
Das ist er, der neue Papst, und es gibt viel zu tun.
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Vier Wahlgänge in zwei Tagen hat der neue Leo gebraucht – da war sogar Friedrich Merz, auch ein Katholik, mit zwei Wahlgängen an einem Tag besser. Ermöglicht hat das die atheistische Linkspartei. Ökumene im Bundestag. Fortschritt ist erkennbar. Überall. Lesen Sie selbst.
Ich glaube - denn der Glaube ist wichtig dieser Tage und Wochen -, ich glaube, ich schrieb es schon mal, dass ich so gut wie nie fernsehe, nur beim Essen, um mich abzulenken und andere Stimmen zu hören als die in meinem Kopf. Da ich zu unterschiedlichen Zeiten meinen Leib mit Nahrung beliefere, erlebe ich sehr unterschiedliche Sendungen, bei denen ich selten länger als eine Minute hängen bleibe, auch weil ich die Banalisierung des (Un)Menschlichen, runtergebrochen für ganz Doofe, schwer ertrage.
Vor allem Sendungen wie "Brisant" sind mir ein Grauen, wenn nach "Ach, wie schlimm ist das in der Ukraine" oder "Ach, wie schlimm ist das im Erdbebengebiet" Berichte über "Sorgen" über den Gesundheitszustand der Kaiserin von Schlabumbien und der Königin von Takkatukkaland kommen, ehe es dann um Haushaltstipps und Brände in der Nachbarschaft geht, wie viel Glück Katze Muschi hatte, dass die Feuerwehr sie doch noch retten konnte und ein uniformierter Sprecher des heldenhaften Löschtrupps verkünden kann: "Ich kann bestätigen: Muschi lebt. Ihr geht es den Umständen entsprechend gut." Na, Gott sei Dank!
Heißer als jeder Scheiterhaufen
Apropos Gott. Neulich landete ich in "Brisant". Gleich zu Beginn der Sendung und hörte ich: "Noch immer schaut die Welt gebannt auf den Schornstein der Sixtinischen Kapelle - hier sehen Sie Live-Bilder - zweimal gab es bisher schwarzen Rauch, zuletzt heute Vormittag. Es könnte also jederzeit wieder so weit sein, dass die Farbe des Rauchs anzeigt, ob es einen neuen Papst gibt." Vom Studio irgendwo in Deutschland aus, verkündete die Moderatorin hellseherisch, offenbar die Energie spürend: "Auf dem Petersplatz in Rom ist die Anspannung besonders greifbar." Endlich ein Bericht: "Enttäuschung, dunkler Rauch steigt auf." Heißt: Kein Papst gewählt. "Der Spannung tut das keinen Abbruch, es heizt sie nur noch mehr an." Man spürt die Hitze, heißer als jeder Scheiterhaufen. Dann sagt eine Frau: "Ich bin so aufgeregt."
"Es könnte also jederzeit wieder so weit sein, dass die Farbe des Rauchs anzeigt, ob es einen neuen Papst gibt." Das unterstreicht die Spannung - und die ARD hat die Kamera live auf der Esse. Es könnte auch jederzeit wieder so sein, dass ein Sack Reis in China umfällt. So ist das halt auf der Welt. Wenn Sie mich fragen: Es ist kein göttliches oder irdisches Wunder, dass Deutschland verblödet angesichts solcher Berichterstattung. "Live-Bilder" von einem Schornstein, der, wie es sich für echte Schornsteine gehört, starr nach oben gerichtet nichts tut, außer ein Dach zu zieren. Aber natürlich müssen alle Sender von der Papst-Wahl ausführlichst berichten, wir wissen ja, welche Bedeutung die Kirche, insbesondere die katholische, in Deutschland hat: eine stark schrumpfende.
"Wie fühlt es sich an?", wurde ein Reporter einer anderen ARD-Sendung später gefragt, der am Rande des Petersplatzes in Rom stand. "Ich muss ganz ehrlich sagen: super spannend." Was, bitte sehr, dachte ich, ist super spannend an einer Wahl, die für die große Mehrheit der Deutschen überhaupt keine Bedeutung hat? Und ich dachte: Wie gerne würde ich mitwählen, damit ich die Sixtinische Kapelle, die genialen Fresken Michelangelos, endlich einmal stundenlang betrachten kann, ohne dass ein Wächter "no fotto" ruft und grimmig dreinschaut. Aber ich will, auch wenn ich altersmäßig langsam in den Bereich käme, kein Kardinal werden.
Merz war schneller
Bekannt ist: Die Wahl gewinnt immer irgendein Mensch, den außerhalb der vatikanischen Welt so gut wie niemand näher kannte, sieht man von Reportern ab, die sich mit dem Papst und der Kurie nonstop beschäftigen. Nach der Kür wird interpretiert und gedeutet, was es zu interpretieren und zu deuten gibt. "Große Erleichterung", höre ich im ZDF: "Es gab also keine Hängepartie." Na ja: vier Wahlgänge in zwei Tagen - da ist sogar Friedrich Merz, auch ein Katholik, besser gewesen, mit zwei Wahlgängen an einem Tag, ermöglicht durch das Verhalten der atheistischen Linkspartei. Ökumene im Bundestag - ein Traum aller Christen wird wahr. Da ist Fortschritt erkennbar.

