Kino

Der Kontrakt des Disney-Zeichners Mach mir den Tigger: Andreas Deja

Zeichner mit Leib und Seele: Andreas Deja (und sein Tigger).

Zeichner mit Leib und Seele: Andreas Deja (und sein Tigger).

(Foto: Disney Enterprises)

Mit Winnie Puuh bringt Disney nicht nur eine Figur, die Kindheitserinnerungen weckt, zurück in die Kinos, sondern auch die klassisch-liebevolle Art des Zeichentrickfilms. Andreas Deja war bei dem Streifen für die Animation von Puuhs Freund Tigger verantwortlich - und plaudert im n-tv.de Interview über die Faszination der Arbeit mit Papier und Bleistift.

Drei Kurzgeschichten, die 1977 in einem abendfüllenden Kinofilm zusammengefasst wurden, machten einen kleinen "Bär von sehr geringem Verstand" weltberühmt: Winnie Puuh. Heute zählt der Streifen, der auf dem Kinderbuch "Pu der Bär" aus den 20er-Jahren basierte, längst zu den Klassikern aus den Walt-Disney-Studios. Kaum jemand dürfte in seiner Kindheit nicht Bekanntschaft mit Puuh und seinen Freunden - von Ferkel über Eule bis hin zu Tigger - gemacht haben.

Knapp 35 Jahre später kehren der Bär aus dem "Hundertmorgenwald" und seine Kumpanen ins Kino zurück. Und zwar ganz genau so, wie man sie von früher kennt: Liebevoll von Hand gezeichnet - keine Computeranimationen, kein 3D, kein Schnickschnack. Hinter den Kulissen jedoch tragen heute natürlich ganz andere die Verantwortung als noch beim Original. Schließlich starb 2008 mit Ollie Johnston der letzte von Disneys "Nine Old Men", jenen neun legendären Chefzeichnern, die über Jahrzehnte den Zeichenstil des Trickfilmstudios geprägt haben.

"Winnie Puuh" ist seit dem 14. April 2011 im Kino zu sehen.

"Winnie Puuh" ist seit dem 14. April 2011 im Kino zu sehen.

(Foto: Disney Enterprises)

Einer ihrer Nachfahren ist der in Polen geborene und in Deutschland aufgewachsene Andreas Deja. Mit seiner Arbeit bei Disney erfüllte er sich einen Traum. Nachdem er im Alter von zehn Jahren "Das Dschungelbuch" gesehen hatte, schrieb er keck dem Studio, er wolle gerne Trickfilmzeichner werden. Man antwortete ihm, er solle doch vielleicht erst einmal ein wenig älter werden, eine Hochschule besuchen und sich zum Künstler entwickeln. Gesagt, getan - und siehe da: 1980, mit gerade einmal 23 Jahren, hatte Deja sein in Kindheitstagen gestecktes Karriereziel erreicht: Disney stellt ihn vom Fleck weg als Zeichner ein.

Seither hat Deja in zahlreichen Filmen die Verantwortung für die Animation tragender Charaktere übernommen - etwa für König Triton in "Arielle, die Meerjungfrau" (1989), für den blasierten Jäger Gaston in "Die Schöne und das Biest" (1991), den bösen Jafar in "Aladdin" (1992) oder den Schurken Scar in "Der König der Löwen" (1994). Bei "Winnie Puuh" hauchte er nun dem überdrehten Tigger Leben ein. 

n-tv.de: Wie kam es bei Disney zu der Idee, Winnie Puuh zurück auf die Leinwand zu bringen?

Andreas Deja: Die Idee kam wohl direkt von Bob Iger, unserem CEO. Er diskutierte mit John Lasseter (Kreativchef bei Disney, Anm. d. Red.) darüber, mal wieder etwas qualitativ Hochwertiges mit "Winnie the Pooh" zu machen.

Stand von Anfang an fest, dass es ein kompletter Film werden würde?

Nein, konzeptionell war zunächst im Gespräch, wieder 20-Minuten-Geschichten zu machen - vielleicht zwei neue, in die man dann noch eine dritte, alte Geschichte eingebaut hätte, um das mit den früheren "Winnie the Puuh"-Sachen zu verknüpfen. Aber dann kam man doch davon ab. Als die Story-Leute losgelegt haben, gab es einfach genug Ideen für einen längeren Film, auch wenn er mit einer Laufzeit von etwas über einer Stunde kürzer als viele andere Filme ist.

