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Penispumpen-Missbrauch erfunden Wurde angebliche trans Beamtin Opfer polizeiinterner Intrige?

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Der "Tagesspiegel" sieht Indizien für eine gezielte Kampagne gegen die junge Polizistin Judy S.

Der "Tagesspiegel" sieht Indizien für eine gezielte Kampagne gegen die junge Polizistin Judy S.

(Foto: picture alliance/dpa)

In Berlin soll eine trans Polizistin zwei Kollegen unter Drogen gesetzt und sexuell missbraucht haben. Das berichtete die "Bild"-Zeitung vergangenes Jahr. Nun deckt der "Tagesspiegel" auf, dass an der Geschichte kaum etwas stimmt. Doch wer stach die Falschinformationen an die Boulevardzeitung durch?

Es ist der 23. November 2024, als die "Bild"-Zeitung einen vermeintlichen Missbrauchsskandal in der Berliner Polizei aufdeckt. In dem Bericht geht es um die angebliche trans Frau Judy S. - eine Beamtin, die zwei Bundespolizisten sexuell missbraucht haben soll.

"Bild" behauptete damals, die 27-Jährige habe die beiden Kollegen nach einer gemeinsamen Partynacht betäubt und sie anschließend mit einer Penispumpe gequält. Die Boulevardzeitung stützt sich dabei auf eine Presseerklärung der Behörde. Darin heißt es, zwei Geschädigte hätten Anzeige gegen eine Schutzpolizistin erstattet, die sie "unter Drogen gesetzt und anschließend ohne ihr Einverständnis sexuelle Handlungen vorgenommen" habe.

Wenige Tage später titelte die "Bild": "Missbrauchsverdacht: Kaum jemand wusste, dass die Polizistin einen Penis hat".

Doch laut einer nun veröffentlichten "Tagesspiegel"-Recherche ist an der Geschichte offenbar kaum etwas Wahres dran. Judy S. sei weder trans, noch habe sie einen Penis. Auch die Penispumpe sei frei erfunden worden. Die Ermittlungen wegen des mutmaßlichen Missbrauchs seien Ende Januar eingestellt worden. Weder Indizien noch Beweise sollen auf ein Sexualdelikt hinweisen. "Die Berichte basieren auf Falschinformationen, vielleicht sogar auf absichtlich falsch gestreuten Informationen", heißt es in dem Bericht.

Plakate mit Penissen beschmiert

Doch wer könnte Interesse daran haben, der jungen Polizistin zu schaden? Und warum? Immerhin sei sie laut einem ehemaligen Lehrer eine "Musterschülerin" gewesen, die ihre Ausbildung bei der Landespolizei Berlin mit 12 von 15 Punkten als eine der Jahrgangsbesten abgeschlossen habe.

Nach ihrer Ausbildung sei sie zur Hundertschaft gegangen. Dort habe sie sich in der Gesamtfrauenvertretung engagiert und für das Amt der Stellvertreterin kandidiert. Sie wollte dort offenbar ein Frauennetzwerk etablieren und "frischen Wind in die Behörde bringen".

Weitere Kandidatinnen seien für die Gewerkschaft der Polizei (GdP), den Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) und für die eher konservative DPolG angetreten. Wie der "Tagesspiegel" aus Polizeikreisen erfuhr, hätten DPolG-Vertreter "in den Wochen vor der Wahl immer wieder Stimmung gegen Judy S. gemacht". Beamte hätten von einem "unkollegialen Wahlkampf unter der Gürtellinie" gesprochen. Sogar Wahlbetrug sei Judy S. vorgeworfen worden, weil sie angeblich eine trans Frau sei. Es sollen sogar Wahlplakate mit Bärten und Penissen beschmiert worden sein.

Doch sie setzte sich durch. Am 20. November 2024 habe die Polizei intern bekannt gegeben, dass Judy S. zur stellvertretenden Gesamtfrauenvertreterin gewählt worden sei und eine Woche Zeit habe, diese anzunehmen. Drei Tage später ist der erste "Bild"-Artikel über sie erschienen.

Polizeiinterne Intrige?

Laut "Tagesspiegel" legt der Zeitpunkt der Veröffentlichung nahe, dass es sich um eine gezielte Kampagne gegen Judy S. "im Zusammenhang mit der Wahl zur Gesamtfrauenvertretung" gehandelt haben könnte. Dafür gebe es zwar keine Beweise, aber "Indizien".

Die Polizei selbst gehe davon aus, "dass interne Informationen rechtswidrig an die 'Bild' weitergegeben wurden". Dafür spreche, dass die Autorin des Artikels offenbar Details über die Strafanzeige kannte. Außerdem habe ein in der "Bild" veröffentlichtes Foto das in den Dienststellen hängende Wahlplakat von Judy S. gezeigt.

