Uli Grötsch im Interview Polizeibeauftragter: Rechte Chatgruppen sind die "hässlichste Fratze"
06.04.2024, 13:19 Uhr Artikel anhören
Vor rund zwei Wochen wurde Uli Grötsch als Polizeibeauftragter des Bundes vereidigt.
(Foto: picture alliance/dpa)
Seit Mitte März ist der vormalige SPD-Bundestagsabgeordnete Uli Grötsch Deutschlands erster Polizeibeauftragter des Bundes. Der Ex-Polizist soll nicht nur Ansprechstelle für Bürger und Polizeibeamte gleichermaßen sein, sondern auch strukturelle Missstände in der Bundespolizei untersuchen. Wie weit seine Befugnisse gehen, was er von Beamten mit AfD-Mitgliedschaft hält und wie er sich die Kritik an seinem Amt erklärt, sagt er im Interview mit ntv.de.
ntv.de: Herr Grötsch, Sie sind vor rund zwei Wochen als erster Polizeibeauftragter des Bundes vereidigt worden. Was sind Ihre neuen Aufgaben?
Uli Grötsch: Ich bin ein Organ der parlamentarischen Kontrolle und somit ein Hilfsorgan des Bundestages. Der Bundestag will damit die Polizeien des Bundes auch näher ans Parlament holen. Zugleich bin ich Ansprechstelle für Bürgerinnen und Bürger, die sich von den Polizeien des Bundes diskriminiert oder unrechtmäßig behandelt fühlen. Aber auch Beschäftigte aus den Polizeien des Bundes können mir Hinweise auf strukturelle Mängel geben oder sich mit eigenen, ihre dienstliche Situation betreffenden Anliegen an mich wenden. Das hat sich in den Bundesländern, in denen es Polizeibeauftragte gibt, und auch im europäischen Kontext bewährt.
Als Polizeibeauftragter des Bundes können Sie dann unabhängig von Staatsanwaltschaften Ermittlungen durchführen. Sind die Staatsanwaltschaften nicht unabhängig genug?
Natürlich sind die Gerichte unabhängig und man muss das auch sehr deutlich unterscheiden. Die Staatsanwaltschaften führen strafrechtliche Ermittlungsverfahren. Der jeweilige Dienstherr etwa führt zum Beispiel Disziplinarverfahren. Was wir hier führen, sind politische Verfahren, an deren Ende eine politische Bewertung steht. Wir stehen also nicht in Konkurrenz zur Staatsanwaltschaft oder zum Dienstherrn. Das Gesetz über den Polizeibeauftragten sieht vor, dass ich meine Bewertungen dann in Form von Berichten an das Parlament übermittle, die dann auch veröffentlicht werden.
Was kann man sich unter einer politischen Bewertung vorstellen?
Wir werden uns zum Beispiel mit den Einstellungsverfahren bei den Polizeien des Bundes befassen. Etwa mit der Frage: Können Demokratiefeinde, Reichsbürger oder Verschwörungstheoretiker durch dieses Netz fallen und so in die Behörden hineinrieseln? Oder gewährleisten die Einstellungsverfahren, dass das eben nicht der Fall sein kann? Dann bewerten wir das am Ende dieses Prozesses politisch. Oder wenn sich jemand an uns wendet, der sich beispielsweise wegen seiner Religion oder seiner Hautfarbe von den Polizeien diskriminiert fühlt. Dann führen wir kein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen irgendjemanden, sondern wir versuchen, die Situation der Person, die sich diskriminiert fühlt, zu klären. Wir wollen darauf hinwirken, dass dem Anliegen Abhilfe geschaffen wird und so etwas in Zukunft nicht mehr passieren kann. Wir kommunizieren derartige Sachverhalte natürlich auch mit den jeweiligen Behörden und wirken darauf hin, dass es dort nötigenfalls einen Mentalitätswechsel gibt. Auch davon wiederum machen wir uns ein Bild. Etwa, welche Maßnahmen dort ergriffen werden, um derartige Vorfälle in Zukunft nicht mehr geschehen zu lassen.
Aus den Polizeigewerkschaften gab es teils deutliche Kritik an der Schaffung Ihrer Stelle. Aus der Union hieß es sogar, man wolle das Amt am liebsten gleich wieder abschaffen. Wie erklären Sie sich diesen Gegenwind?
Es gibt noch viel Unwissenheit. Manche sehen mich vielleicht auch als Konkurrenz für die eigenen Aufgaben. Ich habe aus den Polizeigewerkschaften zugleich aber sehr positive Signale erhalten, was die Schaffung des Amtes und auch die konstruktive Zusammenarbeit mit mir angeht. Von daher bin ich mir sicher, dass in den Behörden wie in den Berufsvertretungen bald die Einsicht Einzug halten wird, dass es eine sehr gute Entscheidung war, den Polizeibeauftragten des Bundes zu installieren.
Ein Hauptziel Ihrer Arbeit ist es, strukturelle Missstände in der Bundespolizei zu untersuchen. Welche fallen Ihnen da ein?
