Von der Göre zur Dame Trends schaffen Nähe
24.08.2024, 15:32 Uhr Artikel anhören
Die Brat-Bewegung hatte ihren Höhepunkt, als Kamala Harris sich den Tweet der britischen Popsängerin "Kamala IS brat" zu eigen machte.
(Foto: picture alliance/dpa/San Francisco Chronicle/AP)
Kamala Harris ist auf den giftgrünen "brat"-Zug aufgesprungen und sammelt so junge Wählerinnen. Joe Biden hingegen twittert, wie er ganz "demure" Studienschulden erlassen möchte. Brat-Girl-Summer, Demure, Tradwife oder Girlboss - Millionen Menschen adaptieren solche Trends.
Du sagst, was du denkst, und tust, was dir Spaß macht. Dein Zimmer ist etwas chaotisch, das kurze Tank-Top trägst du ohne BH und du bist nächtelang mit Freundinnen tanzen. Kurz gesagt: Du bist "brat" - eine Göre. Die Popsängerin Charlie xcx hat den neuen Trend des "Brat-Girl-Summer" mit ihrem kürzlich erschienen giftgrünen Album "brat" inspiriert. Es ist viral gegangen, diverse Marken nutzen dieses Image und sogar Kamala Harris hat für ihren Wahlkampf Gebrauch davon gemacht, doch dazu später mehr.
Mit dem langsam schwindenden Sommer scheint allerdings auch die Brat-Girl-Attitude von uns zu gehen. Plötzlich wollen es alle "demure". Die Gegenbewegung zum vorigen Trend identifiziert sich damit, bescheiden, anständig und süß zu sein, so gar nicht brat also. Gestartet hat den Trend die Influencerin Jools Lebron mit einem Video, wie sie sich mit etwas Selbstironie "demure" für die Arbeit fertig macht. Das Reel, in dem sie betont, wie süß, achtsam und bescheiden sie agiert, hat inzwischen über 30 Millionen Aufrufe. Die Puertoricanerin beschreibt "demure" als Lifestyle und hat mehrere Videos zu dem Thema kreiert.
Die beiden Bewegungen sind ein gutes Beispiel dafür, wie Trends innerhalb von wenigen Tagen überall auftauchen, ihren Höhepunkt erreichen - und dann genauso schnell wieder abgelöst werden können. Das findet auch Christine Reiß. Sie ist Moderatorin und Videoproduzentin und beschäftigt sich mit dem Thema Trendforschung an der Schnittstelle Wissenschaft, Wirtschaft und Politik auf Tiktok.
Kamala Harris ist "brat"
Solche Trends laufen meist nach einem bestimmten Schema ab, wobei sie sich immer in einem Spannungsfeld bewegen, weiß Reiß: "Sie sind flexibel, wiedererkennbar und universal. Jede und jeder kann frech und rebellisch sein oder giftgrün tragen - genauso können Menschen achtsam sprechen oder sich dezent schminken und dadurch eine bestimmte Ästhetik transportieren", so Reiß gegenüber ntv.de. Indem sich viele Menschen mit den Inhalten identifizieren und daran teilnehmen können, breiten sie sich aus und entwickeln sich erst zu Trends.
Meist fängt der Trendzyklus als Nischenbewegung an. Early Adopters steigen ein, bis es eventuell im Mainstream ankommt. Die Brat-Bewegung hatte ihren Höhepunkt, als Kamala Harris sich den Tweet der britischen Popsängerin "Kamala IS brat" zu eigen machte und ihr Team die Farbe des Wahlkampfaccounts zu brat-grün änderte. Der Tweet gleicht einem Ritterschlag der Coolness. Ihn aufzugreifen, ist laut amerikanischer Medien ein guter Schachzug, um junge Wählende zu gewinnen.
Solche Trends sind laut dem Trendforscher Tristan Horx klare Mikrotrends und drücken sich häufig in Form von Mode aus. Horx ist auf Digitalisierung und Jugend spezialisiert und berichtet von deutlich kürzeren Trendzyklen als früher. "Gerade durch Social Media sind Trends schnelllebiger geworden", sagte er ntv.de. Auf einen Trend folgt auch immer ein Gegentrend - nach der Brat-Girl-Summer Rebellion haben wir das gesittete Demure. Nach Göre kommt Dame."
Junge Frauen als Hauptgruppe
Frühere Ausprägungen dieser Trends zeigten sich in der Form von Girlboss und Tradwife. Die Tradwife gleicht einer Reise zurück in die 50er-Jahre: zuhause bleiben, kochen und sich beeindruckend ästhetisch um den Haushalt und die Kinder kümmern. Als Gegenbewegung der Girlboss: die starke Frau, die sich in einer männerdominierten Welt durchsetzt und Karriere macht.
Auffällig bei fast allen Trendbewegungen ist die sich damit überwiegend identifizierende Gruppe: junge Frauen. Diese Ursache sei historisch zu begründen, denn "Frauen haben sich mehr mit Mode und Lifestyle auseinandergesetzt, Männer holen jetzt erst langsam auf", sagt Horx zu ntv.de. Auch die Tendenz, dass Frauen immer liberaler und Männer eher konservativ werden, könnte etwas damit zu tun haben: Das Liberale ist offener für Trends. Reiß betont jedoch, dass Trends, die sich primär in Mode ausdrücken, heutzutage weniger binär kodiert sind als in der Vergangenheit. Soll heißen: Junge Männer tragen auch Perlenketten und Frauen weite Jeans.
Junge Menschen machen häufiger bei Trends mit, weil sie noch neugieriger und in der Identitätsfindung sind. Das macht sie Horx zufolge deutlich empfänglicher für Trends. Hinzu kommt, dass ältere Generationen eher auf Facebook oder Linkedin unterwegs sind, wo solche Bewegungen erst später ankommen. Dennoch wirken solche Trends häufig über ganze Generationen.
Trends schaffen Nähe
Mit historischen Momenten wie der fröhlichen und auch mal frechen - eben "bratty" - Kamala Harris und ihrem giftgrünen Wahlaccount haben sich generationsübergreifend Menschen identifiziert und gefeiert. "Auf diese Art und Weise kann und wird intergenerationelle Nähe geschaffen, wie es ursprünglich mal gedacht war bei Social Media", so Reiß.
Sobald ein Trend die breite Masse erreicht, greifen Marketingabteilungen ihn auf. Sie nutzen die Popkultur, um Konsumentinnen anzusprechen und den Verkauf von Make-up, Kleidung und Küchenutensilien anzukurbeln. "Marken profitieren enorm von schnelllebigen Trends, das sieht man auch an der Fast Fashion Industrie", so Horx. Häufig ist das dann der Moment, wo der Trend eigentlich bereits passé ist. "Charlie xcx macht jetzt Werbung für die Marke der Kardashians - brat ist im Mainstream angekommen", so Reiß zu ntv.de.
Auch andere Marken nutzen die Trends für ihre Zwecke: So warb der schon immer grüne Flixbus Mitte Juli damit, ein "Bratbus" zu sein, während am Mittwoch eine Meldung rausging, wie "demure" die Busfahrten seien. Auch Netflix hat eine neue Filmkategorie, die "demure" und "mindful" ist. Und Joe Biden postet auf Twitter, wie er ganz "demure" Studienschulden erlassen möchte.
Quelle: ntv.de