Panorama

Deutschland deutlich abgehängt Das Geheimnis hinter Wiens PCR-Erfolg

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Bis zu 800.000 PCR-Tests könnten täglich in Wien ausgewertet werden.

(Foto: picture alliance / HANS PUNZ / APA / picturedesk.com)

Mit den Infektionszahlen steigt die Nachfrage nach PCR-Tests. Während Wien erstaunliche Kapazitäten hat, muss der PCR-Nachweis in Deutschland priorisiert werden. Anders als im Nachbarland arbeiten die Labore hier am Belastungslimit.

Der Fußball hat keine Schuld. Als im Sommer 2020 die Bundesliga wieder begann und sich die Profis eifrig testen lassen mussten, waren PCR-Testmöglichkeiten in Deutschland knapp. Um Krankenhäusern und Pflegeheimen im weiteren Verlauf der Pandemie keine Tests wegzunehmen und nicht auf die großen Labore angewiesen zu sein, bauten die Klubs nach und nach im geringen Umfang eigene PCR-Kapazitäten auf. Inzwischen ist ihr Anteil am gesamtdeutschen Testgeschehen nur noch marginal. Doch das Problem ist zurück: Nun, anderthalb Jahre später, fehlen in Deutschland wieder PCR-Kapazitäten.

Der Grund dafür, dass die Kapazitäten knapp sind, ist die sich aufbauende Omikron-Welle. Mehr Infektionen bedeuten auch mehr Verdachtsfälle, die mit einem PCR-Test nachgewiesen werden müssen. Die Anforderungen haben sich so sehr gesteigert, dass der Laborverband ALM und das Robert-Koch-Institut (RKI) mit 2,4 Millionen Tests für die dritte Januarwoche einen neuen Pandemiehöchstwert meldeten. Davon war jeder dritte Test positiv, auch das ist ein Rekord.

Im Moment liegt die Auslastung im Durchschnitt der Labore laut ALM bei etwa 95 Prozent, maximal wären rund 2,5 Millionen Tests pro Woche möglich. In den vergangenen Wochen wurde die Kapazität bereits massiv gesteigert. Dennoch bleibt das Personal das größte Problem, sagt ein ALM-Sprecher gegenüber ntv.de. Laborgeräte müssen schließlich auch von Menschen bedient werden.

Wien gilt als Vorreiter bei der PCR-Testinfrastruktur

Wenn es um den zuverlässigen Nachweis einer Infektion geht, gilt der PCR-Test als "Goldstandard" in der Corona-Pandemie. Während hierzulande jedoch priorisiert werden muss, wer ihn kostenlos bekommt, läuft es anderorts deutlich besser. Wien gilt als Vorreiter bei der PCR-Testinfrastruktur. "Wir machen am Tag etwa 302.000 PCR-Tests", sagt Mario Dujakovic, Sprecher des Wiener Gesundheitsstadtrats, gegenüber ntv.de. Die Kapazität liegt bei rund 800.000 PCR-Tests - pro Tag. Für die Bevölkerung sind sie kostenlos.

Mit Blick auf Deutschland sind das erstaunliche Zahlen. Beim ALM heißt es, man könne die Daten aus Österreich nicht mit den deutschen vergleichen. Das sei wie bei Äpfel und Birnen, es gebe ein unterschiedliches Zählverhalten. Aus Österreich heißt es: Selbstverständlich funktioniere der Vergleich.

Die Kapazitäten wurden in Wien nicht plötzlich aus dem Boden gestampft. "Wenn wir von 800.000 PCR-Tests reden, ist es das Ergebnis von fast zwei Jahren Strategie", sagt Dujakovic. "Wir können auch nicht zaubern." Anders als Deutschland habe Wien sich früh entschieden, den Pfad der Schnelltests zu verlassen. Deshalb spielten sie heute praktisch keine Rolle mehr. Mehr als zwei Drittel aller PCR-Tests in Österreich würden in Wien durchgeführt, dagegen gebe es täglich nur rund fünf- bis zehntausend Antigen-Schnelltests.

Die Laborkapazitäten in Wien wuchsen stetig. In der dritten Welle im März 2021 waren täglich 250.000 PCR-Tests möglich, heute sind es mehr als das Dreifache. Der Trick dahinter ist die Pool-Testung. Es werden zehn Proben gleichzeitig untersucht. Ist das Ergebnis negativ, bekommen alle zehn Leute einen negativen Bescheid. Ist das Ergebnis positiv, werden die Proben einzeln erneut getestet. Steigt die Positivrate, wird auch die Zahl der gleichzeitig getesteten Proben verkleinert.

