Atomraketen statt Nahrungsmittel Hunger? "In vielen Ländern ein Tabuthema"
23.12.2021, 17:08 Uhr
Wasser mit Blättern - in Dürreperioden sieht eine Mahlzeit im Jemen häufig so aus.
(Foto: picture alliance/AP Images)
Bis 2030 soll niemand mehr hungern müssen, das ist das Versprechen der Weltgemeinschaft. Eines, das wir vermutlich brechen werden. Gewaltsame Konflikte, der Klimawandel und die Corona-Pandemie sind die drei Haupttreiber des Welthungers, erklärt Mathias Mogge, der Generalsekretär der Welthungerhilfe, im "Klima-Labor". Aber oft sei es auch eine Frage des politischen Willens, ob man dieses Problem angehen wolle. Organisationen wie das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen schlagen deswegen einen neuen Weg ein. Sie appellieren an Milliardäre wie Tesla-Gründer Elon Musk, sich an der Lösung des Problems zu beteiligen.
ntv.de: Haben Sie schon gehört, ob das Welternährungprogramm (WFP) der Vereinten Nationen von Elon Musk die versprochenen 6,6 Milliarden Dollar erhalten hat?
Mathias Mogge: Ich habe mich extra nochmal schlau gemacht für dieses Gespräch. Leider ist nach wie vor nichts passiert. Bis auf Ankündigungen ist kein Geld geflossen. Das ist wirklich sehr bedauerlich, weil es immer wieder Versuche gegeben hat, Druck auszuüben. Auch von David Beasly, dem WFP-Chef, der diese Debatte im November ins Rollen gebracht hatte. Aber Elon Musk hat sich seitdem nicht mehr gemeldet.
Gab es den Versuch, privat Kontakt aufzunehmen?
Nicht von unserer Seite, weil David Beasly in unserem Sektor wirklich eine sehr prominente Figur ist. Deswegen haben wir davon abgesehen. Aber wir haben gemerkt, dass es eine unglaublich große Resonanz gab, auch bei mir persönlich. Das hält bis heute an. Das ist ganz interessant, dass die Öffentlichkeit an diesem Thema offenbar ein großes Interesse hat.
Glauben Sie denn, dass es noch dazu kommt?
Die Hoffnung sollte man nie aufgeben. Es ist auch gut, wenn der Druck aufrechterhalten bleibt und immer mehr Leute davon erfasst werden von dem, was Elon Musk mit seinen Milliarden tut oder nicht tut oder was man damit tun könnte. Er hat viel Geld, andere wie Jeff Bezos haben auch wahnsinnig viel. Aber am Ende ist der Hunger in der Welt ein Problem, das uns alle angeht. Dafür tragen wir alle die Verantwortung. Elon Musk ist praktisch der Aufhänger dafür.

Hunger ist oft eine Frage des politischen Willens, ob eine Regierung das Problem angehen will oder eben nicht, sagt Mathias Mogge, Generalsekretär der Welthungerhilfe.
(Foto: picture alliance/dpa)
Der Plan von David Beasly hat den Untertitel "Ein einmaliger Appell an Milliardäre". Können wir den Welthunger nicht ohne Milliardäre lösen? Sind es wirklich diejenigen, auf die wir Druck ausüben sollten?
Sowohl als auch. Milliardäre oder wohlhabende Menschen können natürlich helfen. Das machen ja auch einige, Bill Gates ist ein ganz großes Beispiel. Wir erleben das auch als Welthungerhilfe, dass Menschen sagen, sie möchten einen Beitrag leisten. Gleichzeitig muss man an die Weltgemeinschaft appellieren, an die eigene, aber auch andere Regierungen, ihre Beiträge zu leisten. Am Ende sitzen wir alle in einem Boot.
Es wirkt sehr traurig, wenn man sich anschaut, dass die USA mehr als 700 Milliarden Dollar im Jahr für ihr Militär ausgeben. Deutschland will seine Rüstungsausgaben in den nächsten Jahren ebenfalls erhöhen, aber irgendwie scheint kein Geld für Probleme wie den Welthunger da zu sein.
Die Zahlen des Stockholmer Friedensinstitut SIPRI zeigen ja, dass die Rüstungsausgaben trotz Corona-Krise massiv nach oben gegangen sind und dass die Firmen, die mit Waffen Geschäfte machen und Profite erzielen, wirklich hervorragende Zahlen präsentieren. Das zeigt, dass hier irgendwas nicht in Ordnung ist. Es ist viel Geld für Rüstung da, aber wenig, um die dringendsten Probleme der Welt anzugehen und da gehört der Hunger nun mal dazu. Wir erleben das gerade bei der Dürre am Horn von Afrika, wo Millionen Menschen in der Situation sind, dass sie einfach nichts mehr zu essen haben. Wenn man dann sieht, dass das Geld nicht ausreicht, um Menschen, die unmittelbar vom Hungerstod bedroht sind, zu helfen, ist das eine ganz traurige Angelegenheit.