Nach "Tagesspiegel"-Informationen ist die "Bild"-Reporterin, die über den Fall Judy S. berichtete, mit einem Polizeibeamten verheiratet, der Mitglied des Landeshauptvorstandes der DPolG und im Gesamtpersonalrat der Berliner Polizei sei. Laut mehrerer Mitglieder soll sie die Gewerkschaft in der Vergangenheit immer wieder unterstützt haben, etwa in Pressemitteilungen.

Ein Problem sieht die "Bild" darin nicht, wie ein Sprecher der Zeitung gegenüber dem "Tagesspiegel" sagte: "Die genannte Beziehung der langjährigen Polizeireporterin ist öffentlich bekannt. Insofern verwandtschaftliche Verhältnisse von Redakteurinnen und Redakteuren transparent und bekannt sind, stehen diese nicht in einem Interessenkonflikt mit deren Berichterstattung."

Zu den Artikeln über die junge Beamtin sagte der "Bild"-Sprecher weiter, die Texte hätten nicht den redaktionellen Standards entsprochen und seien deswegen wieder offline genommen worden. Man habe "handwerkliche Fehler" gemacht, die nicht hätten passieren dürfen. "Wesentliche Fakten der Berichterstattung über die Polizistin sind unzutreffend, wodurch wir sie leider in ein falsches Licht gerückt hatten."

Polizei reagierte offenbar nur langsam

Und wie ging die Polizei mit dem Fall um? Wie der "Tagesspiegel" berichtet, wurde bereits vor dem ersten "Bild"-Artikel die für Hasskriminalität zuständige Stelle beim Landeskriminalamt über die Kampagne gegen Judy S. informiert. Außerdem habe eine Mitarbeiterin der Polizei Anzeige gestellt, unter anderem mit Verweis auf gestreute Gerüchte und die übermalten Wahlplakate in einigen Dienststellen.

Doch es sei nur langsam reagiert worden. Ein Verfahren sei erst am 28. November eingeleitet worden, einen Tag nach dem letzten von mehreren "Bild"-Artikeln über Judy S. Ein Sprecher der Polizei habe die "gesamte Berichterstattung dem polizeilichen Staatsschutz zur Prüfung auf Hasskriminalität vorgelegt". Außerdem werde nun wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen ermittelt.

Intern aufgearbeitet habe die Polizei den Fall noch nicht - aufgrund "laufender strafrechtlicher und ruhender disziplinarrechtlicher Ermittlungen". Ob man genug getan habe, "um ihre Beamtin S. vor dem öffentlichen Pranger und der Hetze zu schützen", fragt der "Tagesspiegel". Die Antwort: Ihr Vorgesetzter in der Hundertschaft habe "die vorhandenen Fürsorgemechanismen" in einer "der Situation angemessenen Art und Weise umgesetzt".

Eine öffentliche Erklärung der Polizei, die die Vorwürfe einordnet, die "Bild"-Berichte dementiert und Judy S. in Schutz nimmt, gibt es bislang nicht.

"Dieser Fall ist monströs"

Immerhin, man habe die "Bild" während der Berichterstattung mehrfach telefonisch darauf hingewiesen, dass viele der genannten vermeintlichen Details "insgesamt nicht zutreffend" seien. Das sagte der Polizeisprecher dem "Tagesspiegel". Reagiert habe das Portal darauf aber nicht.

Erst als sich Star-Anwalt Christian Schertz eingeschaltet und mit massiven rechtlichen Schritten gedroht habe, seien die Artikel sofort gelöscht worden. Denn Deutschlands bekanntester Medienanwalt vertritt nun auch Judy S. Und das kostenfrei. Er wolle "ihren Ruf wiederherstellen", sagte Schertz im "Tagesspiegel"-Interview. "Dieser Fall ist monströs. Das ist die Geschichte eines unfassbaren Rufmordes."

Auch Guido Fickenscher, Strafverteidiger von Judy S. und Professor für Strafprozess- und Polizeirecht an der Brandenburger Hochschule der Polizei, zeigte sich bestürzt. Dem "Tagesspiegel" sagte er: "Es stimmt mich immer wieder nachdenklich, wie schnell Menschen eine bloße Behauptung als Wahrheit akzeptieren - und je gravierender die Anschuldigung, desto bereitwilliger wird sie geglaubt."

"Bild"-Chefin Marion Horn bat am vergangenen Wochenende in einem Beitrag Judy S. um Entschuldigung. "Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler. Trotzdem - das hätte uns nicht passieren dürfen", heißt es darin.

Quelle: ntv.de

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