Was macht uns glücklich? So sprechen Paare besser über ihre Bedürfnisse


Beim Bedürfnisse raten, kann der oder die andere nur verlieren, und man selbst auch.
(Foto: IMAGO/Westend61)
Bei vielen Paaren brodeln im Konfliktfall die Gefühle, manchmal verschleiern sie aber nur die eigentliche Emotion. Paartherapeutin Sharon Brehm erklärt, wie Paare ihre Bedürfnisse besser kommunizieren und was das mit emotionaler Heilung zu tun hat.
Es könnte so leicht sein in einer Partnerschaft: Der eine sagt, "Ich liebe dich", und der andere fühlt sich geliebt. Der Satz wird erwidert, man umarmt oder küsst sich und alle sind glücklich. Doch in den seltensten Fällen reicht das aus für eine gute Beziehung. Der Partner wünscht sich mehr Liebesbeweise oder die Partnerin mehr Rücksicht auf ihre Bedürfnisse.
Doch dies anzusprechen, kostet Kraft und Zeit, man muss sich den eigenen Ängsten und Bedürfnissen stellen und wird dann auch noch mit der Reaktion des Partners konfrontiert - darunter etwa Irritation, Traurigkeit oder Wut. "Warum versteht mein Partner nicht, was mich glücklich macht?", fragt man sich dann. Denn das Schönste wäre doch, wenn der Partner oder die Partnerin von selbst weiß, was man sich wünscht.
"Das wäre schön, aber entspricht nicht der Realität", sagt Dr. Sharon Brehm, Bestseller-Autorin und Paartherapeutin aus München. "Bedürfnisse können sich von Sekunde zu Sekunde verändern und niemand wird immer dieselben Vorlieben oder denselben Hunger haben wie man selbst. Man muss seine Bedürfnisse also offen kommunizieren." Sitzt man etwa in einem Restaurant, ist man es gewohnt, dass der Kellner nachfragt, ob und was man bestellen möchte. "Wir können vom Kellner nicht erwarten, dass er schon weiß, was wir wollen. Selbst als Stammgast wird er fragen, ob es das Übliche sein soll. Und so ist es auch in Beziehungen: Wir müssen uns mitteilen", erklärt die studierte Kulturanthropologin.
Unbequeme Fragen
Wer seine Bedürfnisse nicht kommuniziert, handle oft aus Angst, zu viel zu fordern, zu hohe Erwartungen zu haben oder am Ende enttäuscht zu werden. Die Schuld auf den anderen zu schieben, scheint dagegen einfacher zu sein. "Wenn man denkt, der Partner hat kein Interesse daran, mich glücklich zu sehen, sollte man diese Aussage prüfen. Wäre er mit mir zusammen, wenn er kein Interesse daran hätte? Will er grundsätzlich eine Beziehung auf Augenhöhe, in der auch ich glücklich bin?", sagt Brehm.
Wer dies wirklich anzweifle, habe Grund, die Beziehung infrage zu stellen - auch wenn es nicht die Aufgabe des Partners ist, den anderen glücklich zu machen. Andernfalls müsse man darüber sprechen, meint Brehm: "Wenn ich das Gefühl habe, dass die Beziehung weniger liebevoll ist, kann ich mich fragen, warum das so ist. Gibt es vielleicht emotionale Wunden oder eine Blockade? Was kann ich tun, damit mein Partner und ich uns wieder sicherer miteinander fühlen?"
Brehm ist spezialisiert auf emotionsfokussierte Paartherapie und hilft Menschen, ihre eigenen Emotionen besser ausdrücken zu können. "In unserer Welt haben viele gelernt, dass Emotionen schlecht sind oder nur bestimmte Emotionen bei bestimmten Menschen erlaubt sind. Frauen zum Beispiel dürfen eher weinen als Männer, dagegen ist es für Frauen tabuisierter wütend zu sein", sagt Brehm. Insbesondere ältere Generationen hätten gelernt, Emotionen keinen Raum zu geben und stattdessen rational zu bleiben. "Deshalb dürfen wir alle lernen, Emotionen wahrzunehmen und zu kommunizieren." Wer das lerne, sei auf dem Weg der emotionalen Heilung - das Kernthema in Brehms kürzlich erschienenem Buch "Wiederherzgestellt".
