Panorama

Lungenärztin Frommhold bei ntv "Long Covid ist noch immer ein Randthema"

251633453.jpg

Long Covid zu behandeln, dauert lange, oft bleibt der Alltag mühsam.

(Foto: picture alliance/dpa)

Lungenärztin Frommhold behandelt Long-Covid-Patienten und weiß: Ein normaler Alltag ist für Betroffene längere Zeit nicht mehr möglich. Dennoch spielt die Symptomatik in der Debatte nur eine untergeordnete Rolle - dabei dürften rund 400.000 Menschen in Deutschland betroffen sein.

ntv: Sie behandeln in Ihrer Reha-Klinik täglich Long-Covid-Patienten. Was weiß man darüber, ob Impfen auch vor Long Covid schützt?

Frommhold.jpg

Dr. med. Jördis Frommhold ist Pulmologin und Chefärztin der Median-Klinik in Heiligendamm. Sie hat sich auf die Behandlung von Long Covid spezialisiert.

(Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild)

Jördis Frommhold: Ob jetzt wirklich die Impfungen Long Covid verhindern, das kann man zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht mit letzter Sicherheit sagen. Es ist in jedem Fall absolut wichtig, dass die Impfquote weiter nach oben geht. Es gibt damit deutlich weniger Patienten mittlerweile, die akut sehr, sehr schwere Verläufe hatten, was natürlich absolut erfreulich ist. Und wir sehen eben auch im stationären Alltag bei uns in der Reha, dass diese Patienten deutlich weniger werden. Was wir aber im Vergleich dazu eben auch sehen: dass die Zahl der Patienten mit Long-Covid-Symptomen, die möglicherweise einen nur milden bis moderaten Akutverlauf hatten, absolut nicht abnimmt, sondern dass sie eher deutlich steigt. Es gibt gute Studien, die von zehn bis sogar zwölf Prozent Infizierten mit Long-Covid-Problemen ausgehen. Dann sprechen wir hier von einer Zahl um die 400.000 Patienten. Das ist natürlich eine ganz beachtliche Zahl.

Wissen wir denn, wer Long Covid bekommt?

Es zeichnet sich ab, dass gerade die Patienten, die einen eher milden bis moderaten Verlauf hatten, eher Long-Covid-Symptome entwickeln, mit einer Latenz von circa ein bis maximal vier Monaten nach der Infektion. Manchmal ging es ihnen sogar schon ein bisschen besser. Dann zeigen diese Patienten sehr heterogene Symptome, die auch anfangs gar nicht unbedingt mit der primären Covid-Infektion in Zusammenhang gebracht werden, die aber doch sehr klassisch sind. Diese Patienten haben häufig eine ausgeprägte Müdigkeitssymptomatik, diese viel genannte Fatigue-Symptomatik.

Wie erkennt man das genau?

Das ist eben nicht nur: Ich bin ein bisschen abgeschlagen. Sondern das ist so massiv einschränkend, dass diese Patienten so sehr unter dieser bleiernen Müdigkeit leiden, dass praktisch kein normaler Alltag möglich ist. Hinzu kommen häufig kognitive Störungen, Aufmerksamkeitsstörungen, Konzentrationsstörungen, dieser viel genannte Brain-Fog, also dieser Gehirnnebel, aber auch Gelenkschmerzen, Muskelschmerzen, Haarausfall. Also letztendlich ein sehr, sehr vielfältiges, sehr interdisziplinäres Bild. Und diese Patienten hatten, wie gesagt, häufig keinen unbedingt sehr, sehr schweren Covid-Akutverlauf. Die Patienten, die lange auf den Intensivstationen lagen, die lange Beatmungszeiten hatten, haben natürlich ein höheres Risiko, an der Erkrankung zu versterben. Das ist ganz, ganz schwierig, diesen Akutverlauf zu überstehen. Aber wenn diese Patienten das überstanden haben, haben wir in der Reha sehr, sehr gute Therapiemöglichkeiten. Bei Long-Covid-Patienten ist das dagegen oft gar nicht so einfach.

