"Forever Young" is' nicht Alphaville wollen Comeback
24.11.2010, 18:01 Uhr
Will es noch einmal wissen: Marian Gold.
Es ist das Schicksal vieler Bands: Ihre großen Hits von anno dunnemal pfeifen die Spatzen von den Dächern, doch daran anzuknüpfen scheint unmöglich. So ist das auch bei Alphaville. Trotzdem hofft ihr Sänger Marian Gold jetzt auf ein Comeback.
Alphaville? Wem beim Namen dieser Band nicht sofort "Forever Young" und "Big in Japan" einfallen, ist entweder noch im jüngsten Teenager-Alter, lebt in einem Vakuum ohne 80er-Jahre-Partys und ohne "das Beste aus den 80ern, den 90ern und von heute" oder hat aus sonstigen Gründen absolut keine Ahnung von Musik. Aber: Wem darüber hinaus noch "Sounds Like a Melody" in den Sinn kommt, ist fast schon gut. Und wer noch mehr Songs von der Gruppe kennt, ist bereits geradezu ein Freak - generell in Sachen Musik oder speziell im Falle Alphaville.
1983 in Münster gegründet, landete die Band um Sänger Marian Gold mit ihrem Debüt schon im darauf folgenden Jahr den großen Coup: Auf "Forever Young" ist nicht nur der gleichnamige Hit zu finden, sondern auch die beiden anderen oben genannten Gassenhauer. Überhaupt gehört die Scheibe zu den besten und schönsten Synthie-Pop-Platten der 80er Jahre. Darum und weil meine Vinyl-Ausgabe von ihr irgendwann mehr Rauschen als Töne produzierte, habe ich sie mir vor ein paar Jahren auch nochmal als CD zugelegt - Second Hand, für drei Euro oder so. Und obwohl ich gerade mit dem Auto zu einem Interview mit Marian Gold über sein neues Album "Catching Rays on Giant" fahre, komme ich einfach nicht umhin, statt diesem dann doch wieder sein inzwischen 26 Jahre altes Erstlingswerk in den CD-Schacht zu schieben.
Fluch oder Segen?
Die Frage ist bestimmt alles andere als originell, dennoch muss sie gestellt werden: Ist das Erbe von "Forever Young" für Marian Gold eigentlich ein Fluch oder ein Segen? "Also, ich empfinde das als Segen", antwortet er geradeheraus. "Wenn du Konzerte gibst, ist es einfach ein Privileg, ein paar Welthits im Gepäck zu haben." Letztlich sei das sogar hilfreich, "dass die Leute auch tatsächlich zuhören, wenn du neue Sachen spielst". Trotzdem: Ohne die alten Klassiker gehört zu haben, will freilich niemand nach Hause gehen. Und die Band tut ihrem Publikum den Gefallen. "Forever Young", das sei schon so etwas wie eine "Nationalhymne von Alphaville", sagt Gold. Nur mit dem Unterschied, dass diese Hymne nicht zur Eröffnung, sondern zum Abschluss eines Konzerts erklingt.
Der vollbärtige Mann, der mir gegenüber sitzt, hat nur noch wenig mit dem Alphaville-Sänger gemein, der mir aus den Musikvideos in meinen Kindheitstagen verschwommen in Erinnerung ist. Kein Wunder: Marian Gold ist mittlerweile 56. Er war mehrmals verheiratet und hat insgesamt sechs Kinder. Wer zurückrechnet, wird feststellen, dass er bereits zu Beginn seiner Karriere 30 Jahre alt und somit schon damals eigentlich fast jenseits des Popstar-Verfallsdatums war. "Ja, aber die Bravo hat geschrieben, ich wäre 18. Und das haben auch alle geglaubt", wirft Marian Gold ein. "Ich habe mich immer sehr darüber amüsiert, in jeder Ausgabe von irgendeiner Pop-Gazette ein anderes Alter zu lesen. Mal war ich 19, mal war ich 23. Nichts davon stimmte, aber ich habe das nicht weiter korrigiert." Hinderlich sei sein tatsächliches Alter damals nicht gewesen. Das sei es eher heute, erklärt der Sänger lachend: "Viele Leute rechnen: Damals war der 18, jetzt ist er also so Anfang 40 - mein Gott, dafür sieht er aber alt aus."
