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Sympathie trotz Differenzen Diese Wege führen aus der Polarisierungsfalle

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Manchmal reicht es schon, ein bisschen aufeinander zuzugehen.

Manchmal reicht es schon, ein bisschen aufeinander zuzugehen.

(Foto: IMAGO/imagebroker)

Die Gesellschaft ist immer stärker gespalten. Menschen suchen nur noch Informationen, die ihre eigene Meinung bestätigen und lehnen andere Sichtweisen ab - und Menschen, die diese haben, gleich mit. Doch Polarisierung wollen die wenigsten, und oft reichen kleine Schritte für eine Annäherung.

Linken- oder AfD-Wähler, Fahrrad- oder Autofahrerin, Familienmensch oder kinderlos, Veganer oder Fleischesser? Aus jeder politischen oder Weltansicht scheint gerade eine Grundsatzfrage zu werden. Und mit der Entscheidung für die eine oder andere Variante findet man sich in einem Lager wieder, das immer häufiger unversöhnlich einem anderen gegenübersteht. Wahlergebnisse wie Studien zeigen diese zunehmende Polarisierung deutlich.

"Man sieht die Tendenz, dass Menschen weniger offen für andere Meinungen sind. Sie lehnen häufig alles, was von der 'anderen Seite' gesagt wird, erst mal grundsätzlich ab und wollen sich mit diesen Positionen auch gar nicht auseinandersetzen", sagt Kevin Winter ntv.de. Der Psychologe untersucht an der Uni Hohenheim Strategien gegen gesellschaftliche Polarisierung. "Menschen suchen sich anhand ihrer eigenen Vorlieben sozusagen aus, was sie hören oder auch glauben wollen."

Was auf den ersten Blick nicht bedeutsam erscheinen mag, kann innerhalb der Gesellschaft eine enorme zerstörerische Kraft entfalten. Wenn Vertrauen und Unterstützung füreinander fehlen, geht gesellschaftlicher Zusammenhalt verloren. Verschiedene Gruppen bilden immer mehr eigene Blasen und kommen seltener mit gegensätzlichen Meinungen in Berührung. Das kann dazu führen, dass sie völlig unterschiedliche Vorstellungen von der Realität entwickeln und nicht mehr in der Lage sind, gemeinsam auf Herausforderungen zu reagieren und Lösungen zu finden.

Anregungen zum Umdenken

Winter sucht gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen nach Ansätzen, "festgefahrene Denkmuster ein bisschen aufzulösen und wieder mehr Offenheit zu erzeugen". Eine Methode dafür kann das Auflösen von "kognitiven Konflikten" sein, wie es in der Psychologie genannt wird. Sie entstehen, wenn man über schwer vereinbare Ziele oder widersprüchliche Informationen nachdenkt, beispielsweise wie man gleichzeitig Karriere machen und viel Zeit für die Familie haben kann, oder ob man lieber mit einem umweltfreundlichen oder einem schnellen Verkehrsmittel reist.

Eine weitere Möglichkeit ist es, extreme Ansichten so weit zu übertreiben, dass sie absurd erscheinen. "Jemanden mit einer kritischen Einstellung zu Migration könnte man fragen, warum die Person glaubt, dass wir wegen der gestiegenen Anzahl von muslimischen Geflüchteten bald keine Weihnachten mehr feiern werden?", erläutert Winter. Die Frage greife die grundsätzliche Position auf, überspitze sie aber. "In der Forschung findet sich recht starke Evidenz dafür, dass das dazu führt, dass Menschen merken, so extrem meine ich das nicht, und sich dann von ihrer Extremposition distanzieren."

