Panorama

Aus der Schmoll-Ecke Die "Eispreisbremse" und anderer politischer Irrsinn

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Die Kugel Eis für 50 Cent, das gibt es schon lange nicht mehr.

Die Kugel Eis für 50 Cent, das gibt es schon lange nicht mehr.

(Foto: picture alliance/dpa)

Auch die Grünen können Populismus. Mitglieder des Berliner Landesparlaments wollen, dass Eisdielen "freiwillig" Kugeln für 50 Cent für Kinder in Armut anbieten. Die Kontrollen gehen dann so: "Na, wie heißt du denn?" - "Oh, ein schöner Name. Sind deine Eltern arm oder reich?"

Alternative Wahrheiten haben den Vorteil, dass sie sich nicht widerlegen lassen. Deshalb bin ich Kolumnist aus Leidenschaft. Ich behaupte, was ich will (und kriege sogar noch Geld dafür, wenn ich es aufschreibe). Das Apodiktische, das unsere Debatten-un-kultur längst prägt, liegt mir. Ich erkläre zum Beispiel: Früher war alles besser. Denn da gab es das Internet noch nicht, jeder behielt seinen Unsinn in den eigenen vier Wänden, erzählte seine Theorien vom Untergang Deutschlands und der Welt an Weihnachten Onkel Willy, bevor der mit Good-old-Stalingrad-Storys konterte. Oder man gab seine Wahrheiten am Stammtisch zum Besten.

Heute ist die Welt ein einziger Stammtisch, das Internet macht es möglich. Jeder blökt seine alternativen Wahrheiten, hübsch getarnt als "Meinung", über die a-sozialen Medien hinaus und holt sich für sein unterentwickeltes Selbstbewusstsein ein paar sogenannte Likes ab. Das Internet ist die Pest und macht uns - mich jedenfalls - noch schizophrener, als wir - jedenfalls ich - es sowieso schon sind: Wir - jedenfalls ich - lieben und hassen es. So war es auch schon, als Gutenberg den Buchdruck erfand. Er legte den Grundstein zur Verbreitung von Botschaften voller Liebe und voller Hass.

Nun ist das Internet allerdings da, niemand wird es abschaffen, höchstens - denke ich an Diktatoren - abschalten. Noch ist freier Mailverkehr möglich. Neulich antwortete ich einem Leser, dass ich glaube, dass CDU und CSU mit der Alternative für Durchgeknallte, die Deutschland wieder normal machen will, nicht koalieren werden, solange in der AfD haufenweise Rechtsextremisten und -radikale mitmischen. Er, ein glühender Anhänger jener Partei, schrieb zurück: "Ich sehe keine Rechtsextremisten in der AfD. Gäbe es sie, hätten wir groß aufgezogene Gerichtsverfahren. Reihenweise!"

Alle Hoffnung dahin

Die Logik ist wahrlich bestechend, dass es schmerzt. Noch vor zwei oder drei Jahren hätte ich leidenschaftlich argumentiert. Doch habe ich aufgegeben und stelle resignierend fest: Es ist sinnlos. Ich entziehe mich und bleibe in meiner Blase. In gewisser Weise bin ich ein Politikverdrossener, der längst alle Hoffnung fahren ließ, sehr oft nur noch Überschriften sogenannter News liest und den Kopf schüttelt über das Unvermögen der Leute, die uns, das sogenannte Volk, in den Parlamenten vertreten. Ich fühle mich nicht von Dilettanten repräsentiert, sondern bin oft verärgert. Friedrich Merz wollte unbedingt König von Deutschland werden, der AfD Stimmen abjagen und kriegt nun nicht mal eine Richterwahl hin. Vom machtgeilen Masken-Jens ganz zu schweigen.

Das Leben ist beneidenswert leicht, wenn man erst Hunderte Millionen für eine PKW-Ausländermaut und Schutzmasken rausballert und dann die Schulden erhöht, weil es an Geld fehlt, um das Land aufzumöbeln. Ich weiß, das ist sehr verkürzt. Jedoch weiß ich auch, was die Leute draußen im Lande denken. Obwohl ich in Berlin lebe, halte ich mich nicht kontinuierlich im Raumschiff Bundestag und Umgebung auf, wo man nicht mitbekommt, was in Duisburg und im Erzgebirge abgeht. Die Alternative für Durchgeknallte und die Konkurrenz ganz weit links schaut zu und freut sich über den Stimmenzuwachs, ohne groß was zu tun. Jaja, die Populisten! Die sind der Untergang Deutschlands. Oder der ganzen Welt.