Doch wer bei emotionaler Heilung spirituelle Praktiken oder Gefühlsduselei vermutet, liegt falsch. "Unsere Sinneseindrücke führen zu Emotionen, die mir sagen, wie ich mich fühle. Auf diese Gefühle reagiere ich und diese Reaktion kann ich lenken", erklärt Brehm. In ihrem Buch nutzt sie dafür den Begriff der Reaktionsflexibilität, also die Fähigkeit, verschiedene Optionen zu finden, wie man auf einen Reiz reagiert und sich für die beste zu entscheiden. Wer durch frühere Verletzungen jedoch wenig Reaktionsflexibilität hat, reagiert mit den immer gleichen Mustern in Konflikten.
Mal wieder die Eltern
Doch nicht nur negative Ereignisse in der Kindheit, sondern auch das Fehlen von positiven Erfahrungen prägen Menschen. "Das bedeutet nicht, dass man seine eigenen Eltern eine böse Absicht unterstellt oder sie beschuldigt. Dennoch können Folgen weitreichender sein, als man annimmt", weiß die Paartherapeutin. Wenn in der Kindheit Akzeptanz der Eltern gefehlt hat und es sich nicht darauf verlassen konnte, entschließt es sich möglicherweise dazu, sich selbst als erstes zu kritisieren und Fehler möglichst zu vermeiden, um nicht dafür gescholten zu werden. Als Erwachsener kann derjenige dann zu Selbstzweifeln neigen oder macht die eigenen Entscheidungen von anderen abhängig, um möglichst sicher zu sein.
An diesem Punkt setzt Brehm häufig in ihren Sitzungen mit Klientinnen und Klienten an. Denn viele kennen ihre Muster und die Folgen davon: "Manchmal weiß man, dass man zu schnell laut wird oder sich zurückzieht, wenn es Probleme gibt. Die meisten wissen auch, dass Klammern dazu führt, dass sich die andere Person noch mehr distanziert. Oft weiß man aber nicht, wie man in der Konfliktsituation anders reagieren kann - dafür ist es nötig, sich mit den eigenen Emotionen auseinanderzusetzen." Das gilt nicht nur für Konflikte in Liebesbeziehungen, sondern auch für Freundschaften, Geschäftspartner und andere zwischenmenschliche Beziehungen.
Denn Emotionen drücken sich über Gefühle aus, die jeder Mensch unterschiedlich zeigt. Manche zeigen Wut über eine laute Stimme, Aggressivität oder Kritik und Beschuldigungen am anderen, andere dagegen sind wütend und werden passiv oder ziehen sich zurück. Selbst für einen langjährigen Partner kann es daher schwierig sein, zu verstehen, was das Gegenüber tatsächlich fühlt. Hat jemand in früheren Erfahrungen gelernt, dass es nicht gut ist, zu weinen oder Trauer zu zeigen, zeigt er womöglich stattdessen Wut. "Doch Wut zeigt dem Partner, er soll auf Abstand gehen - also das genaue Gegenteil von dem, was man sich wünscht, wenn man traurig ist, nämlich Nähe und Trost", erklärt Brehm.
Der Partner hätte damit gar keine Chance, so zu reagieren, wie es sich der oder die andere wünscht. Weiß er stattdessen, dass die Wut eine überlagerte Emotion der Traurigkeit sein könnte, kann er auf sein Gegenüber zugehen und Klarheit schaffen: "Man kann fragen: Bist du gerade wütend oder traurig? Und wenn jemand traurig ist: Kann ich dich trösten oder brauchst du Raum für dich?", verdeutlicht Brehm ihren Ansatz. Führt das bei Paaren zu einer besseren Kommunikation und zu mehr Verständnis für den jeweils anderen, kann dies die Beziehung sogar stärken.
Verletzlichkeit verbindet
"Wenn man jemandem zeigt, was wirklich in einem vorgeht, zeigt man sich sehr verletzlich und intim. Diese Intimität verbindet zwei Menschen - vor allem dann, wenn man sie nicht mit anderen teilt. Das führt wiederum zu mehr emotionaler Verbindung und einer besseren Beziehung", erklärt die Expertin.