Was bei diesem Tweet von Elon Musk ein bisschen mitschwingt, ist ja die Frage, ob Geld allein das Problem wirklich lösen kann.
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Das ist eine absolut berechtigte Frage und ich glaube, Geld alleine reicht nicht aus. Aber ohne geht es auch nicht. Alle, die sich mit dem Thema Hunger beschäftigt haben, wissen, dass es eine komplexe Frage und Aufgabe ist. Dass es politische Reformen, gute Regierungsführung und politischen Willen braucht, um in ländliche Räume zu investieren und etwas gegen den Klimawandel zu tun. Das sind alles eher politische Fragen, nicht unmittelbar finanzielle.
Aber es muss natürlich Hand in Hand gehen. Wir brauchen Investitionen, um Sozialprogramme hochzufahren, um Anpassungsprogramme gegen den Klimawandel etablieren zu können. In Ländern, in denen gerade akuter Hunger herrscht, bedarf es jedoch zunächst einmal einer Nahrungsmittelhilfe oder Geld für die Menschen. Darum ging es übrigens bei der Beasly-Musk- Geschichte: Sechs Milliarden Dollar werden gebraucht, um die unmittelbare Not zu lindern. Darüber hinaus braucht es jährliche Zahlungen von 40 und 50 Milliarden Dollar, um längerfristige, strukturbildende Maßnahmen einzuleiten. Wir haben rund 811 Millionen Menschen, die hungern. Wenn wir nicht beherzt einsteigen, werden wir diesen Hunger bis 2030 nicht beendet haben. Das ist aber das Versprechen der Weltgemeinschaft gewesen.
Lange Zeit sah es auch so aus, als würde man diesem Ziel näherkommen. Wieso hat sich die Lage so drastisch verschlechtert?
Das hängt insbesondere mit drei Faktoren zusammen: Wir sehen weltweit eine Zunahme von gewalttätigen Konflikte. Dann der Klimawandel, dessen Auswirkungen insbesondere in den ärmsten Ländern der Welt massiv spürbar sind. Der dritte Faktor, der jetzt wahrscheinlich noch viel stärker durchschlagen wird, sind die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie. Wir sehen das in Deutschland, aus Entwicklungsländern bekommen wir dagegen nur sporadisch Informationen. Aber auch dort haben viele Menschen ihren Job verloren, sind ganze Wirtschaftszweige zusammengebrochen, wird nicht mehr investiert. Das schlägt nach und nach durch, führt zu mehr Armut und letzten Endes zu mehr Hunger.
Im Welthunger-Index 2021 schreiben Sie, dass 47 Länder bis 2030 aus den genannten Gründen wahrscheinlich keine niedrigen Hungerwerte erreichen werden. Von welchen Ländern reden wir da eigentlich?
Es sind viele Länder in Afrika, südlich der Sahara, und in Südasien. Indien gehört dazu, Nepal, Bangladesch, Pakistan. Dann gibt es eine ganze Reihe von Ländern, wo der Klimawandel und Konflikte eine große Rolle spielen: der Niger, der Kongo, aber auch der Jemen und Syrien. Gucken Sie sich Syrien an, das ist ein Land gewesen, das vor dem Bürgerkrieg keinen Hunger kannte. Seitdem ist das Land massiv abgerutscht. Auch der Jemen war schon immer ein sehr armes Land, aber auch keines, wo Hunger besonders stark ausgeprägt war. Durch die Konflikte mit Saudi-Arabien ist es jetzt katastrophal.
Sie haben zwei Beispiele genannt, wo man sehr gut erkennen kann, was das Problem ist. Aber wieso Indien? Das ist doch weder in größere Konflikte verstrickt noch ist es besonders arm. Im Gegenteil, es gibt wahnsinnig viel Geld in diesem Land.
In Indien, und das ist ein weiterer Faktor, den man nennen muss, gibt es ein großes Problem der Ungleichheit. Es gibt eine Menge Regierungsprogramme, die das Thema Hunger und Armut adressieren, aber man muss über gute Beziehungen verfügen, um da ranzukommen. Häufig scheitert es an der Bürokratie. Das ist ein Problem. Sie haben natürlich in der indischen Gesellschaft durch das Kastensystem auch eine angelegte Ungleichheit. Diejenigen, die am Ende des Kastensystems stehen, haben keinen Zugang zu verschiedenen Dienstleistungen, Regierungsleistungen und so weiter und so fort. Das macht einen großen Unterschied.