Wie kann man nur - typisch Populismus - verbilligte Eiskugeln für Kinder und Jugendliche aus armen Familien fordern? Drei Berliner Abgeordnete der Grünen haben es getan, ausgerechnet drei, die normalerweise auf das Mittel der besseren Argumente setzen. Jeder Eisladen soll zumindest eine Kugel für 50 Cent anbieten - natürlich "freiwillig". Denn so doof ist das grüne Trio nun auch wieder nicht, dass es Kleinunternehmer mit einer Pflicht quälen will - die leiden schon genug unter der Verkehrspolitik der Grünen in den einzelnen Berliner Bezirken, wo Poller die Straßen zu Irrgärten machen und Händler sowie Lieferanten genervt sind.

Das Bullerbü der Gleichheitsbefürwortenden?

Wir erinnern uns: Es sind die Grünen, die ständig erklären, dass es nicht auf die äußeren Merkmale der Menschen ankomme. Aber die Bürgergeldempfangenden und Minijobbenden sollen sich in der Eisdiele offenbaren, einen Schein vom Amt oder Lohnauszug hinlegen, der ihre Armut belegt, damit Sohn, Tochter oder Ich-weiß-noch-nicht-was-ich-bin Kugeln für 50 Cent bekommen. Oder beruht das Konzept für die "Eispreisbremse", wie der Boulevard sie nennt, auf Vertrauen? Wenn nicht: Wer kontrolliert die Bedürftigkeit? Die Eisverkäuferin, die nur Englisch spricht, was der Bürgergeldempfangende leider nicht versteht? Scheiß auf Bürokratieabbau! Vielleicht können Sozialarbeitende schon beim Eintritt in den Laden die Lebensumstände abfragen. "Na, wie heißt du denn?" - "Oh, das ist ein schöner Name. Sind deine Eltern arm oder reich?"

So sieht es aus, das Bullerbü der Gleichheitsbefürwortenden. Aber Stringenz in der Politik war ohnehin einmal. Jeder fordert, was irgendwie Schlagzeilen macht. Nur haben die Grünen das Glück: Populisten sind immer die von rechts. Lustig ist übrigens, dass unter den drei Berufspolitikerin eine Frau ist, die im Berliner Landesparlament sowohl Sprecherin für Antidiskriminierung als auch Sprecherin für Industrie und Digitalwirtschaft ist. Das sagt eine Menge. Die Grünen sind für gerechte Entlohnung. Die Grünen sind für Einhaltung von Standards beim Umwelt- und Verbraucherschutz sowie Lieferketten. Im Bund haben sie all das mit durchgesetzt. Das verteuert Produkte. Aber dann von Kleinunternehmern erwarten, dass sie Eiskugeln unter Herstellerpreis abgeben - das muss man erst einmal bringen.

Die Mohren- kreuzt die Friedrichstraße und führt zwischen Gendarmenmarkt und Hilton vorbei, eines der teuersten Viertel Berlins, wo nicht nur das Eis in Läden und Lokalen alles andere als preiswert ist und selbst manch Gutverdiener passen oder seine Kinder (und sich) auf daheim vertrösten muss, weil das Eis aus dem Supermarkt billiger ist. Die Mohrenstraße heißt nun - vor allem die Grünen wollen es so - bald nicht mehr Mohrenstraße, die Klage gegen die Umbenennung ist gescheitert. Wie las ich kürzlich: "Der Begriff Mohr wird von vielen Menschen, insbesondere aus der Schwarzen Community Berlins, seit Langem als rassistisch und entmenschlichend wahrgenommen." Dann können sich alle, die sich keine Eiskugeln mehr leisten können, mit diesem Fortschritt trösten und sich daran erinnern: So geht volksnahe Politik.

Quelle: ntv.de

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