Das fängt an bei der diversen Aufstellung der Bundespolizei, was etwa Migrationshintergrund, Hautfarbe, Sexualität und geschlechtliche Identität angeht. Auch das Thema Frauen in Führungspositionen gehört dazu. Die Abhöraffäre bei der Luftwaffe lässt die Frage aufkommen, wie sicher die deutschen Polizeien miteinander kommunizieren. Oder auch: Wie versuchen Rechtsextremisten, Botschaften in die Polizeien hineinzusteuern? Das sind nur ein paar Beispiele für mögliche strukturelle Fehlentwicklungen, über die wir uns gegebenenfalls ein Bild verschaffen werden.
Bei Letzterem denkt man zwangsläufig an die rechten Chatgruppen, die es wiederholt unter Polizeibediensteten oder Anwärtern gab.
Das ist die hässlichste Fratze dieses Themas. Und ein Beleg dafür, dass die Botschaften der Rechtsextremisten auch in den Polizeien verfangen. Das geht einher mit der Frage: Wie schaffen wir dort eine höchstmögliche Resilienz gegen diese Botschaften? Die Antwort darauf werde ich in meiner Zeit als Polizeibeauftragter des Bundes geben.
Sie sagten in einem anderen Interview, dass Sie es für „hochproblematisch“, halten, wenn Polizeibeschäftigte Mitglied in der AfD sind „oder die Partei anderweitig unterstützen“. Müssen AfD-Anhänger im Polizeidienst jetzt Konsequenzen durch Sie fürchten?
Die AfD hat sich in den letzten Jahren in einer rasanten Geschwindigkeit radikalisiert. Eine Mitgliedschaft oder ein Engagement in der AfD in welcher Form auch immer passt meiner Ansicht nach nicht damit zusammen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu verteidigen. Ich bin froh, dass die Innenministerin das genauso sieht. Was daraus folgt, ist jedoch eine politische Entscheidung, die die zuständigen Parlamente in den Bundesländern treffen müssen oder die der Bundestag in seinem Zuständigkeitsbereich treffen muss. Die Koalition arbeitet sehr intensiv an diesem Thema.
Also verstehe ich das richtig: Wenn ich um die AfD-Mitgliedschaft eines Bundespolizisten weiß, ist der zwar ungeeignet für seinen Job, dieser Umstand allein reicht aber noch nicht aus, um mich an Sie zu wenden?
Also, wenn es Fälle gibt, in denen sich die Beamtinnen und Beamten klar demokratiefeindlich äußern, kann man sich natürlich an mich wenden und ich werde dann auch entsprechend tätig. Aber um es auch deutlich zu sagen: Wir sind keine Anschwärzstelle.
Wie steht es um Racial-Profiling-Vorwürfe gegen die Polizei? Sind diese gerechtfertigt?
Racial Profiling darf es in Deutschland nicht geben. Es darf niemand nur wegen seiner Hautfarbe, wegen seiner geschlechtlichen Identität oder seiner Herkunft kontrolliert werden. Ich habe aber auch nicht den Eindruck, dass das ein weitverbreitetes Phänomen ist. Aber auch das werden wir uns sehr genau anschauen.
Laut einer Studie der Universität Frankfurt werden 90 Prozent aller Ermittlungsverfahren bei Verdacht auf unrechtmäßige Polizeigewalt eingestellt. Wie erklären Sie sich das?
Auch damit werden wir uns beschäftigen. In diesem Bereich gibt es seit Jahren sehr viel Forschung. Wir wollen uns mit der Forschung vernetzen und zusammenarbeiten.
Das heißt, man weiß einfach noch nicht so genau, warum fast alle Ermittlungsverfahren eingestellt werden?
Ich glaube, es ist gar nicht möglich, eine pauschale Antwort zu geben, sondern man muss jedes Ermittlungsverfahren für sich sehen. Aber natürlich lässt diese enorm hohe Zahl aufhorchen.
Kritisiert wird oft, dass bei einem Anfangsverdacht Polizisten gegen Polizisten ermitteln. Gibt es da so etwas wie Befangenheit unter Kollegen?
Das wird immer leicht gesagt, aber es ist ja nie dieselbe Dienststelle, sondern es sind meistens die Landeskriminalämter mit speziell dafür geschaffenen Strukturen, die solche Ermittlungsverfahren führen. Wie interne Ermittlungen bei den Polizeien des Bundes gehandhabt werden, werden wir untersuchen. Wenngleich sich in den angesprochenen Themenbereichen meine Tätigkeit nicht erschöpft. Ich sehe mich auch als der Anwalt der Beschäftigten bei den Polizeien gegenüber dem Parlament.
Wie groß ist denn die Resonanz nach ihren ersten beiden Wochen im Amt?
Ich bin positiv überrascht davon, wie viele Menschen sich bereits an uns gewendet haben. Jetzt geht es aber erst mal darum, ausreichend geeignetes Personal zu finden und das Amt weiter sichtbar zu machen. Meine größte Aufgabe in den kommenden fünf Jahren wird sein, Vertrauen herzustellen. Vertrauen in meine Person und Vertrauen in die Tätigkeit des Polizeibeauftragten des Bundes.
Mit Uli Grötsch sprach Marc Dimpfel
Quelle: ntv.de