"Deepwater Horizon" Die unsichtbare Tiefseestörung
22.04.2015, 09:56 Uhr
Die Hälfte der Delfine am Golf von Mexiko ist schwer krank oder in Lebensgefahr.
(Foto: AP)
Der Auftrag der Bohrplattform ist fast beendet, da passiert das Unfassbare. Die "Deepwater Horizon" explodiert, Millionen Liter Öl strömen in den Golf von Mexiko. Fünf Jahre später gerät die Katastrophe immer mehr in Vergessenheit - doch das Öl ist nicht weg, nur unsichtbar.
Der Strand ist weiß, die Wellen plätschern. Im Meerwasser schaukeln Quallen und Pelikane schweben in der Abendsonne vorbei auf der Suche nach Fischen. Auf den ersten Blick erinnert hier an der Küste Floridas nichts mehr an den Schauplatz einer der dramatischsten Umweltkatastrophen der Geschichte.
Es ist Dienstag, der 20. April 2010, als auf der von dem Energiekonzern BP betriebenen Tiefsee-Bohrinsel "Deepwater Horizon" das Unfassbare passiert. Aus dem Bohrloch 80 Kilometer vor der Küste Floridas schießen unkontrolliert Öl, Schlamm und Methangas auf die Plattform. Das Gemisch fängt Feuer, explodiert und reißt elf Arbeiter in den Tod. Zwei Tage später sinkt die Bohrinsel. Millionen Barrel Öl fließen aus dem havarierten Bohrloch und überschwemmen den Golf von Mexiko.
Die ganze Welt blickt nun nach Louisiana, die Medien berichten rund um die Uhr. Millionen Menschen verfolgen, wie BP ein Versuch nach dem anderen misslingt, das undichte Loch am Meeresgrund zu schließen. Quälende 88 Tage vergehen, bis das Leck am 16. Juli endlich dicht ist. Wie viel Öl in diesen Wochen ins Meer gelangen, darüber streiten sich BP und die US-amerikanische Regierung bis heute. Umweltexperten schätzen, das es bis zu fünf Millionen Barrel Öl gewesen sind, 800 Millionen Liter.
BP: Ölpest ist Geschichte
Wie viel Rohöl tatsächlich in den Golf von Mexiko sprudelte, darüber streiten sich BP und die US-Regierung bis heute. Da BP nach dem Unglück Messungen verhindert hat, gibt es nur Schätzungen, die weit auseinandergehen.
Mehr als 380 Millionen Liter waren es dem letzten Richterbeschluss zufolge, also mehr als vom Konzern angegeben und weniger als von der Regierung geschätzt.
Greenpeace vermutet, dass rund 780 Millionen Liter ins Meer geflossen sind.
Der Ölfilm, der sich auf bis zu 75.000 Quadratkilometer vergrößert, bringt ein ganzes Ökosystem ins Wanken, tötet Zehntausende Tiere, verseucht Strände, zerstört Korallenriffe und raubt Fischern den Lebensunterhalt. Von den Folgen unmittelbar betroffen sind das Flussdelta des Mississippi sowie das dortige Wildschutzgebiet Pass à l'outre. In den Bundesstaaten Louisiana, Florida, Mississippi, Texas und Alabama wird der Notstand ausgerufen.
So schnell das öffentliche Interesse an der Tragödie aufgeflammt war, so rasch versiegt es auch wieder. Fünf Jahre später ist die Katastrophe fast in Vergessenheit geraten. Aber was ist aus dem Öl geworden? Und wie geht es den Menschen, der Flora und Fauna im Katastrophengebiet heute?
Laut BP ist die "schwarze Pest" längst Geschichte. Der Großteil des Öls sei verdampft, verbrannt, abgesaugt und gelöst, behauptete der Verursacher der Katastrophe bereits wenige Monate nach dem Unglück. "Die Umwelt am Golf zeigt starke Zeichen von Erholung, vor allem wegen seiner natürlichen Belastbarkeit sowie der beispiellosen Reaktion und der Aufräumarbeiten", teilt Laura Folse, BP-Chefin für Umweltsanierung, erst vor wenigen Wochen mit. Der Golf kehre zu den Bedingungen zurück, die vor der Ölpest herrschten, heißt es im Fünfjahresbericht.