"Alles Gurgelt!"

Der Grundstein für das Wiener Testsystem wurde bereits im Mai 2020 gelegt. Kontaktpersonen brauchten in Österreich einen PCR-Test. Doch für jeden Nasen- und Rachenabstrich ist medizinisches Personal notwendig. Deshalb wurde der sogenannte PCR-Gurgeltest entwickelt. Dadurch ist der Test für potenziell Infizierte leichter zugänglich. Im August 2020 wurden die Proben noch mithilfe von Fahrradkurieren zu den Menschen gebracht und abgeholt, irgendwann wurden jedoch die Botinnen und Boten knapp. Heute erhalten Österreicher den Gurgeltest in zahlreichen Supermärkten oder Tankstellen in und um Wien herum kostenlos.

Das Programm "Alles Gurgelt!" wurde im Februar 2021 erst im Probebetrieb gestartet und einen Monat später allen Wienerinnen und Wienern zugänglich gemacht. Der Vorteil: Die Probenentnahme braucht keine fachliche Unterstützung, das kann jede und jeder selbst zu Hause machen. Dafür wird vor einer Videokamera mit einer Kochsalzlösung gegurgelt - um nachzuweisen, dass der Test auch gemacht wurde. Im Anschluss wird die Probe wieder zurück in den Supermarkt oder der Tankstelle und von dort ins Labor gebracht. Der Befund soll spätestens in 24 Stunden vorliegen.

In Österreich ist man mit dem Gurgeltest zufrieden. "Wenn ich mich auf den Abstrich versteife, dann brauche ich medizinisches Personal, das in Hochinzidenzzeiten natürlich knapper ist als sonst", sagt Sprecher Dujakovic. Auch beim Personal gebe es hohe Infektionszahlen, das gefährde die gesamte Testinfrastruktur. Am Ende ist es dann auch eine Geldfrage. "Dadurch, dass wir da ein Labor haben, das die Mengen ordentlich hochskaliert hat, konnten wir den Preis auch drücken."

Geld spielt auch eine Rolle

Pooltestungen wurden auch in Deutschland diskutiert und teilweise in Schulen und Kitas angewendet. Dennoch sieht die PCR-Strategie hierzulande anders aus. Der österreichische Mikrobiologe Michael Wagner vermutete im ZDF, dass der PCR-Test in Deutschland zu lange aus einer medizinisch-diagnostischen Sicht betrachtet wurde. "Wie perfekt ist der Test? Dabei hat man übersehen, dass die PCR mit dem Gurgeln und Poolen um Größenordnungen empfindlicher ist als jeder Antigen-Test und auch ganz leicht an neue Varianten angepasst werden kann."

Bei der Tübinger Ärztin Lisa Federle ist der Unmut über die deutsche Strategie groß. In der "Bild"-Zeitung verweist sie auf die sogenannten Point-of-Care-PCR-Tests (POC-PCR-Test). Das sind Maschinen, die innerhalb einer Viertelstunde Ergebnisse liefern können. Dafür brauchen sie zwar keine Laborunterstützung, kosten in der Anschaffung jedoch je nach Modell rund 15.000 Euro und sind etwas ungenauer. Damit könnten aber auch in Apotheken oder Hausarztpraxen PCR-Tests durchgeführt werden.

In der Coronavirus-Testverordnung regelt das Gesundheitsministerium, wie viel ein Anbieter vom Bund für einen Test erstattet wird. In der jüngsten Anpassung wurde die Vergütung bei POC-PCR-Tests jedoch von 43,56 auf 30 Euro reduziert. "Wie kann es sein, dass auf der einen Seite die PCR-Tests priorisiert werden müssen, auf der anderen Seite die Vergütung so runtergesetzt wird, dass sie nicht einmal die Unkosten deckt?", sagte Federle.

Die Kritik ist offenbar auch bis zum Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach durchgedrungen. Der SPD-Politiker kündigte gestern Abend bei RTL an, die PCR-Kapazitäten weiter ausdehnen zu wollen. Das österreichische Pooling wurde auch in Deutschland diskutiert, aber hier nicht eingeführt. Ein anderes Mittel sind die von der Tübinger Ärztin Federle angesprochenen POC-PCR-Tests. Hier kündigte Lauterbach nun wieder eine Rolle rückwärts an: In Zukunft sollen sie wieder stärker vergütet werden. Damit hoffe er auf ein zusätzliches Angebot.

(Dieser Artikel wurde am Dienstag, 25. Januar 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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