Wenn das Morden alltäglich wird Carpenters "Assault - Angriff bei Nacht"
28.05.2012, 06:15 Uhr
Morden aus purer Langeweile: ein zeitloses Thema.
(Foto: Capelight)
Ein Vorort von Los Angeles. Verlassen und von der Obrigkeit aufgegeben. Straßengangs regieren. Ihre Gewalt ist mörderisch. Niemand ist vor ihnen sicher. Auch ein Polizeirevier nicht. Es soll geräumt werden, aber noch befinden sich ein paar Aufrechte dort, die sich der blutigen Gewalt der Gangs entgegenstellen. Auf Leben und Tod.
Los Angeles ist die Stadt der Engel. Das besagt schon der Name. Aber da wo Engel sind, ist das Böse nicht weit. Im Dunkeln bahnt es sich seinen Weg über die Vororte bis ins Herz der Stadt. In besonders ausweglosen Zeiten schlägt das Böse auch direkt zu: im hellen Sonnenlicht, für jedermann sichtbar und dennoch unsichtbar für die breite Öffentlichkeit. Die schaut weg. Will das Monströse nicht sehen. Das Motto heißt: Wenn ich es nicht sehe, kann mich das Böse auch nicht finden. Erst wenn es überhandnimmt, drängt es sich unweigerlich in das verengte Blickfeld der Verängstigten - und kann nicht mehr daraus verbannt werden. Meistens ist es dann aber bereits zu spät.
Los Angeles hat mehrere dieser "dunklen Phasen" erlebt. Auch wenn es heute ruhig ist, das Böse schlummert nur unter der Oberfläche. Jederzeit bereit, wieder hervorzubrechen. Mit aller Gewalt sich einen Weg zurück in das Empfinden der Menschen bahnend. Etwa so: Eine Bande junger Männer lungert mitten am helllichten Tag an einer Bus-Haltestelle herum. Als sich ein Bus nähert, sagt einer der Kerle: "Ich erschieße den Ersten, der jetzt aussteigt.“ Ein kleines Mädchen hat es besonders eilig. Sie bezahlt die Hast mit ihrem Leben: Der Mann schießt auf sie, steigt ungerührt in sein Auto und fährt davon.
Das ist nicht erfunden, das ist so passiert, in den 1970er Jahren in einem Vorort von Los Angeles, der "Stadt der Engel". Für einen Regie-Newcomer, der gerade seinen Erstling "Dark Star" abgedreht hat, Grund genug, sich dieses Themas filmisch anzunehmen. Sein Name ist John Carpenter. Der Film, für den er das Drehbuch und den unverwechselbaren Score schrieb, für den er Regie führte und den er auch für gerade einmal 100.000 Dollar produzierte, heißt "Assault - Anschlag bei Nacht".
Angriff bei Nacht
In einem düsteren, heruntergekommenen Vorort von Los Angeles soll ein Polizeirevier geschlossen werden. Mitten in einer der gewalttätigsten Zeiten der Stadt. Die Gangs regieren auf den Straßen. Vor allen die Menschen in den Vororten sind vor deren Willkür nicht mehr sicher. Tagtäglich fliegen Polizei-Hubschrauber durch die Nacht, um das Schlimmste zu verhindern. Polizisten schieben Extraschichten.
In dem Polizeirevier sind die meisten Bediensteten bereits verschwunden, die Telefone gekappt, die Waffen abgeholt - nur eine lächerliche Notbesetzung hält noch die Stellung, bestehend aus der Telefonistin Julie (Nancy Kyes), der Sekretärin Leigh (Laurie Zimmer), einigen einfachen Polizeibeamten, des für eine Nacht eingesetzten Revierleiters Ethan Bishop (Austin Stoker) und einigen "zwischengelagerten" Gefangenen, darunter der extrem gefährliche Napoleon Wilson (Darwin Joston).
Zur gleichen Zeit werden andernorts zwei unschuldige Bürger Opfer einer brutalen Straßengang: Ein Eisverkäufer wird auf offener Straße umgebracht und ein kleines Mädchen, das einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort ist, wird, weil es das falsche Eis bekommen hat und es umtauschen will, kaltblütig erschossen. Ihr Vater, der zu der Zeit des Mordes in einer nahe gelegenen Telefonzelle telefoniert hat, verfolgt die Täter, stellt sie und erschießt den Mörder seiner Tochter.

