Betonbauten aus 60ern und 70ern So marode sind die Brücken in Deutschland


Die Carolabrücke nach dem Einsturz.
(Foto: picture alliance/dpa)
Der Einsturz der Carolabrücke in Dresden zeigt ein grundsätzliches Problem in Deutschland. Etliche Brücken sind marode und benötigen dringend eine Sanierung. Fehlendes Geld ist nicht das einzige Problem.
Mitten in der Nacht, kurz nach 3 Uhr, stürzt in der Dresdner Innenstadt ein Teil der Carolabrücke ein. Ein etwa 100 Meter langes Stück kracht in der Nacht zu Mittwoch mitten in die Elbe. Zum Glück wird niemand verletzt: Nur zehn Minuten früher war die letzte Straßenbahn über die Brücke gefahren.
Wie konnte das passieren? Und wie sicher sind deutsche Brücken noch? Brücken-Einstürze seien extrem selten, gibt Frank Jansen vom Verein Deutscher Ingenieure (VDI) bei RTL Entwarnung. "Die Brücken, die saniert werden müssen, werden im Zweifel aus dem Verkehr genommen. Ich hätte niemals ein schlechtes Gewissen, über eine deutsche Brücke zu fahren, sie sind sicher."
Sicher sind sie schon, aber viele Brücken in Deutschland sind in einem schlechten Zustand. Mindestens 4000 Brücken allein auf Autobahnen sind laut Verkehrsministerium so marode, dass sie dringend saniert oder neu gebaut werden müssen. Wahrscheinlich aber sind es noch mehr: Dreimal so viele, 11.000, sagt der BUND, der die Zahlen des Ministeriums ausgewertet hat.
Von den 25 höchsten Brücken im Land ist etwa die Hälfte in einem kritischen Zustand, sagt die Bundesgütegemeinschaft Instandsetzung von Betonbauwerken. Bei den Straßenbrücken ist sogar jede zweite marode, hatte das Deutsche Institut für Urbanistik vergangenes Jahr in einer Befragung von Kommunen herausbekommen.
Brücken-TÜV gibt Zustandsnoten
Brücken werden regelmäßig auf Standsicherheit, Traglastfähigkeit und verkehrssichere Nutzung geprüft. Einfache Überprüfungen gibt es alle drei Jahre, Hauptprüfungen alle sechs Jahre.
Beim Brücken-TÜV bekommen sie dann Noten von eins bis vier - je nachdem, wie gut oder schlecht ihr Zustand ist. Auch die Carolabrücke in Dresden wurde regelmäßig durchgecheckt. Die letzte Hauptprüfung war vor drei Jahren. Zuletzt hatte sie die Zustandsnote 3,4 bekommen, ein "nicht ausreichender Bauwerkszustand". Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht mehr oder weniger genutzt werden sollte, sondern dass in näherer Zukunft eine Instandsetzungsmaßnahme dran ist, geht aus der Übersicht der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) hervor. Von den 40.000 Brücken vom Bund haben im letzten Zustandsbericht 200 eine Note zwischen 3,5 und 4,0 bekommen.
Dass die Carolabrücke ein Sanierungsfall ist, war also bekannt. Manche Brückenabschnitte waren in den vergangenen Jahren auch teilweise schon saniert worden, nächstes Jahr sollte eigentlich der eingestürzte Brückenteil dran sein.
Für die Überprüfungen von Brücken gebe es klare Vorschriften, erklärt Ingenieur Jansen, sie seien sehr aufwendig für die Prüfer. Allein, um an die großen Bauwerke heranzukommen, "braucht es einen Hubwagen oder spezielle Gerüste".
Beton altert und bekommt Risse
Bei den Prüfungen kommen vorrangig die alten Brücken in Deutschland schlecht weg. Alt, das meint Brücken, die vor 1980 gebaut wurden. Die sind die Problempatienten, hat Brückenexperte Martin Mertens von der Hochschule Bochum dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) gesagt.
Viele deutsche Autobahnbrücken stammen aus den 1960er- und 70er-Jahren. Damals wurden mehrere Tausend Brücken mit Spannbeton gebaut, vorwiegend in Westdeutschland. Dabei wurde oft mangelhafter Stahl benutzt. Der Beton ist mittlerweile brüchig - Wasser kann eindringen, der Stahl innen drin rostet. Auch Streusalz macht Beton kaputt. In den vergangenen Jahren wurde außerdem zu wenig getan, um sie zu erhalten.