Wie groß sind denn die Chancen, dass Long-Covid-Patienten komplett genesen?

Ja, das ist die Gretchenfrage. Dazu gibt es keine Studien, sondern letztendlich im Moment nur Bauchgefühle beziehungsweise klinische Erfahrungen. Wir sehen schon, dass die Patienten sich bessern und wir sehen auch, dass sie Potenzial haben, dass sich wieder ein normaler Alltag entwickelt. Allerdings muss man auch sagen, dass es häufig so ist, dass der Alltag eben nicht mehr so ist, wie er vor der Erkrankung war.

Wie sieht es denn mit Long-Covid bei Kindern und Jugendlichen?

Es werden so ein bisschen die Augen davor verschlossen, dass Kinder auch von Long-Covid-Symptomen betroffen sind. Kinder und Jugendliche haben häufig nicht so schwere Akutverläufe. Aber wir haben eben ja beleuchtet, dass gerade diese vermeintlich eher moderaten Akutverläufe dann auch zu Long-Covid-Symptomen neigen. Wir müssen weiter Kinder und Jugendliche im Auge behalten und schauen, wie sich das Ganze weiterentwickelt.

Wie gut ist denn unser Gesundheitssystem auf dieses neue Krankheitsbild eingestellt?

Deutschland hat im Vergleich zu anderen Ländern ein exzellentes Gesundheitssystem, das darf man nicht vergessen. Wir müssen aber auch sehen, dass wir im Moment tatsächlich schon Versorgungsengpässe haben, gerade was die Diagnosestellung, die Weiterbetreuung, auch ambulant, vielleicht vor einer stationären Reha anbelangt. Aber auch, wie es danach weitergeht. Das nächste Problem, was ich eben schon angesprochen hatte, ist, dass viele in die stationäre Reha viel Hoffnung legen. Wir können diese Patienten auch durchaus gut stabilisieren. Aber häufig brauchen wir weitere ambulante Nachbetreuung und da hapert es.

Was kann verbessert werden?

In meinen Augen sollten sich Akut- und Reha-Medizin viel enger verknüpfen. Wir brauchen Kompetenzzentren, die sich mit Long Covid auskennen, möglicherweise ist auch eine Vernetzung im niedergelassenen, im hausärztlichen und fachärztlichen Bereich eine Möglichkeit. Aber auch gerade die Patientensteuerung und die sozialmedizinische Betrachtung sind wichtig. Was mache ich, wenn ich meinen Beruf nicht wieder ausüben kann? Da müssen die Patienten doch noch mehr an die Hand genommen und unterstützt werden. Das kriege ich in Gesprächen mit, dass das wirklich für viele ein Problem ist.

Wie stehen Sie der Diskussion gegenüber, dass man vom Inzidenzwert abweicht und auf die Hospitalisierungen schaut, vor dem Hintergrund, dass Long-Covid-Patienten meist die sind, die eher milde Verläufe haben?

Ich finde es auf der einen Seite richtig, dass man viele Seiten beleuchtet. Auf der anderen Seite fehlt mir in der Diskussion eben genau der Punkt, den Sie eben angesprochen haben. Genau die Long-Covid-Patienten, die moderate Verläufe hatten, tauchen gar nicht in der Hospitalisierungsrate auf. Und ich finde es einfach schade, dass dieses Thema immer noch ein Randthema ist und auch in der politischen Diskussion offensichtlich immer noch nicht präsent ist oder möglicherweise auch nicht präsent sein soll, das weiß ich nicht. Aber wenn man jetzt wirklich von 400.000 Patienten ausgeht, ist das eine Größe, über die wir uns Gedanken machen müssen, auch was Arbeitsunfähigkeitszeiten und Erwerbsminderungssituationen anbelangt.

Mit Jördis Frommhold sprach Katrin Neumann

Quelle: ntv.de

ntv.de Dienste
Software
Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen