Aronofskys "Black Swan" Von Leidenschaft und Ehrgeiz
20.01.2011, 10:57 Uhr
Überzeugt Profis und Laien: Natalie Portman.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Freud und Leid, schwarz und weiß, Liebe und Hass - wie nah das doch alles beieinander liegt! In Darren Aronofskys neuestem Werk brilliert Natalie Portman als Ballerina, die sich ihren Dämonen stellen muss.
Da sitze ich nun - männlich und Kulturbanause - und schaue mir einen Film an, der vor Balletteinlagen nur so strotzt. Von Reue allerdings keine Spur. Erstens sind Natalie Portman und Mila Kunis verdammt attraktive Frauen (und natürlich auch begnadete Schauspielerinnen). Zweitens deutet die Zusammenfassung keinesfalls auf einen Tanzfilm hin. Und drittens hat Regisseur Darren Aronofsky seit "The Wrestler" bei mir einen Stein im Brett.
Tatsächlich lassen sich Parallelen zwischen beiden Filmen nicht abstreiten. Wie in seinem Meisterwerk über einen abgehalfterten Show-Schläger präsentiert Aronofsky dem Publikum auch diesmal ein Einzelkämpferporträt, auch wenn die Professionen der beiden Hauptfiguren unterschiedlicher kaum sein könnten. Während sich Micky Rourke als Randy "The Ram" Robinson durch Supermarkt-Jobs und drittklassige Wrestling-Events über Wasser halten muss, schwingt sich Natalie Portmans alter ego Nina Sayers grazil über die Bühne des New Yorker Balletts. Und wie "Ram" befindet sich auch die zarte Tänzerin in einem Teufelskreis, droht sie doch von ihrer großen Leidenschaft aufgefressen zu werden.
Die Suche nach Perfektion
Die junge Ballerina Nina kann ihr Glück kaum fassen als sie den Zuschlag für die Hauptfiguren in "Schwanensee" erhält. Sowohl den sündenlosen weißen als auch den teuflischen schwarzen Schwan soll sie verkörpern - die (Doppel)rolle ihres Lebens und Lohn für viele Jahre harter Arbeit. Aber gerade in Ninas Disziplin liegt ihr großes Problem, kritisiert doch Choreograph Thomas (Vincent Cassel) vor allem ihre Verbissenheit. Für den Part des schwarzen Schwanes fehlt der wohl behüteten Nina die Fähigkeit, sich fallen zu lassen.
Während sie von Thomas die ein oder andere zynische Bemerkung und teils skurrile Tipps erhält, scheint in der eher disziplinlosen, aber umso unbeschwerteren Lily (Mila Kunis) plötzlich ernsthafte Konkurrenz heranzureifen. Nina droht am Druck zu zerbrechen, verfällt auf der Suche nach der perfekten Mischung aus ausgefeilter Technik und Unbekümmertheit in Wahnvorstellungen. Das Ballettstück, in dem die weiße Schwanenprinzessin von ihrem dunklen Zwilling in den Tod getrieben wird, scheint plötzlich ihre Realität.
Vielschichtige Figuren statt überladene Story
Und genau hier zeigt sich, wodurch "Black Swan" nicht besticht: eine ausgeklügelte Story. In dem Moment, in dem Thomas seinen Tänzerinnen den Inhalt von "Schwanensee" einimpft (und der kommt früh), sollte jedem Zuschauer klar sein, in welche Richtung sich der Film bewegt. Ein großes Manko ist das allerdings nicht, denn bis zum Ende kann trotzdem mitgefiebert werden. Vor allem aber können sich die Zuschauer, die nicht in einem Wirrwarr aus Wendungen und gezielten Täuschungen versinken, umso intensiver den Charakteren widmen.
Denen verleihen Regisseur, Drehbuch und natürlich die Schauspieler eine unglaubliche Tiefe, bedenkt man, dass die Welt des Balletts ja eigentlich ein Nährboden für Stereotypen ist. Da werden zarte und devote Tänzerinnen zum Opfer profilierungssüchtiger Eltern und hartherziger Regisseure. Doch auf eindimensionale Figuren lässt sich "Black Swan" nicht ein. Das versteht sich bei der Entwicklung, welche die Protagonistin durchleben soll, von selbst. Und um es abzukürzen: Natalie Portman spielt brillant, man versteht schnell, warum Aronofsky sie schon vor zehn Jahren, als "Black Swan" noch eine eher lose Idee war, als Idealbesetzung für seinen Streifen ausgemacht hatte. Ihrer eigenen Beobachtung, Nina sei "in einem Zyklus aus Obsession und Zwang gefangen" lässt die 29-Jährige mit ihrem Spiel Taten folgen.
