imposante Schar an Gastsängern - von den Punk-Ikonen Iggy Pop, Hugh Cornwell (The Stranglers) und Richard Butler (Psychedelic Furs) über die Indie-Heroen Bernard Sumner (New Order) und Brian Molko (Placebo) bis hin zu Hip-Hop-Aushängeschildern wie Lil Wayne, Kanye West und Jungle Brothers. Die Frauenriege bilden indes mit Inga Humpe (2Raumwohnung) und Katt Rockell eine alte Elektro-Häsin und eine junge Soul-Röhre.
"Götterstraße" sei kein "größenwahnsinniges 90er-Album", erklärt Westbam. Wie alle seine Alben sei es an vielen Stellen eher ruhig geraten. "Allerdings nicht im Sinne von Minimal", ist ihm wichtig zu betonen. Außer Inga Humpe war keiner der beteiligten Sänger mit dem DJ zusammen im Studio. Stattdessen gingen "Soundkonserven" zwischen ihm und den anderen Musikern hin und her. Kein Problem, findet Westbam, im Gegenteil: "Das ist absolut konform zu der Idee von DJ-Musik."
Geld habe er nicht in die Hand genommen, um die Sänger für das Projekt zu gewinnen, erklärt Westbam. Vielmehr habe er auf das Musikinteresse der Stars gebaut. "Dass die Leute sich noch wirklich begeistern können, war für mich ein tolles Erlebnis", beschreibt er die Reaktionen auf seine Anfrage. Insbesondere das Mitwirken von Iggy Pop habe sein Herz höher schlagen lassen: "Die anderen großartigen Künstler mögen mir das verzeihen. Aber Iggy war, damals mit 15, mein erstes Konzert. Schon da war er auf dem Olymp. Dass dieser Typ aus dem Olymp nun heruntersteigt, sich meine Musik anhört und dazu wirklich etwas schreibt, ist für mich schon etwas ganz Besonderes."
Etwas Besonderes für den DJ ist das Album "Götterstraße", das ihm nach eigenem Bekunden persönlich wesentlich mehr bedeutet als die doch eher virtuelle Jubiläumszahl, allerdings so oder so. Auch wenn er mit dem Gesangs-Werk nicht zum ersten Mal sein ureigenstes Terrain verlässt. 2005 präsentierte er sein bis dato letztes Album "Do You Believe In The Westworld" auf einer Live-Tournee mit Band - und floppte. "Das ist bei mir immer das Risiko. Klar, Techno-Puristen werden jetzt womöglich sagen: 'Dieser Verräter - jetzt macht er etwas mit Songs'", sagt Westbam und ergänzt: "Aber als ich angefangen habe, DJ-Musik zu machen, sagte mein musikalisches Umfeld auch: 'Dieser Verräter - was soll das denn für ein Rotz sein?' Dass die Leute mich als Verräter wahrnehmen, ist die Geschichte meines Lebens." Angesichts der Größe der "Götterstraße", auf der Westbams betörende Klangcollagen mit den herausragenden Stimmen seiner Gastsänger zu einem großartigen Album verschmelzen, kann sich der Altmeister bei solchen Anwürfen jedoch getrost zurücklehnen. In dieser Geschichte ist Judas der Gute.
Quelle: ntv.de