Nach dem Beben kommt der Hunger Überlebende in der Türkei plündern Supermärkte
08.02.2023, 10:39 Uhr
Viel gibt es in den Supermärkten nicht mehr zu holen: ...
(Foto: picture alliance / abaca)
Nach dem verheerenden Erdbeben übernachten allein in der Türkei Hunderttausende Menschen in Schulen oder Moscheen. Dort ist vor allem ein Thema allgegenwärtig: Hunger. Mit Glück erhalten einige Erdbebenopfer einen kleinen Teller Suppe. Andere müssen sich mit Trinkwasser begnügen.
Es ist 5.55 Uhr, als am frühen Morgen der erste Gebetsruf in der Großstadt Sanliurfa im Süden der Türkei ertönt. Die Straßen sind leer. Das verheerende Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet liegt gut 24 Stunden zurück. Die Temperaturen in Sanliurfa liegen knapp über dem Gefrierpunkt, gefühlt ist es aber deutlich kälter. Die Sonne ist lange noch nicht aufgegangen. Nur der Hunger ist schon da.
"Haben Sie Brot gefunden?", fragt ein älterer Mann. Noch hat kein Händler geöffnet. Am Montagabend war das Brot überall ausverkauft.
Tausende Gebäude eingestürzt
Für die Menschen in den betroffenen Regionen in der Türkei geht es nach dem heftigen Erdbeben der Stärke 7,8 ums nackte Überleben. Es war das stärkste Beben im Land seit fast 100 Jahren, Tausende Menschen in der Türkei und im Nachbarland Syrien starben.
Nach Angaben der Regierung in Ankara stürzten Tausende Gebäude ein. Hunderttausende Menschen, deren Häuser zerstört wurden oder in denen es wegen Nachbeben zu gefährlich ist, übernachteten in Schulen oder Moscheen.
Kinder schlafen mit Handschuhen
In Sanliurfa haben Dutzende Familien im Erdgeschoss des imposanten Hilton-Hotels Zuflucht gesucht. Dort ist vor allem eine unsichtbare, aber große Bedrohung durch das Erdbeben allgegenwärtig: der Hunger. Die Worte "Suppe" und "Brot" sind in aller Munde. Einige Kinder spielen, die meisten schlafen jedoch mit Kapuzen und Handschuhen auf dem Boden. Viele Eltern sind schon wach - oder immer noch.
"Wir sind gestern um 15 Uhr hier angekommen, das Hotel hat uns am Abend Suppe gegeben. Aber die Nacht ist vorbei: Wir sind hungrig und die Kinder auch", sagt der 42 Jahre alte Imam Caglar, Vater von drei Kindern. "Die Bäckereien werden heute geschlossen sein, ich weiß nicht, wie wir an Brot kommen sollen."
Essen aus der ein paar Straßen entfernten Wohnung zu holen, kommt für ihn nicht infrage. "Wir wohnen im ersten von drei Stockwerken, wir haben Angst, dorthin zurückzukehren", sagt er und schüttelt den Kopf. "Unser Gebäude ist überhaupt nicht sicher."
"Ein kleiner Teller Suppe"
Doch nicht nur Häuser sind betroffen. Ein Wintersturm hat die Straßen der Region nahezu unpassierbar gemacht. Viele Flughäfen in der Region sind derzeit gesperrt.
So gestaltet sich die Versorgung der Überlebenden in der abgelegenen Region schwierig. Das bekommt auch der 56-jährige Mehmet Cilde zu spüren. "Wir haben einen kleinen Teller Suppe bekommen, das ist nicht genug", sagt der Vater von sechs Kindern. Er hofft darauf, dass die Stadtverwaltung Mahlzeiten verteilen wird. "Aber wir haben keine Informationen, nichts."
Viele Menschen in der Region greifen daher zu radikalen Mitteln. Sie plündern Supermärkte auf der Suche nach Lebensmitteln, wie Bilder und Videos in den sozialen Netzwerken belegen. Mit großen Tüten oder vollgepackten Einkaufswägen laufen sie durch die Straßen.
"Immerhin ist das Wasser trinkbar"
Noch dramatischer ist die Situation für Filiz Cifci. Sie verpasste am Montag die Suppenausgabe. Die Mutter und ihre drei Kinder, die mitten in der Nacht nur mit drei Decken und ihren Telefonen aus ihrer Wohnung geflohen waren, verzichteten lieber auf eine Mahlzeit, als bei Wind und kaltem Regen anzustehen.
"Wir haben gestern Abend nur Tee und Kaffee bekommen, sonst nichts", sagt die 30-Jährige. Die Frau, die ein Kopftuch und eine lila Tunika trägt, sitzt in der Nähe der Toiletten des Hotels, wo Familien Trinkwasser erhalten.
Cifci weiß nicht, ob ihre Kinder in den kommenden Tagen genug zu essen haben werden. "Im Moment haben wir nichts als unsere Decken." Sie macht eine Pause. "Immerhin ist das Wasser hier trinkbar."
Quelle: ntv.de, Remi Banetm, AFP