Panorama

Land der geschlossenen Schulen Uganda kämpft mit seinem Corona-Rekord

Die Kinder einer ersten Klasse der Makindye Junior Grundschule in Kampala.

Die Kinder einer ersten Klasse der Makindye Junior Grundschule in Kampala.

(Foto: Simone Schlindwein)

Fast zwei Jahre waren die Schulen in Uganda wegen der Corona-Pandemie geschlossen, länger als in allen anderen Ländern weltweit. Jetzt läuft der Unterricht wieder, doch die katastrophalen Folgen der langen Pause sind noch immer zu spüren.

Vorsichtig öffnet Schuldirektor Isaac Ssempijja die Tür zum Klassenzimmer im ersten Stock der Makindye Junior Grundschule, hoch oben auf einem der Hügel von Ugandas Hauptstadt Kampala. 33 Erstklässler drängen sich darin auf den Bänken, dicht an dicht.

Die Lehrerin erklärt den Schülern gerade die Buchstaben. Mit Bleistiften malen die Kinder "W" in ihr Schulheft. In der letzten Reihe rammen sich zwei Jungs die Ellenbogen in die Rippen, sie kämpfen um jeden Quadratzentimeter Platz auf den Schulbänken. Social Distancing - Fehlanzeige.

Nach fast zwei Jahren, die die Schulen, Kindergärten und Universitäten in Uganda aufgrund der Corona-Pandemie geschlossen waren, gibt es in Uganda derzeit doppelt so viele Einschulungen. Ein enormes Problem, so Schuldirektor Ssempijja, weil die Grundvoraussetzungen so unterschiedlich seien. "Einige Erstklässler können schon etwas schreiben und lesen, die anderen können nicht einmal stillsitzen", erklärt er.

Nach zwei Jahren ohne Schule müssen die Lehrer derzeit mit den Kindern üben, "wieder zuzuhören, wieder sich zu konzentrieren, wieder aufnahmefähig zu werden", so Ssempijja. Er rechnet damit, dass es ein ganzes Schuljahr Zeit benötigt, bis die Kinder wieder auf den Stand der Konzentration zu bringen, die vor dem ersten Lockdown im März 2020 herrschte.

Zwei Jahre Schul-Lockdown

In keinem Land weltweit waren die Schulen aufgrund der Pandemie so lang geschlossen wie in Uganda. Die meisten der rund 15 Millionen schulpflichtigen Kinder in Uganda sind im März 2020, als die ersten Corona-Fälle im Land registriert wurden, nach Hause geschickt worden. Nach der ersten Covid-Welle hatten einige Schulen 2021 kurzzeitig wieder den Unterricht aufgenommen, vor allem für Abiturienten. Doch in den überfüllten Schlafsälen der Internate breitete sich das Coronavirus rasch aus, die Schulen wurden zum Seuchenherd. Da wurden sie rasch wieder geschlossen.

Bis zum Jahresbeginn 2022 hatten die meisten Schüler keinen Kontakt zu ihren Lehrern. Die Regierung hatte zwar per Fernsehen, Radio und Internet Fernunterricht angeboten, selbst in den Tageszeitungen waren täglich Mathematik- und Chemieaufgaben abgedruckt, doch nur die wenigsten hatten Gelegenheit, tatsächlich zu lernen.

In einem Land, in welchem 40 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt, war es nur wenigen Familien vergönnt, die Kinder zu Hause zu lassen. Uganda hat eine der jüngsten Bevölkerungen weltweit. Dreiviertel der Ugander sind unter 25 Jahre alt. Die Hälfte der 48 Millionen sind im schulpflichtigen Alter. Durch den monatelangen Lockdown verloren viele Eltern ihre Jobs. Die meisten Schüler wurden deshalb losgeschickt, um Geld zu verdienen: Betteln, Müll sammeln, kleine Jobs verrichten.

Was dies bedeutet, spiegelt sich nun in den Zahlen wider: Die Nationale Planungsbehörde hat festgestellt, dass fast 30 Prozent der 15 Millionen Schülerinnen und Schüler nicht in die Klassenzimmer zurückgekehrt sind, die meisten davon junge Mädchen. Nichtregierungsorganisationen melden: Die Zahl der Teenager-Schwangerschaften habe sich im vergangenen Jahr verfünffacht. Sie liegt nun bei über 640.000 Mädchen unter 18 Jahren, die schwanger sind oder bereits ein Kind geboren haben. Viele kirchliche Schulen weigern sich, diese Mädchen wieder aufzunehmen. Präsident Yoweri Museveni sprach ein Machtwort: Die Mädchen sollen zur Schule gehen dürfen.