"Diese Schlussfolgerungen sind unangemessen und voreilig", beschweren sich die nationalen Umweltbehörden. BP wende die von Wissenschaftler erhobenen Daten nicht nur falsch an und interpretiere diese auch falsch, sondern ignoriere Berichte von Forschern, die diese Einschätzung nicht teilten.
Delfinsterben, kranke Ölarbeiter und tote Korallen
So hatte eine Langzeitstudie, die Wissenschaftler an Delfinen vor der Küste von Louisiana durchführten, bereits Ende 2013 erschreckende Erkenntnisse zutage gebracht. Demnach leiden die Meeressäuger heute unter Lungenerkrankungen und anderen Auffälligkeiten. Für die Studie fingen Wissenschaftler der Nationalen Ozean- und Atmosphärenverwaltung (NOAA) etwa 30 Tümmler, untersuchten sie und ließen sie anschließend wieder frei. Bei vielen Tieren waren mittelschwere oder ernsthafte Lungenschäden festzustellen, fast die Hälfte von ihnen hatte eine schlechte Gesundheitsprognose. 2014 wurde in den ehemals verölten Gegenden etwa die vierfache Zahl toter Delfine gefunden als vor der Ölkatastrophe.
Eine andere Studie vom Juli 2014 offenbarte, dass die Ölpest nach dem Unglück auch viele Korallen-Kolonien geschädigt hat. Das liegt vor allem an der Chemikalie Corexit, mit der das ausgelaufene Öl damals bekämpft wurde. Corexit spaltet das Öl in Tröpfchen auf, damit es absinkt, statt auf dem Wasser zu schwimmen, wo es die Federn der Seevögel verklebt und, wenn es an Land getrieben wird, Strände verschmutzt. Die hochgiftige Chemikalie bewirkte, dass das Öl zwar oberflächlich verschwand, dafür aber heftige Nebenwirkungen erzeugte.
"Der Versuch, das Öl gar nicht erst an die Oberfläche gelangen zu lassen, ist im Nachhinein komplett gescheitert, weil die Organismen in der Tiefsee darunter massiv gelitten haben", erklärt Jörg Feddern, Biologe und Ölexperte bei Greenpeace gegenüber n-tv.de. Wissenschaftliche Untersuchungen hätten gezeigt, dass das eingesetzte Corexit sogar giftiger auf Korallen wirke als das Öl und beides zusammen in Kombination noch viel toxischer ist.
"Das Öl bleibt Jahrzehnte dort unten"
Nun lauert die Gefahr unsichtbar in den Untiefen des Golfs von Mexiko. Experten zufolge haben sich große Mengen des ausgetretenen Öls auf dem Meeresboden im Umkreis des Bohrlochs abgelagert. Es stieg nicht an die Oberfläche, sondern sank auf einer Fläche von mindestens 3200 Quadratkilometern auf den Boden, schreiben Forscher im Fachmagazin "Proceedings oft the National Academy of Sciences". Vermutlich sei ein noch viel größeres Gebiet verschmutzt. Da sich das Öl aber nicht flächendeckend absetzte, sondern eher mosaikartig, seien die Ablagerungen aber nur schwer aufzuspüren.
"Dieses Öl bleibt dort unten für Jahrzehnte und gibt nach und nach Gift in die Wassersäule ab", erläutert Feddern. Das Leben unter dem Ölteppich sterbe auf sehr lange Zeit ab, so der Experte der Umweltschutzorganisation weiter. Die ökologischen Folgen für die Region seien kaum abzuschätzen, denn fünf Jahre sind in einem komplexen Ökosystem gerade Mal ein Wimpernschlag.
Und BP? Der britische Ölriese ist längst wieder im Geschäft, bohrt schon wieder in relativer Nähe zum alten Ölfeld. Die US-Regierung hob ihren 2012 erlassenen Bann gegen BP im März letzten Jahres überraschend auf. Zwar gibt es gesetzliche Verschärfungen und technische Anforderungen, dennoch ist nicht auszuschließen, dass bei einem erneuten Ölunfall wieder wochenlang Öl ins Meer strömt.
Quelle: ntv.de