"Ich will weltberühmt sein" Frauen-Power: Marina and the Diamonds
30.05.2012, 15:29 Uhr
Eine Frau für alle Fälle: Marina Diamandis alias Marina and the Diamonds alias Electra Heart.
(Foto: picture alliance / dpa)
Selbst ist die Frau. Und selbstbewusst. Mit ihrem zweiten Album "Electra Heart" will Marina Diamandis, besser bekannt unter ihrem Künstler-Pseudonym Marina and the Diamonds, hoch hinaus. Im n-tv.de Interview spricht die Sängerin über Liebe, Blondinen, Tom, Jerry und darüber, was es ausmacht, eine Frau zu sein.
Selbst ist die Frau. Und selbstbewusst. Mit ihrem zweiten Album "Electra Heart" will Marina Diamandis, besser bekannt unter ihrem Künstler-Pseudonym Marina and the Diamonds, hoch hinaus. Im n-tv.de Interview spricht die Sängerin über Liebe, Blondinen, Tom, Jerry und darüber, was es ausmacht, eine Frau zu sein.
n-tv.de: Frau Diamandis - oder sollte ich lieber sagen Frau Electra Heart …
Marina Diamandis: Oh nein, Frau Diamandis ist voll in Ordnung. Und du sprichst es sogar richtig aus. Das machen nicht alle.
Gleichwohl scheint "Electra Heart" nicht nur der Titel deines neuen Albums zu sein, sondern auch eine Art Alter Ego. Was ist das Konzept dahinter?
Der Albumtitel steht für eine Reihe weiblicher Archetypen. Es geht also eigentlich nicht um den Entwurf einer einzelnen Person, sondern eher um eine Art Prisma weiblicher Charaktere. Das benutze ich als Folie, um eine Geschichte zu erzählen.
Insgesamt sind es vier unterschiedlichen Frauen-Typen, auf denen diese Geschichte basiert. Wie bist du darauf gekommen?
Ich habe vor knapp einem Jahr damit angefangen, mich selbst in verschiedenen Outfits zu fotografieren. Mich interessierte die ganze Thematik von Identitäten und die Frage, welchen Einfluss das Zerbrechen einer Beziehung, wie es mir leider passiert ist, darauf hat. Eines Tages war ich dann im Studio. Der Produzent sah sich meine Arbeit und meine Webseite an und fragte mich, ob ich schon einmal von Cindy Sherman gehört hätte (US-amerikanische Fotografin, die sich mit Rollenbildern befasst, Anm. d. Red.). Das hatte ich nicht. Also habe ich mich mit ihr beschäftigt.
Und was hast du herausgefunden?
Ich fand ihre Arbeit wunderbar. Und ich habe verstanden, was sie damit zum Ausdruck bringen will. Es gab sehr viele Parallelen zu dem, was ich gemacht habe. So hat sich das Konzept nach und nach herauskristallisiert. Und jetzt flankiert es die Musik.
Du hast dafür sogar deine Haarfarbe von Braun auf Blond geändert …
(lacht) Ja!
Warum?
Tatsächlich gibt es mehrere Gründe dafür. Blond ist für viele verschiedene Dinge symbolisch. Ich glaube, in gewisser Weise wurde ich dazu einmal mehr von der amerikanischen Kultur inspiriert. Mich interessiert, welche Auswirkungen das darauf hat, wie du wahrgenommen wirst. Als Blondine werde ich in vieler Hinsicht ganz anders behandelt als zuvor.
Zum Beispiel?
Männer gehen jetzt mit mir um, als wäre ich die Unschuld in Person. Blond scheint tatsächlich ein Symbol für Unschuld zu sein. (lacht) Ich habe mir viele Gedanken über blonde Stars gemacht, die eigentlich brünett sind oder waren - nimm nur Madonna oder Marilyn Monroe. Ich frage mich, ob sie die gleiche Karriere gemacht hätten, wenn sie ihre Haare nicht gefärbt hätten.
Du hast über das Album gesagt: "Die Botschaft ist sehr einfach: Liebe". Es ist noch gar nicht allzu lange her, da meintest du, es gäbe genau ein Thema, über das du nicht sprechen wolltest: Liebe ...
