Kein Gedenken an Nazi-Opfer Paris sperrt sich gegen "Stolpersteine"
27.12.2020, 12:13 Uhr
In Berlin gibt es derzeit 8765 Stolpersteine.
(Foto: picture alliance/dpa)
In einigen Städten Europas gehören die sogenannten "Stolpersteine" längst zum Stadtbild. Sie erinnern an die Opfer des Nationalsozialismus. In Paris allerdings gibt es keine, und das soll auch so bleiben, wenn es nach der dortigen Stadtverwaltung geht. Die Begründung ist lapidar.
Berlin hat sie, Mailand ebenso und neuerdings auch Zürich: Stolpersteine. Die Pflastersteine mit Messingüberzug erinnern in vielen Städten Europas an Opfer des Nazi-Terrors. Die Weltstadt Paris sperrt sich bisher gegen diese Form des Gedenkens. Eine Initiative von Historikern und Künstlern will das ändern.
"Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist", schreibt Gunter Demnig auf seiner Stolpersteine-Webseite. Der 73-jährige Künstler verlegt die Gedenksteine seit 1996 in das Trottoir vor den letzten Wohnorten von Opfern der NS-Zeit. Darauf sind Namen, Geburtsort und Geburtsjahr sowie Ort und Datum ihrer Ermordung verzeichnet. Bereits rund 75.000 solcher Steine gibt es in Deutschland und mehr als 20 anderen europäischen Ländern.
"Paris ist mit München eine der wenigen europäischen Großstädte, die gegen die Stolpersteine sind", bedauert der französische Historiker Christophe Woehrle. Er gehört zu der Initiative, die Demnigs Projekt auch in der französischen Hauptstadt bekannt machen will.
Den deutschen Künstler hat Woehrle vor einigen Jahren während seiner Geschichts-Promotion in Bamberg kennengelernt. Seitdem hat der Historiker einige Stolperstein-Verlegungen begleitet, unter anderem in seiner elsässischen Heimat. In Straßburg, Bordeaux und gut 20 weiteren französischen Städten gibt es die Gedenksteine bereits.
In Paris hat Woehrle in diesem Jahr mehrere Anfragen gestartet. Die Stadtverwaltung antwortete dem Historiker zufolge mit einer lapidaren E-Mail: "Die Stolpersteine geben ein unpassendes Bild von Frankreich ab, wo 75 Prozent der Juden überlebt haben", heißt es darin. Das Rathaus beruft sich dabei auf die ablehnende Haltung der Pariser Holocaust-Gedenkstätte Mémorial de la Shoah.
Ablehnung auch in München
Die Lage erinnert an München, wo Demnigs Projekt auf Unmut in der Israelischen Kultusgemeinde (IKM) stieß und sich die Stadt 2015 gegen das Verlegen der Gedenksteine im öffentlichen Raum aussprach. "Menschen treten auf die Stolpersteine oder gehen achtlos über sie hinweg", kritisierte die Münchner IKM-Präsidentin Charlotte Knobloch. Paris nennt die Steine aus dem gleichen Grund "kein akzeptables Symbol".
Die Pariser Stolperstein-Initiative betont, dass es in Frankreich nicht nur jüdische Nazi-Opfer gab, sondern auch Kommunisten, Sinti und Roma oder Homosexuelle ermordet wurden. Für ihr Anliegen setzt sie auf "demokratischen Druck": Neben einer Facebook-Gruppe gibt es eine Internet-Petition, die bisher rund 1200 Menschen unterschrieben haben.
"Wir sind noch ganz am Anfang", sagt Woehrle dazu. Bisher haben sich nach seinen Worten etwa zehn Menschen gemeldet, die einen Stolperstein für einen ermordeten Angehörigen in Paris verlegen lassen möchten.
Darunter sind auch die Angehörigen von Anna Schwartz. Die junge Frau wurde im Herbst 1942 über das Lager Drancy nördlich von Paris nach Auschwitz deportiert, wo sie mit nur 20 Jahren ermordet wurde. Ein Foto der Initiative zeigt sie als lebenslustige Frau mit lockigen Haaren.
Über das Internierungslager Drancy wurden mehr als 60.000 Juden unter der deutschen Besatzung in die Vernichtungslager geschickt. Ein besonders dunkles Kapitel der französischen Geschichte, an das kaum erinnert wird. Dabei erkannte der verstorbene Altpräsident Jacques Chirac bereits 1995 eine Mitverantwortung Frankreichs und der Kollaborateure des Vichy-Regimes für die Deportationen an.
Anlässlich des 75. Jahrestags der Befreiung von Auschwitz im Januar offenbarte eine Studie der jüdischen Claims Conference massive Wissenslücken über den Holocaust in Frankreich, gerade bei jungen Menschen. Auch Historiker Woehrle beklagt "ein echtes Vermittlungsproblem". Er hat einen Vorschlag, um das Erinnern zurück in den Alltag zu holen: "Für jedes Hakenkreuz, das auf eine Mauer geschmiert wird, sollten wir einen Stolperstein setzen."
Quelle: ntv.de, nan/AFP