Ein mulmiges Gefühl
Die Nebenfiguren sind nicht minder komplex. So hat Ninas Mutter Erica (Barbara Hershey) auf den ersten Blick zwar alles, was die Klischee-Mom einer Tänzerin auszeichnet: eine gescheiterte Karriere als Ballerina, keinen Mann und den Drang, ihre Tochter zu kontrollieren. So wirklich in ein Schema pressen lässt sie sich trotzdem nicht. Welche überehrgeizige Ballett-Mutter backt für ihre zur Schlankheit verpflichtete Tochter eine Cremetorte und rät ihr beim Training kürzer zu treten? Gleichzeitig droht sie Nina mit ihrer Liebe zu erdrücken und wirkt durch ihren übertriebenen Beschützerdrang derart bedrohlich, dass einen immer ein mulmiges Gefühl beschleicht, wenn die Tänzerin die gemeinsame Wohnung betritt.
Es wäre ein Leichtes gewesen, dem überragend aufspielenden Vincent Cassel die Rolle des unbarmherzigen Choreographen aufzudrücken, der mit der permanenten Forderung nach technischer Perfektion die Leidenschaft seiner Darsteller für das Ballett zerstört. Doch obwohl es Thomas laut Aronofsky "nur um die Kunst geht und ihm die Opfer egal sind, die er hinterlässt", wirkt er alles andere als vorhersehbar. Er setzt auf subtile Tricks, um Nina zu entkrampfen, und fast könnte man meinen, er tue der Persönlichkeitsentwicklung der Ballerina gut - so ist sie zwar eine erwachsene Frau, in ihrem Zimmer jedoch regieren Plüschtiere und die Farbe Pink.
Harte Arbeit
Ballett ist eine Kunstform der extremen Gegensätze. Was auf der Bühne so leicht und grazil aussieht, ist hinter den Kulissen eine Knochenarbeit, die den Protagonisten psychisch und physisch alles abverlangt. Glaubt man Aronofsky, so war es vor allem seine Konfrontation mit dem schockierend harten Balletttraining seiner Schwester, die der "modernen New Yorker Geschichte über Themen wie Dualität und die Angst, dass jemand dein Leben übernimmt" (Co-Produzent Mark Heyman), ihren Hintergrund lieferte. Der Regisseur selbst jedenfalls setzte auf eine professionelle Organisation, engagierte für seinen Film unter anderem Benjamin Millepied, Choreograph im New York City Ballet. Unvorhersehbar war sicherlich, dass der Choreograph und die Hauptdarstellerin sich verliebten, mittlerweile verlobt sind und bald Eltern sein werden.
Vielleicht mimt Portman die geschundene Seele so überzeugend, weil sie mit den körperlichen Anforderungen des Tanzens zu kämpfen hatte."„Sie brauchte dafür zehn Monate intensiver Arbeit, aber ihr Körper verwandelte sich so, dass selbst die ernsthaftesten Tänzer beeindruckt waren. Ich bin überzeugt, dass diese physischen Anstrengungen sie auch bei ihrer emotionalen Leistung unterstützen", hält Regisseur Aronofsky fest. Weniger Ballettszenen hat da schon Mila Kunis, im Film Ninas Rivalin und frivoler Konterpart Lily. Doch auch die gebürtige Ukrainerin war vor harten Übungsstunden und unangenehmen Überraschungen nicht gefeit. "Nach Bänderrissen und einer ausgerenkten Schulter fragte ich mich: 'Was mache ich eigentlich hier'", so Kunis. Keine Frage, dass bei so viel Aufwand wohl auch die Ballett-Ästheten im Kinopublikum auf ihre Kosten kommen werden.
Fazit: Wer an "The Wrestler" Gefallen gefunden hat, wird sich auch an Darren Aronofskys aktuellem Werk erfreuen können. Freunde des gepflegten Psycho-Thrillers sind ebenfalls herzlich willkommen, sollten sich jedoch mit der wenig wendungsreichen Story abfinden. Ballett-Fans dürften bei Natalie Portmans Tanzeinlagen ins Schwärmen geraten - und wenn sie die düstere Story von Schwanensee verdauen können, werden sie auch "Black Swan" überleben. Die Darsteller in Aronofskys Film haben ein breites Publikum in jedem Fall verdient.
Quelle: ntv.de