"Ey, du Opfer! Isch mach disch tot! Isch schwör'!" "Attack the Block": Alien-Invasion im Kiez
20.02.2012, 07:22 Uhr
"Ey, du Opfer!"
(Foto: Capelight)
Ein außerirdischer Angriff auf die Erde? Nichts Neues. Aber diesmal jagen die Aliens nicht das Weiße Haus in die Luft oder köpfen die Freiheitsstatue. Sie knöpfen sich Londons Süden vor. Willkommen im sozialen Brennpunkt! Da, wo sich kein Tourist hintraut. Und bald erfahren auch die Aliens, warum.
Willkommen in London, Europas Millionenmetropole mit internationalem Flair. Dort hat die altehrwürdige Queen ihren Buckingham Palace, die Finanzwelt ihre "City" und die Besserverdienenden haben ihr Notting Hill. Moses (John Boyega), 15 Jahre, lebt nicht in diesem London. Sein Kiez ist der Süden der Stadt. Sein Block die Gegend um den Wyndham Tower, einen mehrstöckigen Plattenbau. Wer dort wohnt - in den Ends - bleibt nachts zu Hause und verriegelt besser die Tür. Drogen und Gewalt sind an der Tagesordnung - und Moses mischt mit seinen Freunden Dennis (Franz Drameh), Pest (Alex Esmail), Jerome (Leeon Jones) und Biggz (Simon Howard) kräftig mit.
Ihr jüngstes Opfer ist Sam (Jodie Whittaker), eine Krankenschwester, gerade auf dem Heimweg von der Arbeit. Sie büßt Handy, Ring und Geldbörse ein, als sie von Moses und seinen Jungs überfallen und mit einem Messer bedroht wird. Sam kommt mit dem Schrecken davon und kann fliehen, weil plötzlich aus heiterem Himmel ein grell leuchtendes Etwas laut zischend direkt neben der Gruppe in ein parkendes Auto krachend einschlägt: "Hier schmeißt einer mit Bomben!"

Die Gang: "Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel, meine Gegend, meine Straßenzüge, mein Zuhause, mein Block."
(Foto: Capelight)
Das Auto, ein neuer Volvo, ist Schrott. Aber vielleicht ist da ja noch was zu holen, denkt sich Moses. Als er nachschaut, wird er angegriffen. Aber was war das? Ein freigelassener Orang-Utan? Dobby, der Hauself? Egal. "Das wird gekillt! Mich greift keiner an. Nicht, wenn er noch leben will!", sagt Moses und macht sich mit seinen Jungs auf die Verfolgung. Wenig später ist das "Vieh" tot. Hingerafft von Raketen, Böllern und der tödlichen Wut der Jugendlichen. Nur, was es ist, darauf kann sich die Gang noch immer keinen Reim machen.
"Das ist 'n Affe, Mann. Isch schwör‘!" Aber seit wann regnet es Affen? "Weißt du, was es ist? Ein Alien! Hundertpro! Isch schwör‘! Es kommt vom Mars und will die Erde erobern!", sagt Pest. "Dann hat es sich aber die falsche Gegen ausgesucht, isch schwör‘!" "Aber sowas von!" "Willkommen in London, Motherfucker!" "Willkommen in den Ends, Bruder!" "Das hier ist der Block, Mann! Niemand legt sich mit dem Block an, verstanden?" "B. L. O. C. K.“ "BLOCK, BLOCK, BLOCK, BLOCK, BLOCK!!!"
Wer hat hier vor wem Angst?

"Hmm, was wollen die denn hier?" Nick Frost spielt nur eine Nebenrolle. Das ist auch so gewollt.
(Foto: Capelight)
Die Jungs nehmen das tote Alien mit. Aber wohin jetzt? In ihren Block, zu Ron (Nick Frost; "Hot Fuzz", "Shaun of the Dead"). "Was der den ganzen Tag macht, ist kiffen, seine Pflanzen gießen und der guckt Tierfilme", schlägt Pest vor, "der weiß schon, was das fürn Mistvieh ist." Gesagt, getan. Handys gezückt, die Nachricht vom "Beast of Brixton" verbreitet und ab in den Block. Ihr Problem ist nur: Das Alien kam nicht allein. Es ist wirklich eine Invasion. Und schon bald rennt und kämpft die Gang um ihr Leben. Hinter ihnen her sind "Alien-Gorilla-Wolf-Motherfucker": große, pechschwarze, affenartige Hundewesen mit zotteligem Fell und fluoreszierenden Zähnen. Die Beißer sind das einzige, was man in der Nacht von ihnen so richtig zu Gesicht bekommt und meist ist es dann auch schon zu spät.