Auch die Dresdner Carolabrücke stammt aus den 1970er-Jahren: "Eine der Pionierbauwerke ganz aus der Anfangszeit, mit Defiziten, die wir kannten und wo wir nicht erwartet haben, dass der Einsturz erfolgt", sagt Steffen Marx, Professor für Ingenieurbau an der TU Dresden, bei ntv. "Viele Bauwerke, die später gebaut worden sind, haben andere Bauarten, sind von der Konstruktion besser." Marx plädiert dafür, langfristig stärker in die Erhaltung zu investieren.
Brücken für Belastung nicht ausgelegt
Das Problem bei den älteren Brücken ist auch: Sie sind überlastet. Deshalb halten sie auch nicht so lange, wie eigentlich geplant: statt 80 nur noch 60 Jahre. "Gerade die Bauwerke aus der Anfangszeit sind alle stark überbeansprucht durch ein extrem überproportional angestiegenes Verkehrsaufkommen, für das diese Brücken nie ausgelegt waren", weiß Experte Marx. Das Straßennetz und die Brücken wurden damals für weniger Verkehr und leichtere Fahrzeuge geplant.
Die Brücken müssen heute viel mehr Lkw- und Schwerlasttransporte aushalten. Die Beanspruchung sei extrem gewachsen, sagt Heinrich Bökamp, Präsident der Bundesingenieurkammer, bei RTL. Bei der Belastung durch Lkw-Überfahrten, den Lastwechseln, liegen die Brücken "weit über den Werten, die man früher als zulässig ansah".
Diese Brücke ist die marodeste
Die marodeste Brücke Deutschlands ist die Moseltalbrücke bei Winningen in der Nähe von Koblenz: 136 Meter ist sie hoch, die zweithöchste Autobahnbrücke Deutschlands. Sie musste in den vergangenen über 50 Jahren einiges aushalten, hauptsächlich mehr Güter- und Schwerlastverkehr. Deshalb hat sie Risse und muss dringend saniert werden.
Die BASt hat der Brücke die Note 3,5 gegeben. Ihr Traglastindex, der beschreibt, wie eine Brücke den Verkehrsbelastungen standhalten kann, ist mit der schlechtesten Stufe 5 bewertet. Das bedeutet, dass die Brücke langfristig ersetzt werden muss.
Um den Kollaps zu verhindern, dürfen Fahrzeuge momentan nur noch langsam darüberfahren, Lkw müssen einen Mindestabstand von 50 Metern einhalten, Schwertransporte sind verboten. Dieses Jahr soll die Sanierung starten.
Geld und Personal fehlen
So wie die Brücke über das Moseltal warten viele Brücken auf Modernisierungen. Und immer mehr kommen dazu. Es gibt mehrere Gründe dafür, warum es nicht vorangeht. Langwierige Planungsprozesse und der Fachkräftemangel am Bau sind nur einige. Es fehlt auch an Geld - sowohl beim Bund als auch bei den Städten und Gemeinden. Sanierungen sind teuer.
Beispiel Dresden: dort ist die Haushaltslage sehr angespannt. Der Stadt fehlen in diesem Jahr fast 45 Millionen Euro.
Eigentlich hatte Bundesverkehrsminister Volker Wissing gesagt, dass er ab nächstem Jahr 400 Brücken an Autobahnen und Bundesstraßen jährlich sanieren will, doppelt so viele wie bisher. Doch der Bundesrechnungshof zweifelt daran, dass das klappt, dafür bräuchte die Autobahngesellschaft mehr Personal und mehr Geld. Er sagt, dass die bundeseigene Autobahngesellschaft vergangenes Jahr nur knapp 240 Projekte geschafft hat, nötig seien aber etwa doppelt so viele.
Und auch nächstes Jahr wird es eng: Der Autobahn GmbH fehlen 600 Millionen Euro, auch für die Brückensanierungen. Deshalb drohen Verzögerungen. Das Ziel von Wissing sei wegen der Unterfinanzierung nicht mehr zu schaffen, warnt die Autobahngesellschaft.
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Quelle: ntv.de