Die meisten Schulen gingen pleite

Die zweijährige Schulschließung hat also extreme Langzeitfolgen. Das Problem: Ein Großteil der Bildungseinrichten im Land hat private Träger. Sie finanzieren sich durch Schulgebühren, die die Eltern zahlen. Sind die Schulen geschlossen, fließt kein Geld. Ausgaben wie Miete für das Grundstück, Wasser und Strom müssen aber dennoch beglichen werden. Die Folge: Die Mehrheit der Schulen ging schlichtweg pleite.

Um die Wiederaufnahme des Unterrichts Anfang des Jahres zu gewährleisten, hat das Bildungsministerium deswegen zahlreiche Direktiven erlassen. Ugandas Bildungsministerin Janet Museveni ist eine mächtige Frau: Sie ist die Gattin des Präsidenten, der seit 36 Jahren an der Macht ist. Landesweit wird die 73-Jährige deswegen "Mama Janet" genannt, die Mutter der Nation.

Es mag ihrer Rolle als Ehefrau geschuldet sein, warum die Schulen so lange geschlossen blieben. In Uganda, das mehr und mehr autoritär regiert wird, wagt kaum jemand in der Regierung, die Entscheidungen der Präsidentenfamilie in Frage zu stellen. Im Parlament gab es so gut wie keine Debatte darüber. Als der parlamentarische Bildungssauschuss im November eine Untersuchung anstieß, weigerte sich die Ministerin, ins Parlament zu kommen. "Es ist zweifellos, dass Gott mich in das Ministerium für Bildung und Sport versetzt hat und er mich benutzt, um die Bildung dieses Landes wieder aufzubauen, ungeachtet von Covid", sagte Janet Museveni damals.

Mit Rückendeckung ihres Ehemanns hat sie letztlich den Banken angeordnet, die Privatschulen nicht bankrottgehen zu lassen. Gleichzeitig wurden den Privat-Schulen verboten, die Gebühren zu erhöhen. Zahlreiche Banken verhökern derzeit die Schulden ihrer Schul-Klienten billig an Investoren. Staatliche Schulen bekamen eine Finanzspritze, um die Wiedereröffnung zu garantieren. Doch die Regierung ist ebenfalls pleite. Die umgerechnet rund 28 Millionen Euro reichten vielerorts nicht aus, die nötigen Reparaturen in den Klassenzimmern durchzuführen.

Keine Schnelltests erlaubt

Schuldirektor Isaac Ssempijja hatte Glück. Seine Grundschule liegt in einem Mittelklassebezirk in der Hauptstadt. Die rund 700 Schüler stammen aus finanziell stabilen Familien, die die Gebühren am Anfang des Jahres direkt begleichen konnten. "Ohne diese Gelder hätten wir den Betrieb nicht aufnehmen können", sagt er. Nach fast zwei Jahren, die seine Lehrer kein Gehalt erhalten hatten, musste er zuerst wieder Löhne auszahlen. "Sonst hätten meine Lehrer ihre eigenen Kinder nicht einschulen können", so Ssempijja.

Den meisten Schulen geht es nicht so gut. Nur drei Straßen weiter blieb das Hoftor der Pivot-Grundschule geschlossen. Das Dach des Verwaltungsgebäudes war in den Tropenstürmen eingestürzt. Es fehlt an Geld, es zu reparieren. Über 800 Kinder mussten sich eine neue Schule suchen. In den ländlichen Regionen außerhalb der Hauptstadt ist die Lage noch dramatischer. Jede dritte Schule blieb dort geschlossen. Mit über hundert Erstklässlern im Klassenzimmer platzen viele Schuleinrichtungen buchstäblich aus allen Nähten.

Doch Ssempijja macht sich auch Sorgen. Zwar seien alle seine Lehrer der staatlich verordneten Impfpflicht nachgekommen, doch die Corona-Lage sei nur schwer zu ermitteln, sagt er. "Wir hätten gerne regelmäßige Schnelltests für alle Schüler und Lehrer eingeführt", so der Direktor. Doch das Bildungsministerium hat dies ausdrücklich untersagt. Gesundheitsministerin Ruth Aceng erklärte zum Schulanfang im Januar die dritte Corona-Welle für beendet: "Die Schulen bleiben geöffnet", befahl sie: "Wir müssen anfangen, mit Corona zu leben."

Quelle: ntv.de

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