Jetzt ist "eh scho wuascht" Von ungeahnten Wendungen auf dem Wiener Friedhof der Namenlosen


An Patrizias Würstelstand ist immer was los!
(Foto: Andrea Affaticati)
Die Friedhofskultur in der österreichischen Hauptstadt ist eine ganz besondere. Zum 150. Geburtstag des Wiener Zentralfriedhofs werden Geschichten über Wiederfindungen und ausgezeichnete Würstel aufgetischt.
Was hat eigentlich der Wiener Friedhof der Namenlosen mit dem Würstelstand "eh scho wuascht" vor dem Wiener Zentralfriedhof gemeinsam? Und was das alte Wiener Lied "Wenn der Herrgott net will, nutzt es gar nix" mit dem Wolfgang-Ambros-Hit "Es lebe der Zentralfriedhof"? Bevor auf diese Fragen eingegangen wird, muss erwähnt werden, dass der Wiener Zentralfriedhof dieses Jahr seinen 150. Geburtstag feiert. Ein grandioses Alter für die flächenmäßig zweitgrößte Bestattungsstätte Europas. Nur die in Hamburg-Ohlsdorf ist größer.
Für den 100. Geburtstag hatte Ambros "Es lebe der Zentralfriedhof" komponiert. Im Refrain hieß es: "Am Zentralfriedhof ist Stimmung / wia's sein Lebtag no net war, / weu alle Tot'n feiern heute / seine ersten hundert Jahr."
Ein Lied, das auch dafür steht, dass Wien bei dem Thema Tod schon immer a bissl anders tickt: ehrfürchtig und respektvoll zum einen, mit deftigem, schwarzem Humor zum anderen. Dass der Wiener vor dem Tod generell sehr wohl Ehrfurcht hat, sieht man aber vor allem am Friedhof der Namenlosen, der hinter dem Zentralfriedhof auf dem Donauufer des Albern-Hafens liegt und seit 1986 unter Denkmalschutz steht.
Die verzweifelte Magd
Hier wurden Menschen bestattet, die von der Donau angespült worden waren. Menschen, die sich das Leben genommen hatten oder getötet worden waren. Manche konnten identifiziert werden, andere nicht. Von den 102 Gräbern sind etwa die Hälfte namenlos, weil es nicht möglich war, die Wasserleichen zu identifizieren. Manchmal gab es aber auch nach Jahrzehnten eine überraschende Wende.
Und von so einer Wende erzählt Joseph Fuchs, ein stattlicher Mann, etwa 60 Jahre alt, der in dritter Generation für die Instandhaltung dieses Friedhofs sorgt. Mit ntv.de trifft er sich in der Friedhofskapelle: "Der Vorfall geht auf die 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts zurück und handelt von einer jungen Magd, die von einem Gutsbesitzer aus der Gegend hier geschwängert worden war und sofort vor die Tür gesetzt wurde", erzählt Fuchs. "Jung und verzweifelt, wie das Mädchen war, wusste sie sich nicht zu helfen und stürzte sich deshalb in die Donau."
Fuchs hatte diese Geschichte vor 15 Jahren, der Anlass war das Allerseelenfest, dem Boulevardblatt "Kronen Zeitung" erzählt. "Und schon wenige Tage später erhielt ich einen Anruf der Familie dieser Frau", erinnert sich Fuchs. "Am Anfang dachte ich, die wären sauer, weil ich den Namen ihrer Verwandten publik gemacht hatte. Doch das Gegenteil war der Fall. Die Familie betrieb seit Jahren Ahnenforschung, wusste von dieser Vorfahrin, die sich das Leben genommen hatte, kannte aber die Grabstätte nicht." Der Vater der Magd hatte sie nie verraten.
Namenlos, aber pietätvoll
Den Friedhof der Namenlosen gibt es seit 1840. Ursprünglich befand er sich auf dem gegenüber gelegenen Donauufer. Da dieses aber immer wieder überschwemmt wurde, verlegte man ihn im Jahr 1900 auf die heutige, von einem Damm geschützte Seite. Die letzte Bestattung fand hier 1940 statt. Von da an wurden und werden bis heute auch die Wasserleichen auf dem Zentralfriedhof bestattet.