An der Stanford-Universität ist man noch einen Schritt weiter gegangen. Der Soziologe Jan Voelkel und ein interdisziplinäres Team haben 2022 einen Aufruf gestartet, Ideen einzureichen, die gegen die zunehmende Polarisierung helfen könnten. Aus den mehr als 250 eingereichten Vorschlägen wurden 25 ausgesucht, die sich online umsetzen und untersuchen ließen. Dabei standen nicht so sehr politische Überzeugungen im Mittelpunkt, sondern eher die emotionale Kluft zwischen sozialen Gruppen. "Für diese affektive Polarisierung, wie wir sie nennen, hat es besonders gut funktioniert, Leute mit unterschiedlichen Einstellungen, die trotzdem sympathisch sind, zu zeigen", fasst Voelkel die Ergebnisse im Gespräch mit ntv.de zusammen.

Überraschungssieger war in der Untersuchung ein Spot des Bierherstellers Heineken. Darin wurden drei Paare mit sehr unterschiedlichen Positionen zusammengebracht, die zusammen eine Bar bauen sollten. "Bevor sie ihren wohlverdienten Lohn bekommen haben, wurden sie mit ihren unterschiedlichen Einstellungen konfrontiert und dann vor die Wahl gestellt, entweder nach Hause zu gehen oder über diese unterschiedlichen Einstellungen zu reden und dabei ein Bier zu trinken." Alle entschieden sich für das Gespräch und das Bier.

Stereotype stimmen nie

"Man konnte sehen, dass sich die Leute sympathisch waren, trotz der Differenzen", erklärt Voelkel den Effekt des Videos. "Wenn wir an Unterstützer von anderen Parteien denken, haben wir häufig Stereotype im Kopf, die das extremste und das schlechteste Bild zeigen. Aber wenn wir Menschen wirklich kennenlernen und deren komplexere Einstellungen versuchen nachzuvollziehen, dann können wir sehr wohl Leute mit unterschiedlichen Einstellungen mögen und auch zu ihnen gute Beziehungen aufbauen."

Die Forschenden in Stanford befürworten auch Ideen wie die Prosocial Ranking Challenge der University of California, Berkeley, die Algorithmen von sozialen Medien so zu verändern, dass es nicht nur um Likes geht. Denn diese Ausrichtung führe dazu, die extremste Version einer Gruppe zu zeigen, "weil das dann dazu führt, dass ich wütend bin und dass ich darauf reagieren will". Algorithmen könnten aber auch auf die Erhöhung von Wohlbefinden, weniger Polarisierung und die Verbreitung von Fakten ausgerichtet sein. Die Finalisten der Challenge schlagen beispielsweise das Downranken von toxischem Inhalt, das Hinzufügen von vielfältigen politischen Meinungen und das Einbringen von glaubwürdigen Nachrichtenquellen vor.

Woche der Vielfalt
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(Foto: RTL)

Menschen teilen Emotionen und Erfahrungen - unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder Lebensweg. RTL Deutschland und ntv stellen vom 10. bis 16. März 2025 in der "Woche der Vielfalt" den Wert der Gemeinschaft in den Mittelpunkt und zeigen, dass uns mehr verbindet als trennt.

Eine dritte Möglichkeit sei, so Voelkel, "dass man versucht, Politiker und Politikerinnen mit ins Boot zu holen, die ja auch eine Vorbildfunktion haben". In der Untersuchung wurde ein Werbespot des aktuellen Gouverneurs von Utah und seines damaligen demokratischen Herausforderers gezeigt, die sich beide trotz ihrer verschiedenen Standpunkte demokratischen Prinzipien verpflichtet zeigen. "In Umfragen sagen 80 Prozent der Befragten, sie wollen diese Polarisierung nicht und sie wollen, dass Politiker Gemeinsamkeiten anstreben."

Voelkel sieht in den jüngsten krisenhaften Entwicklungen auch eine Chance. "Wenn wir wirklich unsere Beziehungen mit anderen verbessern wollen, lohnt es sich, empathisch zu sein. Wir sollten versuchen, Argumente zu finden, sich in die andere Seite hineinzuversetzen, Motive und Werte nachzuvollziehen und darauf basierend dann die eigenen Argumente ins Gespräch einzubringen."

Quelle: ntv.de

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