Panorama

Ronja Ebeling, weiterhin besorgt "Spricht eigentlich irgendjemand über Bildung in diesem Wahlkampf?"

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Ronja Ebeling: "Die Zeit, um sich tiefgehend mit den Parteien zu beschäftigen, ist leider kurz ."

Ronja Ebeling: "Die Zeit, um sich tiefgehend mit den Parteien zu beschäftigen, ist leider kurz ."

(Foto: Marina Weigel)

Ihr Buch "Jung, besorgt, abhängig" warf Fragen auf, von denen wir gehofft hatten, dass sie mittlerweile, fast vier Jahre später, beantwortet wären. Sind sie aber leider nicht. Zeit, nachzufragen bei der Autorin und Podcasterin.

2021 ist das Buch von Ronja Ebeling erschienen, "Jung, besorgt, abhängig", und es hatte große Resonanz - und große Hoffnungen geweckt. Einiges ist seither passiert. Aber nicht genug. Die ganz großen Dinge umzukrempeln, das ist nicht geschehen, sagt sie daher im Gespräch mit ntv.de. Weder das Rentensystem wurde umgekrempelt noch wurde das Bildungssystem reformiert. "Gerade nach der Corona-Pandemie hatte man sich da doch mehr erwartet", so Ebeling, und das vermisst die Podcasterin, Gründerin und Journalistin - vor allem auch im aktuellen Wahlkampf. "Die Pandemie hat die Lebensläufe von so vielen jungen Menschen zerrissen, und das ging bei den Kleinkindern, die zu Hause betreut wurden los, bis zu den Anfängern auf dem Arbeitsmarkt." Ein Viertel der aktuellen Viertklässler kann nicht richtig lesen, schreiben und rechnen, und kommen natürlich dennoch auf weiterführende Schulen. Ein Effekt, der sich durch ihr ganzes restliches Leben ziehen wird, wenn nichts unternommen wird.

Ebeling vergleicht das mit einem Domino-Effekt "und wenn nicht bald einer mal den Vorgang stoppt, dann können wir das vergessen. Ein Investment in das Thema Bildung wäre auch ein Investment in die Wirtschaft", sagt sie, und betont, dass keine Partei das Thema Bildung vordergründig in ihren Programmen zur Sprache bringt. Kinder, die in der Schule nicht klarkommen, egal, in welchem Alter und in welcher Klasse, werden auf dem Arbeitsmarkt fehlen. Kinder, die ihre Abschlüsse nicht wie geplant machen können, werden nicht das studieren oder lernen können, was ein Land braucht. Der Fokus dieser Wahl liegt auf Migration, und das ist ganz sicher ein heißes Thema, aber nicht das einzige. Denn dass wir nicht über Klima sprechen und Bildung, wird uns früher oder später auf die Füße fallen.

Wohin die Reise geht

"Wir haben sehr viele junge Menschen im Bildungssystem verloren, die Zahl der Abbrecher oder derjenigen, die nur unregelmäßig zur Schule gehen, ist in der Corona-Zeit gestiegen. Man hält den jungen Leuten aber gern vor, wie verweichlicht sie sind." Die 'Jugend in Deutschland'-Studie belegt, dass junge Leute an Resilienz verloren haben. Aber kann man einer ganzen Generation zum Vorwurf machen, dass es so ist? Oder sollte man nicht lieber versuchen, dieses Problem an der Wurzel zu packen?

Dafür müsste man natürlich investieren - angefangen mit der frühkindlichen Förderung über Schulverweigerer bis zu Weiterbildungsmaßnahmen. Es sind mehr als 2,5 Millionen Menschen zwischen 20 und 35, die laut dem jüngsten Berufsbildungsbericht keinen Berufsabschluss haben. "Diese Zahl steigt seit Jahren und hat durch die Pandemie nochmal an Fahrt aufgenommen", so Ebeling. "Wir haben eine steigende Zahl an Geringverdienenden, und sie sind, was ihren Verdienst angeht, besonders gefährdet in Hinblick auf Erwerbslosigkeit, Perspektivlosigkeit und Altersarmut."

Auf eine Stelle für Geringqualifizierte kommen fünf Geringqualifizierte - man kann sich ausmalen, wohin die Reise in Deutschland geht. "Dabei brauchen wir Fachkräfte", sagt Ebeling, "und die werden wir nicht bekommen, wenn wir uns nicht um die Jugend kümmern." Für den akuten Moment liegt die Überlegung also nicht wirklich fern, ob wir nicht doch Migration benötigen, um den Mangel an vielen Stellen zu decken. Und damit sind wir bei DEM Thema dieser Wahl. Darum soll es in diesem Text aber nicht gehen.