Die Zeichner bei dem Film mussten ja in die Fußstapfen der Originalzeichner treten. Keine leichte Aufgabe …

Stimmt, aber ich kannte die alten Leute alle. Und das sogar sehr gut. Als ich 1980 bei Disney angefangen habe, waren sieben der "Nine Old Men" noch da. Ich bin ihnen begegnet und habe 25 Jahre lang Freundschaften mit ihnen geknüpft, auch mit Milt Kahl, der damals Tigger entworfen hatte. Er war zwar seit 1976 in San Francisco im Ruhestand, aber ich bin aus Los Angeles einmal im Jahr zu ihm geflogen, um mich mit ihm über Tigger, Shir Khan (der Tiger in "Das Dschungelbuch", Anm. d. Red.), Peter Pan oder Bambi zu unterhalten.

Wie bereitet man sich auf die Übernahme so einer Aufgabe, Tigger neu zu animieren, vor?

Wie bei "Schneewittchen" - Zeichnungen von Tigger.

Wie bei "Schneewittchen" - Zeichnungen von Tigger.

(Foto: Disney Enterprises)

Man muss natürlich erst einmal ein paar Hausaufgaben machen. Man geht ins Archiv und studiert die alten Zeichnungen, um zu sehen, wie sie die Figuren gezeichnet und bewegt haben. Da fällt einem erst mal die Klappe runter, vor allem bei Tigger, der so einfach aussieht, aber eine wirklich anspruchsvolle Kombination von grafischen Elementen ist. Milt Kahl war ein Picasso-Fan. Bei den Originalzeichnungen von Tigger sieht man das total - dieses Kubistische, die abgeeckten Hände und Füße, da steckt schon ein bisschen Picasso drin. Obwohl ich auch ein Fan von Picasso bin, musste ich das erst lernen. Dann, wenn man sich soweit damit befasst hat, legt man es auf die Seite und sagt: O.k., jetzt bin ich aber dran, meine Kunst in die Figur hineinzubringen.

Sie haben die "Nine Old Men" angesprochen. Wie stark ist denn deren Spirit heute noch bei Disney zu spüren?

Oh, riesig. Wir haben immer noch in allen Büros Kopien alter Zeichnungen von ihnen an den Wänden. Das von ihnen damals geschaffene Niveau ist für uns immer noch aufregend und inspirierend. Und nicht nur für uns, sondern auch für die Leute, die Computeranimationen machen. Auch sie sind ja mit deren Filmen aufgewachsen.

Die "Nine Old Men" waren so wie Sie "Chefzeichner" bei Disney. Gibt es Unterschiede zwischen deren Arbeit damals und Ihrer heute?

Am Zeichnerischen selbst hat sich gar nichts geändert. Das funktioniert heute genauso wie bei "Schneewittchen" in den 30er-Jahren. Bei uns gibt es sogar noch einige von den alten Disney-Zeichentischen aus den frühen 40ern, auf denen schon so viel Tolles gezeichnet wurde. Diese Art von Zeichentrickfilmen kann man auch nicht anders machen. Das funktioniert nur in der Auseinandersetzung mit dem Bleistift und dem Papier. Also: Wir zeichnen unsere Szenen auf Papier und scannen sie ein. In der Gruppe schauen wir uns dann die Szenen der jeweils anderen an und geben Kritik und Ideen für Änderungen ab.

Also ist gar nichts anders als früher …

Nun ja, was danach kommt, ist relativ neu: die Einfärbung der Figuren. Das wird heutzutage alles elektronisch gemacht. Da kann man jede Zeichnung noch einmal einzeln abrufen und mithilfe so eines Joysticks bestimmen, dass dieser Bereich nun dunkelrot sein soll und jener weiß. Jede Zeichnung muss einzeln auf diese Art eingefärbt werden. Aber natürlich geht das viel schneller als mit Farbe und Pinsel.

Das klingt trotzdem ziemlich "oldschool". Wie funktioniert das eigentlich bei Animationsfilmen?