"Was für eine Scheiße"
Ach ja, das Alter. Mit dem hat Marian Gold so seine Probleme, wie er unumwunden zugibt: "Ich merke in zunehmendem Maße, was für eine Scheiße es ist, älter zu werden. Das gefällt mir überhaupt nicht", erklärt er. Auch als Künstler habe er nicht das Gefühl, davon profitieren zu können. Im Gegenteil: "In dem Moment, in dem du im Studio eine Idee hast, kommen auf einmal von allen Seiten Erfahrungswerte heran gestürzt. Das alles einfach mal abzuschmeißen und wieder instinktorientiert und spontan heranzugehen, wird immer schwieriger, je älter man wird", sagt Gold und kommt zu einem wenig aufmunternden Fazit: "Ich empfinde das Altern als einen permanenten Verlust von Fähigkeiten." Dass älter werden doof ist, finde ich auch, ernte aber, als ich mein Alter verrate, von Gold nur ein ironisches "ooohh, wäre das schön, wenn ich das nochmal erleben dürfte".
Vor diesem Hintergrund muss eine Frage natürlich gestellt werden, auch wenn es für sie abermals nicht den Pulitzer-Preis geben wird: Wie war das nochmal mit "Forever Young"? "Bei einem 56-Jährigen ist das durchaus berechtigt", zeigt sich Gold gnädig. "Ich kann nur sagen: 'Forever Young' war schon immer ein sehr ironischer Kommentar zur fixen Idee von der ewigen Jugend", erklärt er. Der Song sei ein "Paradebeispiel" für so manch visionäre Texte aus ihrer musikalischen Anfangszeit, "bei denen wir damals keine Ahnung hatten, dass wir irgendwann mal selbst davon betroffen sein werden".
Beinahe schüchtern
Marian Gold, der ganz in Schwarz gekleidet ist, macht einen sensiblen und verletzlichen Eindruck - nicht nur in seinen Antworten, sondern von seiner ganzen Art. Beinahe wirkt er schüchtern. Jedenfalls ist er alles andere als ein Poser. Eigentlich müsste man ihm sagen, dass das doch ein sehr angenehmer Wesenszug ist, der womöglich auch mit dem Alter zusammenhängt. Junge Popsternchen machen gerne unangenehm auf dicke Hose, weil sie eben keine Ahnung haben, dass auch sie "irgendwann mal selbst davon betroffen sein werden", nicht mehr "Forever Young" zu sein. Er nicht. Oder vielleicht auch nur nicht mehr.
Ob Marian Gold vor allem mit dem Alter an sich hadert oder doch eher den großen Erfolgen aus den lange vergangenen jüngeren Zeiten nachtrauert, ist schwer herauszulesen. Vermutlich ist es von beidem etwas. Klar ist: Ein Mann wie er hat es im heutigen Musikbusiness nicht leicht. Längst ist er das letzte verbliebene Original-Mitglied von Alphaville. Musikkritiker begegnen Gruppen mit einer vergleichbaren Historie meist ablehnend. Überhaupt noch gehört zu werden, ist da schon schwer, ignoriert zu werden, manchmal schon gut, als - wie in einer im Internet zu findenden Besprechung der neuen CD geschehen - "dickes Pferd im Anzug" runtergemacht zu werden, wirklich hart.
Von der Bühne zum Label
Möglicherweise hat auch das den Sänger ein Stück weit zurückhaltend gemacht, wenngleich er über den Abstieg vom einstigen Bravo-Cover-"Boy" zum 80er-Jahre-Überbleibsel äußerst nüchtern referiert. Dann etwa, wenn er über die Zeit um die Jahrtausendwende spricht, als die Gruppe ihre Musik ausschließlich über das Internet vermarktete. Gold bemüht sich erst gar nicht, das als fortschrittliche Strategie zu verkleistern: "Ende der 90er liefen die Verträge mit Warner aus. Einen neuen Vertrag gab es nicht - wegen Erfolglosigkeit, muss man aus Sicht der Plattenfirma wohl sagen. Die Umsatzzahlen, die sie sich vorstellten, haben wir nicht mehr erreicht."
Aus der Not machte man eine Tugend. Außer den Internetprojekten widmete sich die Gruppe ausgedehnten Tourneen. Jährlich 20 bis 50 Konzerte habe Alphaville in den vergangenen Jahren gegeben, erklärt der Sänger, im Schnitt vor 800 bis 1.800 Zuhörern. Nein, die notorischen Einkaufshäuser, in denen man so manche altbekannte 80er-Jahre-Band schon absteigen sah, seien das nicht gewesen. Die entsprechende Frage weist Marian Gold entrüstet zurück: "Das würde ich nicht als Tournee bezeichnen!" Neben der Live-Erfahrung sammelte man zahlreiches neues Material zusammen - auf das nun mit Universal abermals eine große Plattenfirma aufmerksam wurde und Alphaville wieder unter Vertrag nahm.