Ich glaube, dafür, dass ich das damals gesagt habe, gab es einen Grund. In gewisser Weise zahlt man für die Liebe einen Preis. Wenn man in der Liebe oder in einer Beziehung verliert, fühlt es sich beschämend an. Und natürlich spricht niemand gerne darüber, zurückgewiesen zu werden oder darüber, der Verlierer zu sein. Ich hatte wohl Angst davor, darüber zu singen.
Glaubst du noch an die Liebe?
Ja, das habe ich immer. Allerdings habe ich nie an eine Liebe wie im Märchen geglaubt. Ich habe mir auch noch nie Gedanken über das Heiraten gemacht. Und ich glaube auch nicht, dass Menschen dafür gemacht sind, für alle Zeiten immer nur mit einer Person zusammen zu sein. Menschen entwickeln sich unterschiedlich. Und für jemand, den ich mit 28 sehr liebe, empfinde ich 20 Jahre später womöglich ganz anders. Dass es in unserer Gesellschaft wie ein Versagen angesehen wird, wenn man sich nach so langer Zeit trennt, ist eine Schande. Hey, 20 Jahre sind eine verdammt lange Zeit.
Ein Thema, das dich nicht loszulassen scheint, ist Amerika und die amerikanische Kultur. Darum ging es auch schon in deinem Hit "Hollywood". Ist das Faszination oder Abneigung, was dich umtreibt?
Es geht mehr darum, wofür der Lifestyle und die Kultur stehen - für Illusion. Das inspiriert mich sehr. Und es wirft in mir sehr viele Fragen auf - über Wahrnehmung und Identität. Darüber, welche Seiten man den Leuten von sich zeigt und wie man wahrgenommen werden will auf der einen sowie der Realität auf der anderen Seite. Für Amerika ist es typisch, alles schönzufärben, so dass es auf einen ganz wundervoll wirkt. Ich liebe das. (lacht) Den Menschen in Amerika ist so eine Art naive Hoffnung eigen, die mich irgendwie anspricht.
Du bist auch viel durch die USA getourt. Das neue Album soll hauptsächlich dort entstanden sein …
Ja, während wir dort unterwegs waren. "Lies" etwa ist in Asbury Park entstanden, der Heimatstadt von Bruce Springsteen. Auch den Text von "Homewrecker" habe ich weitgehend im Tourbus geschrieben. Das, was man jeden Tag beobachtet, beeinflusst den Sound eines Albums natürlich enorm. Vor allem bei den etwas weniger poppigen Songs auf "Electra Heart" hört man ganz sicher so eine Art mittelamerikanischen Einfluss heraus.
Früher hast du Songs mit Computerprogrammen wie "GarageBand" komponiert. Wie machst du das heute?
Genauso. Eigentlich sogar noch schlimmer - mit einem Diktafon und Kassetten. (lacht) Aber so komme ich damit am besten klar. Ich mag es simpel.
Stimmt es, dass du gar keine Noten lesen kannst?
Nein. Ich könnte es schon, aber, ganz ehrlich, ich habe es seit ungefähr acht Jahren nicht mehr gemacht. Einfach, weil ich es nicht wirklich gebraucht habe. Im College allerdings hat mir das ziemlich Spaß gemacht. Ich mochte es, vom Blatt zu singen.

Sie stand schon im Vorprogramm von Gotye, Katy Perry und Coldplay auf der Bühne.
(Foto: picture alliance / dpa)
Das Ziel, Popstar zu werden, hast du sehr ehrgeizig verfolgt. Du hast dich zum Beispiel mehrfach an Musikschulen beworben und bist bei diversen Castings für Musicals vorstellig geworden. Einmal sollst du sogar versucht haben, Mitglied einer Boygroup zu werden …
Ja, kann man sich kaum vorstellen …
Wie hast du ausgesehen, als du da zum Vorsingen gegangen bist? Hast du dir einen Bart angeklebt?