Es gibt aber durchaus Fortschritte in Indien und wir sind sehr stolz darauf, dass wir mit unserem Welthunger-Index dazu beigetragen haben, dass die indische Regierung vor einigen Wochen gesagt hat: Okay, stimmt. Wir haben hier ein Riesenproblem, das müssen wir ernsthaft angehen.
Wie viele Menschen sind denn in Indien betroffen?
Rund 200 Millionen.
Das ist eine ganze Menge …
Ja. Eine Milliarde Menschen leben ungefähr in Indien, 200 Millionen sind massiv betroffen. Das ist ein Riesenproblem. Wie gesagt, die indische Regierung war bisher sehr zögerlich, das auch zuzugeben, aber …
Weil das als Versagen aufgefasst wird, wenn ein Fünftel der Bevölkerung hungert?
Korrekt, es war ein gewisses Tabuthema. Hunger? Gibt es bei uns nicht. Das ist übrigens etwas, das gibt es in vielen Ländern.
Auch in Deutschland.
Auch in Deutschland, ja. Wie ich anfangs sagte, häufig ist es eine politische Frage. Eine Frage des politischen Willens, ob eine Regierung das Problem Hunger angehen will oder eben nicht. Das zeigt sich zum Beispiel in Ländern wie Indien, wo wir mit dem Welthunger-Index dafür gesorgt haben, dass sie sagen: Okay, wir können das nicht auf uns sitzen lassen.
Dass man Atomraketen hat, aber die eigene Bevölkerung nicht ernähren kann?
Genau, Atomraketen, aber im Welthunger-Index auf Position 101. Also ganz, ganz, ganz weit unten.
Sie haben vorhin die drei Haupttreiber des Welthungers genannt: Konflikte, Klimawandel und Covid-19. Kann man sagen, welches Problem wie viele Menschen in den Hunger treibt?
Konflikte sind im Moment tatsächlich der Haupttreiber. Beim Klimawandel gehe ich davon aus, dass das ein immer stärkerer Treiber sein wird, weil die Auswirkungen im Moment noch nicht absehbar sind. Was wir von Forschern hören, ist, dass die Folgen des Klimawandels vor allem dort drastisch sein werden, wo der Hunger am größten ist. Da gibt es eine sehr starke Kongruenz zwischen den Ländern, die wir Welthunger-Index sehen und den Vorhersagen der Klimaforscher.
Auf welche Folgen muss man sich einstellen?
Wir sehen eine Zunahme von Dürren am Horn von Afrika, im südlichen Afrika oder in Afghanistan. Außerdem verdunstet mehr Wasser, weil es wärmer wird. Dadurch können überhaupt weniger Nahrungsmittel produziert werden. Ein anderes Phänomen des Klimawandels ist, dass sich durch die höhere CO2-Konzentration die Nährwertgehalte in den Pflanzen verändern. Es gibt weniger Eiweiß, Zink und Eisen. Das heißt, gerade diejenigen, die besonders auf pflanzliche Nahrung angewiesen sind, haben in der Nahrung weniger Nährstoffe. In der Regel steigen in den Regionen, die vom Klimawandel betroffen sind, auch die Nahrungsmittelpreise.
Weil Fluten oder extreme Dürren die Ernte zerstören?
Richtig. Die Nahrungsmittel werden auf den Märkten knapp, dadurch steigen die Preise. Das sehen wir im Moment in vielen Ländern, auch durch Covid. Viele Menschen müssen 70 bis 90 Prozent des Geldes, das im Haushalt zur Verfügung steht, für Nahrungsmittel ausgeben, weil das, was sie selber anbauen, häufig nicht ausreicht. Das ist völlig anders als bei uns. Wir geben vielleicht 10, 20 oder 30 Prozent unseres Einkommens für Lebensmittel aus. Wenn dann die Preise steigen, führt das unmittelbar dazu, dass die Menschen weniger essen und auf billigere Nahrungsmittel zurückgreifen. Das führt auf Dauer zu Hunger. Der übrigens, vielleicht sollte ich das noch mal erwähnen, unterschiedliche Ausprägungen hat: Wenn ich auf Dauer nicht genügend gesunde Nahrung zu mir nehme, führt das zu Mangelerscheinungen. Kinder sind zu klein für ihr Alter, das nennt man Wachstumsverzögerung. Oder sie sind ausgezehrt und sterben häufig in jüngerem Alter. Auch das sind Phänomene, die unter dem großen Begriff Hunger zu sehen sind.
Mit Mathias Mogge sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch ist zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet worden.
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Quelle: ntv.de