Von Bowie bis Hurts
So gesehen ist das neue Album "Catching Rays on Giant" der Lohn einer Ochsentour. Warum tut sich Marian Gold mit seinen 56 Jahren diesen Stress im Popbusiness denn überhaupt noch an? "Ich bin einfach mit Leib und Seele dieser Künstler", antwortet er darauf ungewohnt bestimmt. "Ich habe eine obsessive Beziehung zu Musik. Das ist nicht nur ein Antrieb, sondern irgendwie schon auch eine Sucht, Musik zu kreieren, sie anderen vorzuspielen und dafür geliebt zu werden - oder zumindest zu hoffen, dass das so ist." Da war sie wieder, die Sehnsucht nach den früheren Erfolgen. Vielleicht jedenfalls.
An Marian Golds Liebe zur Musik indes gibt es keine Zweifel. "Ich bin ein extremer Fan von Musik, auch von neuer Musik. Ich gehöre nicht zu der Kategorie Menschen, die nur das gut finden, was sie schon in ihrer Jugend mal gut fanden", sagt er. Über David Bowie gerät er dabei genauso ins Schwelgen wie über Wolfsheim. Und auch für neuere Gruppen wie Hurts oder MGMT ist er voll des Lobes. "Ich habe schon als Achtjähriger unheimlich viel Musik gehört, erst mal natürlich nur die, die meine Eltern in ihrem Plattenschrank hatten", gerät der Sänger ins Plaudern. "Es gab auch Musik, die mich so stark berührt hat, dass ich vor dem Plattenspieler saß und heulte wie ein Schlosshund. Vor allem bei Klassik." Da war er wieder, der sensible Marian Gold, der er vielleicht dann doch auch schon als Achtjähriger war.
Mehr als Schulterpolster
Dass viele jüngere Bands sich vom Sound der 80er Jahre inzwischen wieder inspirieren lassen, freut den Sänger. Schließlich sei das nicht nur die Zeit der komischen Frisuren und Schulterpolster gewesen. "Da hat sich eine Musik entwickelt, die selbst heute noch eine Relevanz hat, wenn man an Leute wie Gary Numan, The Cure oder Ultravox denkt. Das ist der Aspekt, der mich interessiert", sagt Marian Gold, der sich und Alphaville selbst bereits als "Epigonen" dieser Künstler sieht.
Dass "Catching Rays on Giant" wieder "sehr roots-orientiert an den ersten Alphaville-Alben anknüpft", sei dennoch eher ein Zufall, versichert Gold. "Das waren einfach die besten Stücke aus dem Gesamtreservoir an 50, 60 Stücken, die wir in den letzten Jahren geschrieben haben", erklärt er und fügt gewohnt zurückhaltend hinzu: "Ich denke, dieses Album ist nun nicht besonders innovativ oder avantgardistisch. Aber es ist eine sehr geschlossene Sache - vielleicht das geschlossenste Album, das wir je produziert haben."
Ein Link für ein Bier
Eine Kostprobe davon soll es wenige Tage nach dem Interview vor ausgewähltem Publikum in einem Club in Berlin geben. Nicht gerade ein Szene-Club, sondern ein traditionsreicher Jazzkeller im arrivierten Stadtteil Charlottenburg. Genauso passend oder unpassend wie es eben auch ein 56-jähriger Sänger und eine Band wie Alphaville im heutigen Popbusiness ist. Zu den Besuchern jedenfalls passt die Location ganz gut. Der Altersdurchschnitt liegt definitiv über 40, viele tragen Band-T-Shirts und sind unschwer als Fanclub-Mitglieder zu identifizieren. Marian Gold wuselt in der Menge umher, scheinbar trifft er hier auch viele alte Bekannte. An der Bar spricht mich ein Typ an, der sich als Macher des größten Alphaville-Forums im Netz entpuppt. Da er mir ein Bier spendiert, verspreche ich ihm, in meinem Artikel einen Link zu setzen: Hier geht es zum Alphaville-Forum.
Zweieinhalb Stunden müssen die Leute warten, dann betreten Marian Gold und seine Mitstreiter die Bühne. Und, ja, man sieht wie der Sänger auf dieser aufgeht, auch wenn er zunächst ein wenig Bammel vor dem Auftritt einräumt, weil er angesichts des Anlasses ausnahmsweise mal nicht ganz nüchtern geblieben ist. Doch selbst an diesem Abend, bei dem es um die Vorstellung des neuen Albums gehen soll, ist die Vergangenheit allgegenwärtig. Nur sechs Songs bringen Alphaville zum Besten. Drei davon sind, wer hätte es gedacht, "Big in Japan", "Forever Young" und "Sounds like a Melody" - natürlich sehr zur Freude des textsicher mitsingenden Publikums. Ein wenig enttäuscht und irritiert fahre ich nach Hause und schiebe eine CD in mein Autoradio. Na, raten Sie mal, welche.
Quelle: ntv.de