Napoleon Wilson, ein Verbrecher, der ob seines Charms und seines Charismas einen Schlag bei Frauen hat - so auch bei Leigh.
(Foto: Capelight)
Danach muss er selbst vor den restlichen Gangmitgliedern flüchten. Er rennt durch die pechschwarze Nacht. Keine Menschenseele ist auf der Straße. Die umliegenden Häuserruinen sind wie leer gefegt. Dunkel starrende Augen da, wo sonst Licht aus Fenstern strömt.
Mit letzter Kraft schafft der Mann es in das Polizeirevier, ehe er zusammenbricht. Im Polizeirevier selbst ist man sich des Ernstes der Situation nicht bewusst. Das ändert sich aber schnell, als der erste Polizist im Kugelhagel der Straßengang stirbt. Ein erbitterter Kampf der im Revier Eingeschlossenen hat begonnen. Egal, ob Cop, Angestellte oder inhaftierte Verbrecher - alle müssen zusammenarbeiten, denn eine mörderische Schlacht ums nackte Überleben ist in vollem Gang ...
Schauen Sie das Original!
Carpenter drehte "Assault - Angriff bei Nacht" 1976. Es war seine zweite Regiearbeit. Der heute als "Großmeister des Horrors" bekannte und für Filme wie "Halloween", "The Fog" oder "The Thing" verehrte Carpenter nahm sich die unmotivierte Gewalt der Straßengangs der damaligen Zeit zum Vorbild für seinen Film, der später nochmals mit Ethan Hawke, Laurence Fishburne und Maria Bello als "Assault on Precinct 13" - in Detroit spielend - verfilmt wurde.
"Assault - Angriff bei Nacht" gilt heute als Startpunkt von Carpenters Karriere, auch wenn der Film vor allem in den europäischen Kinos gut ankam, nicht aber in den US-amerikanischen. Allerdings wurde er in den USA von den Kritikern gefeiert.

John Carpenters "Assault - Angriff bei Nacht" ist als Mediabook bei Capelight erschienen.
(Foto: Capelight)
Carpenter lehnt noch heute "jede politische oder soziologische Interpretation des Films" ab. Allerdings reichte ihm damals der "wahnsinnige Gedanke, dass ich durch die Straßen gehe und irgendeiner erschießt mich - nur so", aus, um ihm "wahnsinnige Angst" zu machen. Carpenter traf mit seinem Film den Nerv der Zeit - und er trifft ihn damit noch heute. So etwas nennt man in der Regel ein zeitloses Werk.
Ein zeitloses Werk, das es dank dem Capelight Verleih heute aufbereitet und in Ton und Bild überarbeitet, will heißen in Stereo und HD, als Mediabook zu kaufen gibt. Darin enthalten ist neben einem umfangreichen Foto-Booklet auch eine zusätzliche Dokumentations-DVD, die sich dem spurlosen Verschwinden der Hauptdarstellerin Laurie Zimmer widmet. Von ihr fehlt seit dem Drehende des Films jede Spur. Sie ist wie vom Erdboden verschluckt, nicht einmal ihre Tantiemen hat sie eingelöst.
Jede Menge Zusatzinformationen also zu einem wahren Filmklassiker, der in keiner Hollywood-Filmsammlung fehlen sollte. "Assault - Angriff bei Nacht" ist ein düsterer Belagerungsthriller, mit Verfolgungsjagden, wilden Schießereien, coolen Sprüchen. Ebenso aber auch eine Hommage an klassische Western, wo die Bösewichte versuchen, eine Bank auf Teufel komm raus und ohne jede Rücksicht auf Verluste zu überfallen, oder einen Saloon in ihre Gewalt zu bringen, nur um sich danach einen Whisky schmecken zu lassen. Es ist ein Film, der die uralten Thesen beweist, dass das Original tausendmal besser ist als die Kopie und dass es das Gute nicht ohne das Böse geben kann.
Quelle: ntv.de