(lacht) Nein. Ich habe einen Hut getragen. Aber ich wollte gar nicht wirklich wie ein Junge aussehen. Worum es mir ging, war, dass sie denken: "Wenn sie sich traut, hier zusammen mit vielleicht hundert Jungs aufzutauchen, dann muss sie es wirklich wollen." Weil sie Mitleid mit mir hatten, haben sie mich dann auch rein gelassen. Und sie haben mich später sogar zurückgerufen. Insofern war es gut. (lacht)
Inzwischen hast du es geschafft und bist ein Popstar. Ist jetzt alles so, wie du es erwartet hattest?
Wie ich es erwartet hatte schon, aber nicht, wie ich es gewollt habe.
Weshalb?
Weil ich noch mehr anerkannt sein will. Ich möchte eine lang andauernde Karriere erleben. Das erste Album "The Family Jewels" war für mich nur der erste Schritt. Mit ihm war nicht mehr zu erreichen. Es ist weitgehend unter meiner Eigenregie entstanden und produziert worden. Ich habe dabei kaum mit anderen Leuten zusammengearbeitet. Beim neuen Album habe ich die Zügel etwas mehr aus der Hand gegeben, weil ich von anderen Leuten, die Profis sind, lernen muss.
Du bedauerst es also nicht, dass du jetzt Musikerin bist und keine Psychologin, was du mal als Job-Alternative für dich genannt hast …
Nein, um Himmels willen. An dem Punkt, an dem ich jetzt stehe, bin ich total glücklich und dankbar - auch wenn das natürlich wie ein Klischee klingt. Mir ist das Privileg meiner Position bewusst.
Auch wenn du sagst, dass mit dem ersten Album nicht mehr zu erreichen gewesen sei, so war es für ein Debütalbum doch sehr erfolgreich und hat sehr gute Kritiken bekommen. Hat dir das Druck für den Nachfolger gemacht?
Ja, aber der ging nicht von den Medien oder der Öffentlichkeit aus, sondern von mir selbst. Ich habe mir gesagt: Du musst den Leuten beweisen und sie überzeugen, dass du keine Eintagsfliege bist. Sie müssen erkennen, dass du eine Begabung als Songwriterin hast. Dafür muss ich besonders hart arbeiten. Und das nicht, weil mein erstes Album so fantastisch gewesen wäre. (lacht) Es war eher andersherum. Ich fand wirklich, dass es nicht gut genug war.
Dabei wurdest du zum Beispiel von der BBC zu einer der besten Newcomerinnen 2010 erklärt …
Ja, aber ich will weltberühmt sein. (lacht) Ich bin wenigstens ehrlich.
Was sind denn für dich die wesentlichen Unterschiede zwischen den beiden Alben?
Ich denke, der Sound ist jetzt wesentlich ausgeklügelter. Das ist auch logisch, wenn du dir vor Augen führst, wie ich früher auf meinem 100 Pfund teuren Keyboard Songs gespielt habe, die ich so zwischen 21 und 24 geschrieben habe. Jetzt bin ich durch die Welt gereist und habe mit Leuten zusammengearbeitet, die als Genies der Popmusik gelten.
Zum Beispiel?
Die meisten Songs auf dem neuen Album habe ich mit Rick Knowles geschrieben, der zum Beispiel auch schon für Madonna oder Belinda Carlisle komponiert hat. Von solchen Leuten kann man wirklich sehr viel lernen. Auch meine Stimme hat sich sehr verändert. Nachdem ich so viel getourt bin, klingt sie wesentlich gereifter. Ich hoffe, sie ist besser geworden. (lacht)
Gehen wir nochmal zurück an den Anfang deiner Karriere. Da bist du im Vorprogramm von Gotye aufgetreten. Er ist jetzt auch ein richtiger Star geworden …
Ja, ich weiß. Ich bin echt stolz auf ihn. Okay, eigentlich kenne ich ihn gar nicht näher. Aber für Musikerinnen wie mich ist es natürlich toll zu sehen, dass er schließlich den Durchbruch geschafft hat. Er ist so verdammt gut.
