Droht Nachtleben großes Sterben? Wie Deutschlands Clubs um Party-Nachwuchs ringen


Bass, Strobo, tanzende Massen: In Berlin bald nichts weiter als verschwommene Erinnerungen?
(Foto: picture alliance/dpa)
Leere Tanzflächen, leere Kassen: Die deutsche Club-Szene steckt in der Krise und befürchtet ein massenhaftes Aussterben von Betrieben. Dabei ist die Party weiterhin in vollem Gange - nur halt woanders.
Berlin, Samstagnacht, kurz nach 3.00 Uhr: Vor dem "Watergate" zieht sich eine lange Schlange die Oberbaumbrücke entlang, im Inneren der Kreuzberger Club-Institution wird bereits ausgelassen gefeiert - bis wann, ist noch nicht absehbar. Getanzt wird bis Open End. Die Party geht so lange, wie sie eben geht. Zumindest tut sie das noch in dieser Samstagnacht. Doch Ende des Jahres ist Schluss mit schier endlosem Feiern, Nebel und Bass. Denn nach 22 Jahren stellt der Club seinen Betrieb ein, wie im Herbst bekannt gegeben wurde.
Dass dem "Watergate" schon bald eine Reihe weiterer Läden folgen könnte, geht aus einer Umfrage der Berliner Clubcommission hervor. Darin gibt fast die Hälfte der befragten Betriebe (46 Prozent) an, eine Schließung im kommenden Jahr zu erwägen. Der Verein, der als Interessenvertretung des Nachtlebens in der Hauptstadt agiert, warnt vor einem regelrechten Clubsterben.
Und die Krise beschränkt sich nicht nur auf die Partymetropole Berlin. Das Hamburger Clubkombinat rechnet vor, dass die Clubs in der Hansestadt 2024 einen Gewinneinbruch von 20 Prozent im Gegensatz zum Vorjahr verzeichneten. Mehr als die Hälfte (58 Prozent) gaben an, 2025 staatliche Fördermittel zu benötigen, um den Veranstaltungsbetrieb halten zu können. Auch deutschlandweit scheint es düster auszusehen: Der Bundesverband der Musikspielstätten, Livekomm, veröffentlichte eine Erhebung, nach der sich fast zwei Drittel der befragten Clubs in einer wirtschaftlich (noch) schlechteren Lage als vor einem Jahr sehen. Etwa ein Sechstel denkt an eine Schließung in den kommenden zwölf Monaten.
Mangel an Publikumsnachwuchs
Auf der Suche nach Erklärungen für die Notlage im Nachtleben lässt sich nicht der eine wesentliche Grund ausmachen, sagt Marcel Weber gegenüber ntv.de. Laut dem Clubcommissions-Vorstand leidet es vielmehr an einer Verkettung von Problemen: "Die Corona-Pandemie mit ihren mehrjährigen Club-Schließungen war ein heftiger Einschnitt. Fast unmittelbar nach den Wiedereröffnungen begann der russische Angriffskrieg in der Ukraine, gefolgt von der Energiekrise und einer bis heute hohen Inflation."
Durch die steigenden Preise sei Feiern in der Prioritätenliste bei vielen nach unten gewandert. "Die Leute müssen schauen, wofür sie ihr Geld ausgeben." Und das seien in erster Linie Miete und Lebenshaltung. "Wenn den Menschen auf der einen Seite das Geld zum Ausgehen fehlt, und auf der anderen Seite der Kostendruck enorm steigt, ist das keine gute Mischung", so Weber.
Was Kostendruck im Falle von Nachtclubs konkret bedeutet, erklärt Flo Paloma von "://about blank", einem Berliner Club: "Das geht von der Klopapierrolle über Wasser und Miete bis zu den DJ-Gagen - sämtliche Betriebskosten sind zuletzt enorm in die Höhe geschnellt", erzählt er im ntv.de-Interview. Die Kostensteigerungen werden dann in Form von höheren Eintritts- und Getränkepreisen an das Publikum weitergegeben. "Das können sich vor allem viele jüngere Leute einfach nicht mehr leisten."
Doch der Mangel an Party-Nachwuchs liegt laut Weber nicht nur am Geld. Bedingt durch die Corona-Zeit hätten viele Jugendliche und junge Erwachsene keinen Bezug zur Clubkultur aufbauen können: "Da ist eine ganze Generation an potenziellen Clubgänger*innen, die sich mit dem Konzept Club gar nicht identifizieren können." Zwar hätten auch damals Partys stattgefunden, nur eben nicht in Nachtclubs und Diskotheken, sondern in Form von illegalen Raves in Parks oder auf anderen Freiflächen. Dieser Trend setze sich nun fort.
Hinzu kommt laut Sandra Onofri von der Kommunikationsagentur Havas, dass für viele 18- bis 25-Jährigen Feiern gehen längst keine Wochenendpflicht mehr sei. Havas erstellte dieses Jahr den auf Tausende Teilnehmenden gestützten Trendreport "Is the Party Over?". Darin gab eine Mehrheit der Befragten an, am Wochenende gern zu Hause zu bleiben. Das liege auch daran, dass der beschleunigte Zuwachs von Home-Entertainment-Programmen, Lieferdiensten und Online-Zusammenkünften während der Lockdowns nachhaltig die Vorstellung vom Partymachen beeinflusst hat.
Hürden senken, Experimente wagen
Um Clubs für junge Leute wieder attraktiv zu machen, sieht Clubcommissions-Vorstand Weber neben staatlichen Förderungen und dem Abbau von bürokratischen Rahmenbedingungen vor allem auch die Betriebe selbst in der Verantwortung: "Wir müssen schauen, wie wir die Hürden senken und Räume für junge Leute zugänglicher machen können. Und manchmal muss man auch mal ein Experiment wagen."
Denn am Ende gehe es nicht nur um laute Musik, kalte Getränke und Gewinne. Für Weber sind Clubs vor allem Orte der Begegnung und des Austauschs, an denen Menschen mit den unterschiedlichsten Herkunftsgeschichten zusammenkommen. Gerade in Zeiten des erstarkenden Rechtsextremismus müsse alles daran gesetzt werden, diese "Orte der Demokratie, der Vielfalt und des gesellschaftlichen Zusammenhalts" zu bewahren.
Die Experimentierfreudigkeit, an der es in der Clubszene bisweilen mangelt, habe sich abseits der etablierten Läden längst entfaltet, meint Paloma. "Was wir beobachten können, ist, dass es deutlich mehr Zwischennutzung unter dem Radar gibt - zum Beispiel alte Bürohäuser, die abgerissen werden sollen und bis dahin mit Partys bespielt werden." Angekündigt werden die teils legalen, teils illegalen Veranstaltung dann meist in Telegram-Gruppen.
Und so sieht Paloma die Clublandschaft weniger im Sterben liegen, als vielmehr auf etwas Neues zusteuern: "Was genau das ist, werden wir sehen. Aber Berlin und andere Städte in Deutschland werden sich das Feiern nicht nehmen lassen. Da bin ich mir sicher."
Quelle: ntv.de