Rea Garveys erstes Soloalbum "Wie der erste Sex"
30.09.2011, 08:54 Uhr
Sein erstes Soloalbum ist für Rea Garvey aufregend wie der erste Sex.
(Foto: Nela König / Universal Music)
Sein Vorname steckt im Bandnamen. Jetzt geht er seinen eigenen Weg. Rea Garvey von Reamonn hat sein erstes Soloalbum "Can't stand the silence" aufgenommen. Er geht damit in eine neue Richtung. Als Musiker und als Mensch.
n-tv.de: Dein erstes Soloalbum heißt "Can't stand the silence." Ist das eine Art Lebensmotto?
Rea Garvey: Es ist mehr ein aktuelles Motto. Manchmal sieht man ein Paar im Restaurant, das nicht miteinander redet. In so einer Beziehung zu sein, wäre für mich der Tod. Und "Reamonn" war fast an diesem Punkt angekommen, sodass ich dachte: Jetzt muss ich die Stille brechen. In einer Band hat man Verantwortung und dann fühlt man sich als Musiker eingeschränkt. Ich hatte das Gefühl, ich muss etwas Anderes, Neues machen. Natürlich ist das egoistisch, aber ich finde Egoismus gut, solange er einen selbst fördert und niemand anderem schadet. Da wir sowieso eine Pause angekündigt hatten, war es für mich wie eine Befreiung. Ich durfte alles machen, nicht nur träumen. Ich wollte mehr erleben und mich als Musiker verbessern. Diese Entwicklung passiert nicht nur als Musiker, sondern auch als Mensch. Die Platte war ein Wahnsinnsabenteuer und Erlebnis.
Hattest du Angst vor dem Klischee, dass ein Soloalbum von einem Bandmitglied, das sich von einer erfolgreichen Band löst, immer schlecht sei?

Nach elf Jahren legte eine der erfolgreichsten Bands in Deutschland eine Pause ein. Rea Garvey: "Ein neues Reamonn-Album wäre eine Katastrophe geworden."
(Foto: Universal Music)
Kritik hätte es so oder so gegeben. Ein neues Reamonn-Album wäre auch kritisiert worden. Worauf ich mich konzentrieren musste, war andere Musik und das, was mir wichtig war. Ich glaube, hätten wir jetzt ein neues Reamonn-Album gemacht, wäre das eine Katastrophe geworden. Du brauchst beim Musikmachen diese Magie und du darfst nicht versuchen, etwas vorzutäuschen, was nicht da ist. Wenn es dann geheißen hätte, okay, der ist weg vom Fenster, ein paar Jahre noch, dann ist die Band tot, wäre das ein viel schlimmeres Erlebnis gewesen als das Luxusleben und den Erfolg von Reamonn aufzugeben und zu scheitern. Es ist mir wichtiger, zu leben und zu kämpfen, als mich zurückzulehnen. Es ist neu, es ist ein Abenteuer mit viel Risiko, aber ich liebe diese Platte und das zeigt mir, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe. Es macht mir Spaß, die Platte zu präsentieren, zu spielen, es ist aufregend wie der erste Sex.
Fühlst du dich auch ein bisschen einsam auf der Bühne ohne deine Kollegen?

"Ich bin in eine andere Richtung gegangen. Als Musiker und als Mensch."
(Foto: Nela König / Universal Music)
Ich hab auf jeden Fall eine Live-Band dabei. Es sind andere Leute, die ich auch sehr mag und mit denen ich die Platte auch zum Teil aufgenommen habe. Eine meiner Schwestern ist dabei, sie singt und spielt manchmal Keyboard. Ich bereue nichts. Keiner ist gestorben, ich bin einfach in eine andere Richtung gegangen. Zum Teil musikalisch, aber auch persönlich. Ich genieße es, habe total Spaß dran und würde mir wünschen, dass die anderen genau das Gleiche erleben könnten. Ich wünsche niemandem etwas Böses. Als Musiker musst du auch für dich selber denken können. Wenn du selber nicht glücklich bist, wie willst du dann jemand anderes glücklich machen? Es wäre für mich der Tod, wenn ich eines Tages denken würde, hätte ich es doch damals anders gemacht. Da denke ich lieber, es ist blöd gelaufen, aber dass ich es getan habe, war wichtig.