Der Autor wundert sich, die Menschen freuen sich: Gemeindemitglieder mit einem Foto von Bischof Robert Prevost, nun Papst Leo XIV. , nach der Messe in der Kathedrale von Chiclayo, wo er mehrere Jahre als Bischof diente.
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"Ein moderater Mann der Mitte" ist jetzt also der neue Papst Leo XIV., vernahm ich in diversen Nachrichtenformaten. Ein öffentlich-rechtlicher Sender unterlegte seinen Bericht über das Leben des Leo in Peru, wo er viele Jahre Dienst am und für den Herrn leistete, mit dem Lied "El cóndor pasa", damit uns auch ja kein Klischee erspart blieb. Und wie reagierten eigentlich die Peruaner? "Dort überschlagen sich die Reaktionen - besonders in seiner früheren Diözese in Chiclayo sind die Menschen begeistert", hieß es. Das zu erfahren, ist natürlich noch spannender als die "Live-Bilder" von einem Schornstein vor blauem Himmel. Da zahle ich gerne Gebühren.
Das weiß nur Gott
Der neue Papst wird "am Sonntag" zu den Gläubigen "vielleicht schon das erste Sonntagsgebet sprechen" und "vielleicht bereits neue Akzente setzen", hörte ich weiter. Vielleicht - niemand weiß irgendetwas. Denn was auf der Erde passiert, weiß nur Gott allein. Super spannend und berichtenswert ist es in jedem Fall. Wenn ich auch fand: Am Dienstag oder Freitag wird er kaum ein Sonntagsgebet sprechen, oder? Aber hol mich der Deiwel für diese Korinthenkackerei. Ein deutscher Kardinal hob am Abend nach der Wahl im ZDF hervor: Der amerikanische Leo XIV. "kann zuhören". Supi. Ein Katholik, der zuhören kann, nicht nur bei der Beichte. Da ist Fortschritt erkennbar. Alles wird gut für die Kirche, die ich - glauben Sie es mir oder nicht - schätze für ihr Schaffen in der Welt. Ich sehe in ihr mehr als die Kreuzritter, die halfen, den Dschihad zu gebären, und die Inquisition.
Aber dieser absurde Hype um einen Mann, der am Ende wohl auch nichts zuwege bringen wird außer einige Gebete, bei dem hervorgehoben wird, dass er mit 69 Jahren "relativ jung" sei in einer total von Männern beherrschten Kirche, die Frauen nur als Komparsen betrachtet, ist bizarr. "Der Friede sei mit euch allen, liebe Brüder und Schwestern", rief der amerikanische Leo bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach der Wahl. Auch das wurde überall von katholischen Amtsträgern und - ganz neutral berichtenden - Reportern bejubelt, dass er "in diesen Zeiten" den "Frieden betont". Toll, wa? Da ist Fortschritt angezeigt.
Eine Plattitüde nach der anderen
Kreml-Putze, also der Anführer der Putz-Kolonne, die die Ukraine von allen Ukrainern säubern will, teilte denn auch gleich mal mit, dass sich "der konstruktive Dialog und die Interaktion zwischen Russland und dem Vatikan auf der Grundlage der christlichen Werte, die uns verbinden, weiter entwickeln werden". Kreml-Putze und christliche Werte. Gott, schenke auch diesem Massenmörder Demut und Respekt vor der Kreatur, die sich Mensch nennt.
Ich saß, da ich essen muss, also diese zwei Tage immer wieder vor dem Fernseher - ein Wunder, dass Maybrit Illner nichts zur Papst-Wahl gemacht hat - und erlebte, wie eine Plattitüde nach der anderen in Umlauf gebracht wurde. Schalte nach Washington. Prompt erfuhr ich - noch vor Veröffentlichung irgendeiner allerersten Umfrage -, dass die Wahl eines Amerikaners zum obersten Katholiken "mit großer Hoffnung verbunden" werde, dass "dieser Papst ein verbindendes Element sein kann". Wer's glaubt, wird selig. Denn Blitzfrieden-Trump hält sich für den besseren Papst.
Das Ganze erinnerte mich an die kruden Deutungen nach dem Gewinnen einer Fußball-WM. Nachdem Argentinien im Finale 2022 gesiegt hatte, sprach ein Reporter aus Buenos Aires im ARD-"Morgenmagazin" von Armut, dem hohen Schuldenberg und der Inflation in dem Land. "Die Leute leiden häufig im Alltag unter diesen Bedingungen. Und jetzt das, diese Erlösung, diese Anerkennung, dieser Kampfeswille, den sie auch im Alltag hier haben müssen." Nun herrscht die Kettensäge. Die wird der neue Papst sicher nicht einsetzen. Gott sei Dank.
Quelle: ntv.de