Wie sich wenig später herausstellt, sind die Viecher nur hinter Moses her, denn das Alien, was er getötet hat, war ein Weibchen und seine Klamotten sind voller Pheromone. "Sie fallen auf die Erde. Vielleicht driften sie durchs Weltall, auf Sonnenwinden. Wie Pollen. Und wenn sie auf die Erde fallen, legen die Weibchen eine Pheromonspur, damit die Männchen sie finden können. Damit sie sich paaren und vermehren können. Also, Bienen, Käfer und Motten machen das so." Brewis (Luke Treadaway), Student und Rons bester Kumpel und Grasabnehmer, weißes Vorstadtkid, scheint mit seinem Gebrabbel recht zu haben und so macht sich Moses mit dem toten Alien allein auf, um sich der Meute notgeiler Alien-Männchen zu stellen und "seinen" Block zu retten.
Cornish lässt aufhorchen
"Attack the Block" ist Joe Cornishs Regiedebüt. Bekannt war er bisher als TV-Regisseur und Drehbuchautor. So stammt beispielsweise das Script zu "Tim und Struppi" aus seiner Feder. Nach "Attack the Block" sagen ihm diverse Filmkritiker und Kinoexperten eine große Hollywood-Karriere voraus. Im Gespräch soll er beispielsweise als Regisseur für "Stirb langsam 5" sein.
Zu Recht. Mit seinem Alien-Action-Sozialdrama-Comedy-Streifen ist Cornish ein absolutes Meisterwerk gelungen - und das mit zum Großteil völlig unbekannten Schauspielern. Das Augenmerk setzte Cornish voll auf die "Gang", sein Kumpel Frost spielte nur eine Nebenrolle, sein Name dürfte aber einige Zuschauer dazu bewogen haben, sich den Film anzuschauen.
Und der ist halt so ganz anders. Er unterschiedet sich vom geldgeschwängerten Hollywood-Blockbuster "Independence Day" von Roland Emmerich ebenso wie von Matt Reeves Indie-Perle "Cloverfield". Zu Beginn von "Attack the Block" geht die Bedrohung klar vom sozialen Umfeld des Blocks und den dort lebenden kleinkriminellen Jugendbanden aus. "Ihr Revier" wird dann zur Abwechslung nicht von der Polizei bedroht, sondern von Außerirdischen. Der Effekt ist der gleiche: Egal, wer uns ans Bein pissen will - wir sind schneller, so das Motto der Gang. Das gilt aber nicht nur für Moses und seine Jungs, sondern auch für den Nachwuchs, die "Kidz" des Blocks: Zwei besondere Exemplare finden sich in Probs (Sammy Williams) und Mayhem (Michael Ajao). Allein diese beiden liebenswerten Zeitgenossen wären es wert, dass man einen eigenen Film über sie dreht.
Neben den unverbrauchten Jungschauspielern, Running Gags und schrägen Sidekick-Charakteren gefallen aber auch die Aliens. Statt eines Special-Effect-Feuerwerks a la Hollywood regiert auch hier das relativ schmale Budget von geschätzten acht Millionen Pfund. Aber gerade das macht die Viecher so besonders. Sie fallen ebenso aus der Rolle wie die Dialoge. Cornish hat der Jugend sprichwörtlich aufs Maul geschaut - und die deutsche Synchronisation hat diese Steilvorlage perfekt umgesetzt.
Die soziale Komponente des Films wirkt nicht aufgesetzt, sondern wie aus dem Leben gegriffen. Die Londoner Riots im vergangenen Jahr passen da gut ins Bild und auch die Rolle der Sam. Die ist wie du und ich: erst einmal geschockt, dass sie quasi vor ihrer Haustür überfallen wird. Von Jugendlichen. Bedroht mit einem Messer. Und kurze Zeit später muss sie mit der Gang zusammenarbeiten, um ihr eigenes Leben zu retten. Dennoch dauert es bis zum Schluss des Films, bis so etwas wie gegenseitiger Respekt heranwächst. Sympathie füreinander wäre immer noch übertrieben. Dabei lässt Cornish den erhobenen Zeigefinger aber aus dem Spiel. Er prangert die gesellschaftlichen Missstände in Großbritannien nicht an, er zeigt sie, und das ganz unverfälscht und direkt.
"Attack the Block" ist ein grandioses Regiedebüt, gespickt mit Verweisen auf diverse Genreklassiker und voller Humor. Es ist aber ein Streifen, der vollkommen für sich selbst steht. Er war der Abschlussfilm des 25. Fantasy Filmfestes 2011. Das Festivalprogramm feierte ihn als "Crowdpleaser allererster Güteklasse, dessen künftiger Status als Kultklassiker schon heute feststeht". Das Publikum selbst honorierte ihn mit Standing Ovations. Wer ihn jetzt immer noch nicht anschauen will, ist selber schuld. "Isch schwör‘!"
Quelle: ntv.de