Was der ist Unterschied, wenn man alleine an einer Platte arbeitet oder wenn du da noch vier Jungs sitzen hast, mit denen du dich einigen musst?
Die Frage ist die Antwort. Entweder kannst du alles alleine entscheiden oder du musst dich mit vier anderen Leuten abstimmen. Klar macht es mehr Spaß, alles alleine zu entscheiden. Durch diese Zeit fühle ich mich jetzt auch kompetent in der Rolle. Ich hätte das vielleicht vor zwei Platten noch nicht machen können. Aber irgendwann willst du einfach alles alleine bestimmen. Klar ist es egoistisch, aber ich will auch das Beste für mich haben und dann muss ich auch alles alleine bestimmen. In der Band, wo man sich gegenseitig respektiert, macht man Kompromisse und die sind nicht immer die richtige Entscheidung. Ich habe das auch von vielen Freunden gelernt. Paul van Dyk, Xavier Naidoo, Mary J. Blidge und Nelly Furtado sind alles Solokünstler und -Künstlerinnen, die mich auch damit beeindruckt haben, wie sie alles entscheiden. Ich saß mit Nelly backstage, als wir auf Europatournee waren und als der Manager kam und eine Frage nach der nächsten stellte, konnte sie sofort entscheiden, so und so machen wir das. Ich finde es ziemlich cool, wenn man das alles kann.
Hast du damals schon gedacht, dass du eines Tages ein Soloalbum machen würdest?
Es ist Teil einer natürlichen Entwicklung. Ich hatte es nicht geplant, aber durch die Pause war die Möglichkeit da. Ich wollte schon vor fünf Jahren eine Soloplatte machen, aber innerhalb der Band habe ich gespürt, dass es der falsche Zeitpunkt ist. Jetzt stellt sich heraus, dass es nie den perfekten Zeitpunkt dafür gibt.
Auf der Platte sind elektronische Einflüsse zu hören. Woher hast du die Inspiration genommen, diese Musik zu machen?

Elektronische Einflüsse sind auf "Can't stand the silence" zu hören.
(Foto: Universal Music)
Ich glaube, die bewusste Inspiration war die elektronische Musikszene in London. Sie ist wieder jung und energetisch, London brummt im Moment. Ich habe mit Andy Chatterley gearbeitet, der für Leute wie Kayne West und Muse gearbeitet hat. Andy ist ein Genie, wenn es um Sounds geht, er war früher auch selber DJ. Es hat richtig viel Laune gemacht, die ganzen Sounds und Beats zu kreieren. Mit Paul van Dyk, mit dem ich auf Welttournee gegangen bin, habe ich eine Elektroszene erlebt, die ich so noch nicht kannte. Tausende Menschen, die zum Beat einfach loslassen und sich frei fühlen. Für das Album habe ich versucht, eine Mischung hinzukriegen aus Sound, Gesang, Text und Melodie. Das ist nicht immer einfach, denn manchmal reicht dir schon der Beat.
Welche Rolle haben deine Reisen für das Album gespielt?
Angefangen hat alles mit der Welttournee mit Paul van Dyk. Ich war in L.A., Miami und New York. In Nashville habe ich mit vielen bekannten und unbekannten Songwritern geschrieben und war irgendwie auf der Suche. Ich suchte einen gewissen Sound, ein Lied. Wenn zwei Leute zusammen einen Song schreiben, wissen beide nicht, ob am Ende ein Rocksong, Country oder so etwas wie "Can't stand the silence" dabei rauskommt. Das will ich auch gar nicht. Es gibt Songwriter, die kommen mit einem Portfolio und sagen: "Diesen Song wirst du lieben". Ich will selbst meinen Teil dazu beitragen. In London habe ich mit Ian Archer, der für Snow Patrol geschrieben hat, und Andy "Can't stand the silence" geschrieben. Da wusste ich, in welche Richtung das Album geht.
