Macht ein Grundeinkommen faul? "Arbeit ist keine Beschäftigungstherapie"
10.11.2015, 11:59 Uhr
Das bedingungslose Grundeinkommen würde das Existenzminimum jedes Menschen sichern. Somit wäre jeder frei, das zu tun, was er will, behaupten Kovce und Häni.
(Foto: youtube/buchtrailer/Was fehlt, wenn alles da ist?)
Die Schweiz stimmt 2016 als erstes Land über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ab. Daniel Häni und Philip Kovce, Autoren des jüngst erschienenen Buches "Was fehlt, wenn alles da ist?", stehen mit hinter der Initiative. Im Interview räumt Kovce mit gängigen Vorurteilen auf und erklärt, warum deutsche Politiker erst darüber sprechen werden, wenn es für die Wähler relevant ist.
n-tv.de: Ihr gerade erschienenes Buch trägt den Titel "Was fehlt, wenn alles da ist?". Geht es uns wirklich so gut, dass wir nach einem Mangel suchen müssen?
Philip Kovce: Der Buchtitel benennt eine Paradoxie: Wie kann es sein, dass wir einerseits nicht wissen, wohin mit all den Gütern und Dienstleistungen, die wir tagtäglich produzieren, und dass andererseits immer mehr Menschen nicht wissen, woher sie das Lebensnotwendigste nehmen sollen? Es mangelt uns an Ideen, mit dem real existierenden Überfluss sinnvoll umzugehen. Dieser ideelle Mangel führt dazu, dass wir weiterhin materielle Armut produzieren.

Philip Kovce studierte Wirtschaftswissenschaften und Philosophie. Er forscht am Basler Philosophicum und ist Mitglied des Think Tank 30 des Club of Rome.
Ein Zitat Ihres Buches lautet: "Sozial ist nicht, wer Arbeit schafft, sozial ist, wer sie abschafft". Das müssen Sie uns erklären.
Ich finde diesen Satz gar nicht erklärungsbedürftig. Was bitte soll denn daran sozial sein, Arbeit zu schaffen? Es geht doch nicht darum, dass andere beschäftigt, sondern darum, dass sie frei sind. Das ist sozial! Arbeit muss nicht geschaffen, sie muss geschafft werden. Arbeit ist keine Beschäftigungstherapie.
Was machen wir ohne Arbeit?
Nicht die Arbeit an sich geht uns aus, sondern die Erwerbsarbeit. Es braucht immer weniger Menschen, um alle zu versorgen. Das ist eine Erfolgsgeschichte. Doch damit ist längst nicht alles getan: Es gibt so viel Arbeit, wie es Menschen gibt. Und jeder Mensch benötigt heute ein Einkommen, um tätig werden zu können. Das Grundeinkommen sichert nicht Erwerbsarbeit, sondern ermöglicht Tätigkeit.
Sie sagen auch, das bedingungslose Grundeinkommen sei die Voraussetzung für eine zukünftige Leistungsgesellschaft. Was meinen Sie damit?
Ich bin am leistungsfähigsten, wenn ich begeistert bin. Wer ohne Begeisterung bei der Sache ist, arbeitet ineffizient. Das Grundeinkommen führt dazu, dass ich den Bedarf anderer besser wahrnehmen und meiner Begeisterung besser folgen kann. Wer sinnlos beschäftigt ist, kann mit einem Grundeinkommen endlich aufhören, Leistung zu simulieren. Und wer selbstbestimmt tätig ist, kann Leistung garantieren.
Gegner des Grundeinkommens werden nicht müde zu betonen, dass es Faulheit fördere. Wie groß ist Ihrer Meinung nach die Gefahr, dass die Menschen das Grundeinkommen dankend annehmen und danach gar nicht mehr arbeiten?
Faul wird, wer etwas tun muss, was er nicht will. Heute gefährden wir uns, indem wir von anderen verlangen, sich für uns zu verbiegen. Das Grundeinkommen beugt dieser Gefahr vor, indem es verhindert, dass Menschen sich in faulen Verhältnissen einrichten. Dass Menschen von Natur aus faul sind, ist nicht zu beobachten. Der Faulheitsverdacht ist eine anthropologische Verschwörungstheorie.
Das zweite Vorurteil hierzulande ist, dass das doch sowieso nicht zu finanzieren sei. Was sagen Sie dazu?

Anderthalb Monate lang haben sich Kovce und Häni jeden Tag eine Frage zum Grundeinkommen gestellt. Ihr Buch "Was fehlt, wenn alles da ist" liefert die Antworten.
Dieses Argument wird oft als Stellvertreter für andere Bedenken angeführt, die man lieber nicht äußern will - etwa dass das Grundeinkommen zwar gut für engagierte Studenten, nicht aber für die breite Masse oder den bösen Nachbarn sei. Beim Grundeinkommen geht es im Übrigen gar nicht ums Geld. Finanziell gesehen ist es ein Nullsummenspiel. Es ist für den Einzelnen kein zusätzliches, sondern ein grundsätzliches Einkommen. Mit der Frage, ob die Bedingungslosigkeit Leistung fördert oder verhindert, steht und fällt das Grundeinkommen.
Was muss aus Ihrer Sicht passieren, dass sich Deutschlands Politik mit dem Thema Grundeinkommen anfreundet?
Das politische System der Bundesrepublik ist innovationsfeindlich. Das parlamentarische Politikmonopol verhindert, dass Bürger auf Bundesebene über eigene Initiativen abstimmen können. Unabhängig davon müssen wir uns damit anfreunden, dass Politiker die Letzten sind, die sich neuen Ideen öffnen. Das Grundeinkommen wird für Politiker erst interessant, wenn es für die Wähler relevant wird.
Wie wurden Sie Fan des bedingungslosen Grundeinkommens?
Ich bin kein Fan des Grundeinkommens. Es geht nicht darum, einer Idee anzuhängen, sondern darum, sie ernst zu nehmen. Das erste Mal hörte ich vom Grundeinkommen in der Schule. Es zeigte mir auf, dass die Verhältnisse, in denen wir leben, von uns gestaltet, also auch von uns zu ändern sind. Das Grundeinkommen vergewisserte mich meiner Verantwortung der Welt gegenüber. Es ist eine Idee, die den Einzelnen fragt, wie er die Welt gestalten will.
Was würden Sie tun, wenn für Ihr Einkommen gesorgt wäre? Wofür würden Sie sich engagieren? Oder würden Sie in der Hängematte faulenzen?
Ich frage mich: Was erwarten Sie von mir, wenn Sie ebenfalls ein Grundeinkommen hätten? Was sind dann die Aufgaben, die Herausforderungen? Das Besondere des Grundeinkommens ist nicht, dass für mein Einkommen gesorgt ist, sondern dass alle anderen auch garantiert eins haben. Niemand hat kein Geld mehr. Das ist eine gute Grundlage, um loszulegen.
Mit Philip Kovce sprach Diana Sierpinski
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Quelle: ntv.de