Du warst aber nicht nur mit Gotye auf Tour, sondern auch mit Katy Perry und Coldplay, die du in diesem Sommer wieder begleiten wirst …
Ja, das ist der Wahnsinn. Das bedeutet Stadien! (lacht)
Katy Perry auf der einen und Coldplay auf der anderen Seite - das ist zugleich eine ziemlich große Spannbreite …
Ja, das ist geradezu typisch für meine Karriere und dafür, was die Leute von mir denken. Ich könnte in beiden Fällen gut zum Publikum passen. Man kann mich nicht so recht einordnen. Gut oder schlecht? Wie ärgerlich! (lacht)
Wo fühlst du dich denn eher zu Hause?
Oh mein Gott, sie sind so unterschiedlich. Da spielt auch das Geschlecht eine wichtige Rolle. Mein Verhältnis zu Katy ist ein anderes, ganz einfach, weil sie eine Frau ist. Und sie hat eine ganz eigene Geschichte. Sie wurde drei oder vier Mal von Plattenfirmen fallen gelassen, ehe sie es geschafft hat. Coldplay dagegen mag ich aus komplett anderen Gründen - sie sind als Indie-Kids groß rausgekommen. Ich weiß, das ist eine lahme Antwort, aber ich schätze sie beide auf eigene Art und Weise.

Das Album "Electra Heart" von Marina and the Diamonds ist ab sofort erhältlich.
(Foto: Warner Music Group)
Wenn du das Geschlecht ansprichst: Du bezeichnest dich selbst als Feministin. Was heißt das für dich?
Wer, der bei vollem Verstand ist, ist das nicht? Wenn eine Frau sagt, sie sei keine Feministin, bedeutet das im Grunde, dass sie nicht an die Gleichberechtigung von Frauen glaubt. Das bedeutet es jedenfalls für mich, auch wenn ich natürlich weiß, dass es da unterschiedliche Konnotationen gibt und manche Menschen nur das Wort nicht mögen. Ich mag es eigentlich auch nicht. (lacht) Aber das ist, was es für mich bedeutet: Ich sollte die gleichen Rechte wie jeder andere haben.
Du lebst in Wales, bist aber griechischer Abstammung. Dein Vater ist Grieche. Da scheint es nahe zu liegen, dich nach der derzeitigen Situation in Griechenland zu fragen. Wie siehst du das?
Eigentlich liegt das nicht so nahe, weil ich nicht dort lebe und mit dem Alltagsleben dort nicht vertraut bin. Aber ich glaube, dass es wirklich sehr hart ist, besonders für meine Generation. Das ist echt traurig.
Du hast aber doch zwei Jahre in Griechenland gelebt …
Ja, als ich 16 war. Das ist zehn Jahre her. Ich glaube, in gewisser Weise haben die Menschen das alles vorausgesehen. Athen ist jetzt wunderschön, die Architektur ist wundervoll, alles blitzt und blinkt - wegen der Olympischen Spiele dort 2004 und den ganzen Investitionen, die dafür gemacht wurden. Aber die Menschen sind wirklich arm. Das ist ziemlich verstörend.
Mit Blick auf Griechenland hilft ab und an vielleicht nur noch schwarzer Humor. Du sagst von dir selbst, ein sehr humorvoller Mensch zu sein. Worüber kannst du lachen?
Ich glaube, viel Humor beziehe ich tatsächlich daraus, eine Frau zu sein - aus den Vorstellungen der Menschen von Weiblichkeit, was es ausmacht, eine Frau zu sein, und wie man sich als solche benehmen sollte. Was noch? Ich kann keine Witze erzählen. (lacht) Aber ich liebe schwarzen Humor, zum Beispiel den skandinavischen.
Und du magst Cartoons …
Ja, auch wenn ich nicht mehr so viele ansehe wie früher. Ich mag Aristocats. Und Looney Tunes.
Tom und Jerry?
Ja.
Zu wem hälst du da - zu Tom oder zu Jerry?
Gute Frage. Ich halte zu … Jerry.
Falsche Antwort.
(lacht) Sorry!
Mit Marina Diamandis alias Marina and the Diamonds sprach Volker Probst
Marina and the Diamonds befinden sich im September 2012 auf Tournee mit Coldplay: Köln (04.09.), München (12.09.), Leipzig (14.09.), Hannover (22.09.)
Quelle: ntv.de