Nach deinen Reisen bist du wieder in eine deiner Wahlheimaten, Berlin, zurückgekehrt. Warum ist es hier am schönsten?
In Berlin gibt es so viel zu erleben. Du kannst non-stop in Bewegung bleiben. Berlin kann man echt lieben, es rockt im Moment einfach, du triffst so viele Musiker, jede Kneipe hat eine eigene Geschichte. Ich war 1990 in Berlin und so fühlt es sich wieder ein bisschen an, wieder jung und cool. Irgendwann kommt aber dann der Punkt, an dem ich den Stecker ziehen muss. Ich wohne mittlerweile auch auf dem Land in der Nähe von Frankfurt, wo meine Frau herkommt und pendle immer hin und her.
Du wirst in der Jury von "The Voice" sitzen, einer Show, bei der man auf einen Schlag berühmt werden kann. Du selbst hast deine Band per Zeitungsannonce gefunden. Braucht die Musikszene Casting-Shows?

Seinen Ruhm hat er sich hart erarbeitet. Rea weiß, wie es sich anfühlt, in einer Kneipe auf dem Pooltisch zu schlafen.
(Foto: Universal Music)
Ich sehe es weniger als Casting-Show, mehr als Musikshow. Wir sind keine Juroren, sondern Coaches. Ich denke, ich bin ein guter Botschafter für Musik. Ich habe einen Jungen gesehen, der hat mich sehr an mich selber erinnert vor 15 Jahren. Wie er mit seiner Klampfe auf die Bühne kam und so wie ich früher spielte, auf Studentenpartys, um Mädchen zu beeindrucken, zu dem habe ich gesagt: Du brauchst noch ein paar Jahre. Wir können auch nur eine Tür aufmachen, den Erfolg müssen sich die Leute selber erschaffen.
Hättest du dir, als dich noch keiner kannte, manchmal gewünscht, jetzt schnell berühmt zu sein?
Ich bin den langen Weg gegangen, und der ist hart. Wenn du im Club warten musst, bis der Letzte ausgetrunken hat und geht, damit du auf dem Pooltisch schlafen kannst, das habe ich jahrelang gemacht. Ich weiß, dass ich nicht dahin zurück will, aber wenn man das einmal durchgemacht hat, weiß man, dass man es aushalten kann. Ich habe Clubtouren gemacht, drei, vier Jahre in Irland, dann bin ich nach Deutschland gezogen, habe da Kneipentouren gemacht, kleine Sachen. Und heute weiß ich, der Erfolg steht mir zu. All das landet nicht im Nichts. Leute, die vom ersten Tag an dabei sind und es sich langsam aufbauen, haben eine gute Basis für ihren Erfolg. Für Gewinner von Casting-Shows ist es vielleicht schwieriger, weil sie den auf einmal haben und ihn halten müssen. Ich habe viele Gewinner getroffen, die enttäuscht waren, ich hoffe, dass das nicht bei uns passiert. Wird es auch nicht, weil wir wollen, dass es funktioniert. Was die Leute aus dieser Chance machen, liegt bei ihnen selbst.
Mit Rea Garvey sprach Anna Kusserow
"Can't stand the silence" erscheint am 30. September 2011. Rea Garvey befindet sich im Oktober 2011 auf Tour: München (6.10), Stuttgart (7.10), Frankfurt a.M. (9.10), Köln (10.10.), Leipzig (11.10.), Hamburg (13.10.), Berlin (14.10).
Quelle: ntv.de