Doch was tun, wenn Partner kein Verständnis für die Emotionalität aufbringen - weder der eigenen noch der des Partners? "Manche Menschen wollen nicht mehr über Emotionen oder Gefühle reden, weil sie sich überfordert, kritisiert oder beschuldigt fühlen. Im schlimmsten Fall werden sie sogar für die Gefühle des Partners verantwortlich gemacht, dann fühlt man sich der Situation ausgeliefert", sagt Brehm.
Kommt jede Woche dasselbe Thema in einem Paarkonflikt auf, vermeidet man es eher, weiter über Emotionen zu sprechen, auch wenn der Partner immer noch das Bedürfnis danach hat. "Gerade, wenn man sich immer wieder im Kreis dreht, sollte man einen anderen Weg einschlagen. Zeigt eine Person Widerstand bei einem Konfliktthema und lehnt es grundsätzlich ab, darüber zu sprechen, kann das Problem größer werden. Denn die andere Person fühlt sich dadurch weder gehört noch gesehen, schluckt die eigenen Emotionen womöglich runter. Bis es irgendwann nicht mehr geht."
Gemeinsam heilen
Emotionale Heilung dagegen bewirkt das Gegenteil. Menschen verstehen nicht nur die eigenen Emotionen besser, sondern auch die des Partners oder der Partnerin. So können Partner und Partnerinnen einander das Gefühl geben, gesehen zu werden, und aufeinander eingehen. Für Brehm kann emotionale Heilung aus vielen Teilen bestehen. Ein besonderes Augenmerk legt sie aber auf Akzeptanz, empathisches Interesse und Trigger nicht zu vermeiden. "Alle Emotionen sollten akzeptiert werden, denn selbst Wut oder Eifersucht sind berechtigte Emotionen und haben eine Nachricht", sagt die Paartherapeutin.
Damit ein Paar emotional gemeinsam heilen kann, sei es wichtig mit Empathie zu zuhören: "Oft hören wir zu, um uns zu verteidigen. Oder wir geben gute Ratschläge, ohne zu überlegen, ob die andere Person das gerade braucht. Nachfragen erleichtert es uns und schenkt anderen Wärme und Geborgenheit." Brehm hebt außerdem hervor, dass es kontraproduktiv wäre, Trigger zu vermeiden, "denn Vermeidung führt oft zu Stillstand und verhindert auch eine Lösung".
Dagegen kann eine negative Umgangsweise mit Emotionen in der Beziehung vor allem Schaden anrichten. Bemerkungen wie "Du bist heute aber sensibel" sind negative Bewertungen, die man nicht hören will - und auch nicht aussprechen sollte. Wer diesen Kommentar aber denkt oder sogar sagt, sollte die eigenen Kapazitäten checken. "Wer so etwas sagt, ist vielleicht selbst etwas gereizt. Vielleicht liegt es daran, dass man sich gerade selbst nicht wohl fühlt, keine Energie hat", klärt Brehm auf. Man kann sich auch fragen, ob man nur beim Partner oder der Partnerin so reagieren würde oder auch bei einem guten Freund, der Rat sucht. "Vielleicht hat man früher aber auch gelernt, dass Menschen schwach sind, wenn sie über ein Thema nicht hinwegkommen und darauf herumreiten", erklärt Brehm. Alternativen, die man sagen könnte, wären dagegen: "Ich würde dir gern helfen, aber ich weiß nicht wie, weil ich deine Emotionen nicht verstehe oder mich überfordert fühle."
Ist man dagegen der- oder diejenige, die das zu hören bekommt, rät Brehm, für sich selbst einzustehen, beispielsweise so: "Das, was du sagst, ist eine Bewertung und das verletzt mich." Bleibt das eigene Bedürfnis damit unbefriedigt, gibt es auch Alternativen außerhalb der Partnerschaft, die helfen können, etwa mit guten Freundinnen und Freunden über ein Problem oder die eigenen Gefühle zu sprechen. So wird auch der Partner von dem Druck befreit, das Bedürfnis seiner Partnerin unbedingt erfüllen zu müssen.
Quelle: ntv.de