Das ist etwas ganz anderes. Die computeranimierten Filme brauchen kein Papier und Bleistift. Bei ihnen steht eine elektronische Puppe in einer neutralen Position auf einer Leinwand. Da ist es die Aufgabe des Animators, die Puppe so zu manipulieren, dass sich hier die Gelenke bewegen oder da die Finger. Das ist eine vollkommen andere Arbeitsweise, genauso wie bei der Puppentechnik im Puppentrickfilm, bei der es wirkliche Sets gibt mit großen Puppen, die manipuliert werden. Jede Art von Trickfilm hat ihre eigene Arbeitsweise. Mich fasziniert meine Art von Trickfilmen am meisten, weil ich damit aufgewachsen bin - mit dieser Magie von Zeichnungen, eine nach der anderen. Auf einmal bewegt sich da nicht nur etwas, sondern es entstehen auch Gefühle. Das wird für mich nie alt.

Trotzdem geht der Trend in den vergangenen Jahren ja stark zu dem computeranimierten Filmen. Was halten Sie denn von "Avatar" und Co?

Bei "Avatar" war ich einer der wenigen, denen der Film nicht so besonders gefallen hat. Ich fand "Titanic" von Cameron (Regisseur James Cameron, Anm. d. Red.) wunderbar, aber bei "Avatar" haben mir die Designs nicht wirklich gefallen - diese blauen Leute haben mich nicht unbedingt angesprochen. Und auch von der Story her fand ich den Film nicht so toll. Aber die Effekte waren natürlich schon Wahnsinn. Ansonsten schaue ich mir die guten, computeranimierten Filme, wie die von Pixar oder Dreamworks, alle an und genieße sie auch. Ich habe keine Schwierigkeit damit zu sagen: Das ist etwas für andere Künstler, die sich anders ausdrücken als ich.

Das wird nie alt!

Das wird nie alt!

(Foto: Disney Enterprises)

Ein anderer Trend ist der zu 3D. Auch darauf wurde bei "Winnie Puuh" verzichtet …

Ja, John Lasseter sagte, dass man die alten Figuren, wenn man sie neu aufleben lässt, in der Technik präsentieren sollte, in der das Publikum sie kennt. Und ich finde, er hatte Recht.

Sie haben bei Disney sehr oft Bösewichter animiert: Gaston in "Die Schöne und das Biest",  Jafar in "Aladdin" oder Scar in "Der König der Löwen". Haben Sie ein Faible für das Böse?

Fürs Böse überhaupt? Nein. Aber die Bösewichter sind in einem Film natürlich die ausdrucksstärksten Figuren. Sie wollen die Welt und die Dinge verändern, weil sie unzufrieden sind. Von der Motivation ist da einfach wesentlich mehr drin als bei einem Helden oder einer Prinzessin, bei denen man mit der Zeichnung so vorsichtig sein muss. Ich hatte unheimlich viel Glück, dass ich so viele von diesen Charakteren machen konnte.

Gibt es einen Lieblingscharakter, den sie gezeichnet haben?

Nein, ich kann das nicht auf einen Bestimmten zuspitzen. Ich habe den Jafar sehr gerne gemacht, weil er ein Gesicht wie eine Maske hatte, also sehr karikiert war. Scar hat mir gefallen, weil er so intelligent war. Zudem war es toll, mit Jeremy Irons (Originalsprecher von Scar, Anm. d. Red.) und seiner wahnsinnigen Stimme daran zu arbeiten. Ich mochte aber auch die Lilo in "Lilo & Stitch" sehr, weil das wiederum eine ganz andere Figur war - sehr modern, mit unglaublich vielen Problemen wie etwa Einsamkeit. Das war eine ganz andere Sache als zum Beispiel bei Scar, und es gefällt mir, ganz unterschiedliche Konzepte zu machen.

Und haben Sie einen Lieblingsfilm?

Von den Klassikern ist es "Das Dschungelbuch", ganz einfach, weil das mein erster war.

Andere Kinder, die "Das Dschungelbuch" sehen, wollen danach wahrscheinlich Mogli werden oder Balu kennenlernen. Sie hingegen fassten den Entschluss, Trickfilmzeichner zu werden. War das so etwas wie eine Berufung?

Ja, das ist das richtige Wort. Mein Leben hat sich damals von einem Tag auf den anderen verändert. Mir war klar: Das willst du machen.

Sie wurden 2007 bereits mit dem "Winsor McCay Award" für Ihr Lebenswerk im Bereich des Trickfilms ausgezeichnet. Da waren Sie gerade knapp 50. Ziemlich früh …

Ja, man nimmt so einen Award natürlich gerne an, aber zu Ende ist es noch nicht. In den letzten 30 Jahren bin ich gerade erst warm geworden. Ich habe schon noch Einiges vor.

Quelle: ntv.de

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