In unserem letzten Gespräch war Ronja Ebeling wütend, und sie hoffte, dass diese Wut sie weiterbringen könnte. Denkt sie noch immer so? "Ich denke, es geht mir wie vielen, ich muss mich manchmal ganz schön motivieren, weiterzumachen. Gelegentlich fühle ich mich einfach energielos. Aber das geht natürlich nicht, und deswegen versuche ich, diese Wut in positive Energie umzuwandeln." Ebeling begleitet Kinder an einer Schule in einem Demokratiekurs und stellt fest, dass den Jugendlichen gerade alles viel zu schnell geht. "Man kann es den Kindern doch gar nicht vorwerfen, wenn es Erwachsenen genauso geht", findet Ebeling. "Wir dürfen einfach nicht politikverdrossen werden oder uns aus der Debatte rausziehen."

Kein Geld, keine Zeit

Wer von zu Hause nicht unterstützt wird, wer niemanden hat, mit er dem er sich austauschen kann, wer Eltern hat, die nicht interessiert sind daran, was ihre Kinder machen oder wen sie wählen könnten und ob sie überhaupt wählen, die fallen durchs Raster. Richtig? "Der Zeitpunkt der vorgezogenen Bundestagswahlen ist auf jeden Fall nicht förderlich, denn die Inhalte, um die es geht, hatten wenig Zeit und Raum, angemessen besprochen zu werden." Sehr viele Schüler und Studenten stecken in Prüfungen, die ihre volle Konzentration erfordern. Und viele Schulen haben keine Zeit oder Geld und schon gar keine Lehrkräfte, die zusätzlich zu den vollen Lehrplänen auch noch im Hinblick auf Demokratie Nachhilfe geben wollen.

Eine weitere Beobachtung hat Ronja Ebeling gemacht: "Die Wahlen in den USA haben einen 'Netflix-Effekt', sagt sie, "weil das dort spannender ist". Bessere Inszenierung und 'more drama' hilft also? "Naja, wenn es ein TikTok-Verbot gibt, wenn ein Elon Musk wie eine Kunstfigur da mitmischt - ja." Und der Präsident den Gaza-Streifen in eine 'Riviera des Mittleren Osten' planieren will, da kommen Computerspiel-Fantasien zum Tragen, die Scholz, Merz und Habeck beim besten Willen nicht bedienen.

Leider gelogen

Und wenn junge Menschen Angst haben, wie nehmen wir sie ihnen? "Indem wir sie ernst nehmen", sagt Ebeling. "Aber nicht, indem wir ihnen Nonsens erzählen. Es wird immer wieder Gewalttaten, Anschläge und Terror geben, niemand kann sich davor hundertprozentig schützen. Wenn Parteien versprechen, dass sie das könnten, wenn wir bloß weniger Migration hätten, dann ist das leider gelogen." Außerdem fände die meiste Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen in den eigenen vier Wänden statt, ergänzt sie, "und wenn wir da strukturell etwas verändern wollen, dann müssen wir über häusliche Gewalt sprechen. Und abstimmen - da aber stehen Parteien nicht zu ihrem Wort, das sie auf großen Bühnen gern schwingen."

Ronja Ebeling setzt sich ein. Auch, wenn sie sich ab und zu einen Ruck geben muss.

Ronja Ebeling setzt sich ein. Auch, wenn sie sich ab und zu einen Ruck geben muss.

Was tun? Vor der Wahl: "Unbedingt wählen gehen, in Kontakt treten mit jungen Menschen, im Gespräch bleiben." Und nach der Wahl? "Ich wünsche mir eine Regierung, die das Wohl aller im Sinn hat, denn wenn ich mir das so anschaue, scheint es nur darum zu gehen, um die Hauptwählerschaft zu buhlen - die Ü50-Gruppe. Und wenn ausschließlich für diese Gruppe Politik gemacht wird, dann ist das nicht gut."

Also: Macht euch bewusst, wie gut es euch geht! Schaut in andere Länder, in denen man nicht wählen kann. Oder nur eine Partei. Oder nur zwei ganz schlimme Alternativen hat. Oder Frauen gar nicht wählen dürfen. Zelebriert es: Macht einen Spaziergang zum Wahllokal, macht euch schick, trefft Freunde. Es ist ein Privileg, wählen zu dürfen. Und abends: Wahlparty!

Quelle: ntv.de

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