Und dann ist da noch die Geschichte der Familie Fuchs selbst, die sich seit den 1930er Jahren um die Instandhaltung kümmert und diese bis heute ehrenamtlich fortführt. "Mein Großvater war in der Vorkriegszeit Gemeindegendarm", fährt Fuchs fort. "Immer wenn eine Wasserleiche angeschwemmt wurde, wurden Gemeindegendarm, Totengräber und Arzt gerufen." Eines Tages bat der damalige Totengräber den Großvater, seine Aufgabe zu übernehmen, er selbst könne keinen Fuß mehr auf das Gelände setzen. Der Sohn hatte Selbstmord begangen und lag jetzt auch auf diesem Friedhof.
"Als mein Großvater 1946 aus der Kriegsgefangenschaft in Russland zurückkam, befand sich der Friedhof in einem Zustand der totalen Verwüstung. Er wollte es aber nicht dabei belassen", hebt Fuchs hervor. Er war nämlich überzeugt, "warum auch immer sich diese Menschen das Leben genommen haben, man sollte sie nicht vergessen", und setzte die Grabstätten wieder instand. Dafür wurde ihm das Ehrenkreuz verliehen.
"Ich turne bis zur Urne"
Anders als auf dem Friedhof der Namenlosen befindet sich auf dem Zentralfriedhof neben den Grabstätten der ganz normal Sterblichen auch mancher berühmte Verstorbene - darunter die Meisterkomponisten Beethoven, Brahms und Schubert. Ein paar Schritte weiter dann findet man die Parzelle von Udo Jürgens und nicht weit davon den Riesenkater über dem Grab des Karikaturisten Manfred Deix.

Und sofort hat man "Ta-ta-ta-taaa, ta-ta-ta-taaa" (Sinfonie Nr. 5) im Kopf, oder?
(Foto: Andrea Affaticati)
Der Zentralfriedhof ist aber auch ein äußerst beliebter Ort zum Spazierengehen. Und zwar für Jung und Alt. Man geht gerne durch die Alleen, sieht den forschen Eichhörnchen zu, die sich ganz nah herantrauen, und manchmal trifft man auch auf eine "scheene Leich", wie die Wiener ein stattliches Begräbnis nennen. Ein Besuch im Friedhofsmuseum sollte auch noch drin sein, denn dort erfährt man unter anderem, was es mit dem Herzmesser und dem Scheintod auf sich hat und stößt auf Sprüche wie "Ich nasche bis zur Asche" oder "Ich turne bis zur Urne".
"So schade"
Und es war nach einem Spaziergang auf dem Friedhof, als Patrizia auf den geschlossenen Würstelstand vor Tor 2 aufmerksam wurde. Patrizia ist 27 Jahre alt und hat Tourismusmanagement studiert. "Ich komme aus dem Weinviertel und habe in Wien studiert", erzählt sie ntv.de. Sie ist eine begeisterte Unterstützerin der Wiener Würstelstandkultur, weswegen sie sich beim Anblick des geschlossenen Stands nur dachte: "So schade."
Die meisten hätten das Potenzial des Stands nicht erkannt, weil sie glauben, hierher würde man nur wegen der Begräbnisse kommen. "Das stimmt aber nicht", fährt Patrizia fort. "Die Leute kommen, um die Gräber zu pflegen, oder auch nur, um zu spazieren. Außerdem arbeiten auch sehr viele hier: Steinmetze, Totengräber und Leute, die in der Gegend wohnen. Am Stand ist immer was los."
Schnell fasste sie den Entschluss und machte sich auf die Suche nach dem Besitzer, von dem sie den Stand pachtete. Am Anfang war es nicht leicht, aber mittlerweile ist sie happy. Der Name des Würstelstands - "eh scho wuascht " - hat natürlich eine ganz besondere Anziehungskraft. Und ein Würstel (und die sind wirklich prima, auch die veganen) gepaart mit etwas Wiener Schmäh lassen die Welt auch in dunklen Augenblicken gleich etwas heller erscheinen.
Quelle: ntv.de