Panorama

Verkehrsinfarkt wegen GDL-Streik? Pendler-Armageddon und fliegende Fixies

Klare Ansage: Stillgelegter Zug der Deutschen Bahn.

Klare Ansage: Stillgelegter Zug der Deutschen Bahn.

(Foto: dpa)

Deutschlands Lokführer streiken und die ganze Pendlernation ächzt, kurz: Das Ende ist nah. Oder etwa doch nicht? Ein paar sehr subjektive Erfahrungswerte aus den Reihen unserer mit Bahn, Bus, Auto und Fahrrad fahrenden Redakteure geben einen Ausblick auf die Lage der Nation.

Der Radfahrer: Hipster, die von Fixies fliegen

Bis heute Morgen wusste Julian Vetten nur vom Hörensagen, wer dieser Weselsky eigentlich ist. Nach seinem Parforceritt zur Arbeit schwört der Radfahrer, sich niemals wieder über die bahnfahrenden Kollegen lustig zu machen.

Peitschender Gegenwind aus allen Richtungen, ekelhafter Sprühregen und rutschiges Herbstlaub, von der Stadtreinigung vergessen und zu einem dichten Brei komprimiert - es gibt angenehmere Dinge, als sich im Herbst in Berlin auf ein Fahrrad zu schwingen. Eine Sache allerdings entschädigt für die ganzen Unannehmlichkeiten: Fast niemand blockiert in der kalten Jahreszeit meine schönen Radwege, auf denen ich dann, noch mit dem Schlaf in den Augen, zur Arbeit radeln kann. Freie Fahrt für freie Bürger. Nur heute, da ist alles anders.

Nichtsahnend schiebe ich mein Rad aus dem Hauseingang und werde fast niedergestreckt von vergessen geglaubten Eindrücken aus dem Sommer. Alle sind sie gekommen, um meinen Weg in die Redaktion so qualvoll wie möglich zu gestalten: Der Hipster auf dem Fixie, der konsequent rechts überholt und spätestens an der übernächsten Kreuzung sich und einen anderen Verkehrsteilnehmer zur Strecke bringen wird; die Oma auf ihrem Holland-Rad, die von den meisten Fußgängern überholt wird und trotzdem schimpft, sobald man in einem günstigen Moment an ihr vorbeizieht; und sogar das spanische Pärchen auf dem Rückweg von einer Party, das in Schlangenlinien nebeneinander her schwankt und sich von Geruch und Anblick her schon mal für die Hauptrolle von "The Cycling Dead" in Stellung bringt.

Erst einen Kaffee später, in der Redaktion angekommen, schafft es mein müdes Hirn, die Zusammenhänge herzustellen: Weniger Bahnen gleich mehr Radfahrer, logisch. Mir fällt ein Stein vom Herzen - die paar Tage Streik werde ich überstehen, bis ich endlich nur noch gegen Sprühregen, Herbstlaub und Gegenwind kämpfen muss.

Die U-Bahn-Pendlerin: Spaß mit Drückerkolonnen

Sabrina Reuther fährt mit der U-Bahn zum Alexanderplatz. Die versprüht heute einen Hauch von Fernost.

Die U-Bahn ist so voll, japanische Drückerkolonnen hätten ihre wahre Freude. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen: Die Leute sind entspannt, lächeln über das Chaos - überraschend kommt das hier schließlich für keinen.

Obwohl: Bei näherem Hinschauen sehen viele dann doch so aus, als verfluchten sie sich gerade dafür, nicht das Fahrrad aus dem Winterschlaf geweckt zu haben.

Der Autofahrer: Spurschnippelnde Schnellfahrer

Entgegen aller Erwartungen stößt die Pkw-Fraktion in Vertretung von Holger Preiss auf deutlich weniger morgendliche Probleme beim Pendeln in die Stadt.

Mit dem Streik der Lokführer war zu erwarten, dass die Zufahrtsstraßen aus dem Umland nach Berlin restlos verstopft sind. Aber Fehlanzeige. Der Zubringer über die A115 ist nicht voller als an anderen Tagen um kurz nach 7 Uhr. Dichter wird es auf der Avus und im Stadtgebiet. Spurschnippelnde Schnellfahrer haben hier Hochkonjunktur. Aber letztlich bleiben auch hier Staus aus. Bizarr ist am Potsdamer Platz die gähnende Leere am Eingang zum S-Bahnhof. Dort, wo sich normalerweise das bahnfahrende Volk in Scharen tummelt, ist außer einem Hinweisschild nichts zu sehen.

Menschenmassen in der Berliner U-Bahn: Hier wären Fahrgastquetscher nach japanischem Vorbild gefragt gewesen.

Menschenmassen in der Berliner U-Bahn: Hier wären Fahrgastquetscher nach japanischem Vorbild gefragt gewesen.

(Foto: dpa)

Also eigentlich alles wie immer. Nun mag das der frühen Stunde geschuldet sein, denn erfahrungsgemäß ballt sich der Verkehr vor allem am Abend auf den Straßen der Metropole. Dann, wenn die Pendler den Heimweg in die Provinz antreten. Insofern steht zu befürchten, dass sich das wirkliche Elend für die Autofahrer am ersten Streiktag der Bahn erst ab dem frühen Abend zeigen wird.

Die Buspendler:  Zankende Schulkinder und freie Türen

Benjamin Konietzny, ausgemachte Frohnatur und demnächst wahrscheinlich Mönch in einem Zen-Tempel, gewinnt selbst der Fahrt im Schulbus positive Seiten ab:

Ich bin neu in Berlin und steige noch regelmäßig in falsche S-Bahnen. Jetzt muss ich mit dem Bus fahren, was viel lustiger ist. Denn die M41, mit der ich fahre, bringt offenbar Horden von Kindern zu ihren Schulen in Neukölln. Es dauert zwar im Moment alles wesentlich länger, aber die Gesellschaft der lachenden und zankenden Schulkinder macht mir bessere Laune als der Anblick der unausgeschlafenen, genervten Berufspendler in der S-Bahn.

Ganz anders fühlt sich Christian Rothenberg im Bus vom Flughafen Tegel zum Alexanderplatz:

"Tür freigeben, sonst bleibt der Bus stehen", sagt der Fahrer durch den Lautsprecher, eigentlich so wie immer. Nur heute klingt es fast wie eine Drohung. Hat da etwa jemand Streik-Neid?

Der S-Bahn-Pendler: Danke, GDL!

Und dann gibt es da noch die armen Verdammten, die auf die Bahn angewiesen sind, so wie Peter Poprawa. Oder sind die Zugpendler am Ende etwa gar nicht zu bemitleiden?

Wer zwischen Potsdam und Berlin pendeln muss, wartet vergeblich auf die Regionalbahn. Der Betrieb ist komplett eingestellt. Möchte oder muss man die Strecke dennoch bereisen, ist man auf lange Umwege mit mehrmaligem Umsteigen angewiesen – bei horrendem Zeitverlust.

Eine prima Alternative bietet indes die S-Bahn, die in einem Sonderfahrplan zustande bringt, was ihr sonst nicht gelingt. Die Bahn legt zwei Strecken zusammen und schafft damit eine durchgängige Fahrt zwischen Potsdam und Oranienburg – also diagonal zwischen dem Südwesten und dem Nordosten Berlins. Sonst ein Traum für viele Pendler. Wer an den zahlreichen U-Bahn-Stationen entlang der Strecke umsteigt, hat alle Chancen, bequem und pünktlich sein Ziel zu erreichen. Danke, GDL!

Quelle: ntv.de, jve

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