"Komm, Kleiner, spiel' mit mir!" VALIE EXPORT - Anfassen erlaubt


Die Künstlerin und ihr Partner, Peter Weibel, während der Aktion "Aus der Mappe der Hundigkeit". Der Mann als Hund am Gängelband der Frau - eine Provokation.
(Foto: VALIE EXPORT, VG Bild-Kunst, Bonn 2023)
Radikal, provokant und feministisch sind die Aktionen von VALIE EXPORT. Weniger bekannt ist ihr fotografisches Werk. Das wird jetzt mit einer Retrospektive in Berlin gefeiert und ist ebenso aufregend. ntv.de hat die unerschrockene Künstlerin getroffen.

Sieht sexy und provokant aus, VALIE EXPORT geht es aber um radikale Patriarchal-Kritik. Tattoos waren damals nichts für Frauen.
(Foto: Gertraud Wolfschwenger)
"Komm Kleiner, spiel mit mir", scheint der Blick zu sagen. Die Frau mit zerzausten Haaren kniet, hat den Kopf zurückgelegt. Dazu passt, dass die Künstlerin ihr Kleid am linken Bein lasziv anhebt. Ein Strumpfbandhalter blitzt hervor. Es ist ein Tattoo. Was so sinnlich daherkommt, ist knallharte Kritik am System. Für die Künstlerin VALIE EXPORT ist das Strumpfband ein Symbol für vergangene, weibliche Erotik, geschaffen von Männern für Frauen. Mit ihrer Retrospektive rockt die österreichische Künstlerin derzeit die Fotografie-Institution C/O Berlin. In der Eröffnungsnacht bildeten sich lange Schlangen, alle wollten ihr aufregendes, fotografisches Werk persönlich erforschen.
Gleich auf dem zweiten Foto begegnet EXPORT dem Publikum mit im Schritt ausgeschnittener Hose. Breitbeinig in "Männerpose" sitzt sie da, wieder dieser coole Blick, als ob diese Entblößung selbstverständlich ist. Auch hier ist sie kein Sexobjekt, sondern setzt ein feministisches Statement. Besonders im ersten Teil der Schau gibt es viel entblößte Haut, Nacktheit und immer wieder die freigelegte Scham von VALIE EXPORT. Der Grund dafür ist einfach – ihr Leib ist zugleich ihre Leinwand. Der Körper wird Bedeutungsträger für Normen und steht in vielen ihrer feministischen Arbeiten im Fokus.
Brüste anfassen
Mit ihren Aktionen und Performances ab Mitte der 1960er-Jahre entstaubte die gebürtige Linzerin ihre Heimat. Was regte EXPORT an diesem Land in jener Zeit so auf? " Dieses konservative und immer noch nationalsozialistisch orientierte Österreich", sagt die 84-jährige ntv.de im Gespräch. "Das Gedankengut war noch überall, in der Politik oder bei Rechtsanwälten, verankert. Heute ist das teilweise noch so, aber damals hat das der Kunst keine Luft zum Atmen gelassen. Wer Kunst machen wollte, musste die Traditionen fortsetzen." Sie aber will keine Bilder mit Pinsel und Farbe im Atelier erschaffen, sondern fühlt sich von den neuen Medien herausgefordert.

Der eigene Körper im persönlichen Einsatz: Fremde durften ihre Brüste berühren. Zunächst für 30 Sekunden, dann reduzierte sie auf zwölf.
(Foto: VALIE EXPORT, VG Bild-Kunst, Bonn 2023)
Draußen im öffentlichen Raum sprengt VALIE EXPORT Ende der 60er-Jahre die Grenzen der Malerei. Im "Tapp- und Tastkino" durften Fremde zwölf Sekunden lang ihre mit einem Karton abgedeckten Brüste antatschen. Ihren Lebensgefährten Peter Weibel, selbst Künstler und Medientheoretiker, führt sie wie einen Hund an der Leine durch Wien spazieren. Die Reaktionen der Leute auf diese "Hundigkeit" sei überraschend nett gewesen. "Die waren amüsiert, haben gelacht und gedacht, die gehen halt spazieren. In der Kunstszene wurde das Ganze eher eigenartig aufgenommen." Warum sind diese vergänglichen und längst ikonischen Aktionen heute auf Fotos zu sehen? "Ein befreundeter Kameramann hatte uns begleitet und die Bilder gemacht. Es ging aber nie darum, das zu publizieren", erzählt VALIE EXPORT.
Erst viel später fängt sie bewusst an, sich für Fotografie zu inszenieren, nimmt die Abbildungsprozesse und Medien auseinander. Aber auch das Bild von Frauen in der historischen Malerei interessiert sie. "Wie werden Maria, Heilige, Engel dargestellt und in welchem Zusammenhang stehen die Darstellungen von männlichen Figuren, welche Konnotation hätten wir heute dazu. Die Frauen sind Dienende, Beruhigende, Unterwerfende - die Männer hingegen werden als Kardinale oder Könige gezeigt. Sie haben im Gegensatz zu den Frauendarstellungen einen riesigen Output." Die Gesellschaft reglementiere und diszipliniere den weiblichen Körper schon immer.
EXPORT im MOMA

Die Performancekünstlerin sorgt immer wieder für Aufsehen, wie 1969 mit Aktionshose: Genitalpanik.
(Foto: VALIE EXPORT, VG Bild-Kunst, Bonn 2023)
Geboren als Waltraud Lehner, besucht sie nach der Matura die Kunstgewerbeschule in Linz. Als sie nach Wien kommt, legt sie den Namen ihres Vaters ab. Ihr Spitzname VALIE bleibt und EXPORT wird zum Nachnamen. Damit exportiere sie sich selbst und segelte aus dem sicheren Hafen hinaus, "außerdem konnte sich Export jeder gut merken", fügt sie lachend hinzu. Den Namen ließ sie als Marke schützen. Worte und Semiotik interessieren sie. Sprache ist für sie im Kontext des Feminismus wichtig, denn sie zementiert Machtverhältnisse. Zur Inspiration für ihre Arbeit liest sie haufenweise Lexika. "Ich habe einige durchgelesen, da finden sich bis heute Eselsecken und Lesezeichen", sagt sie.
1970 entstand ihr erstes fotografisches Selbstporträt, sie raucht und hält vor sich eine Zigarettenschachtel auf der VALIE EXPORT statt Smart Export steht. Die Schachtel hat sie selbst bearbeitet und nicht ohne Stolz fügt sie hinzu: "Dieses Unikat ist im Museum of Modern Art in New York ausgestellt." Fernab der Heimat in München oder London wird VALIE EXPORT zum Exportschlager. Lange Zeit konnte sie von ihrer Kunst nicht leben. Sie war Script Girl, Komparsin und begann eines Tages, mit Vorträgen durch die ganze Welt zu touren, das sicherte ein Einkommen. Seit 15 Jahren fährt sie endlich die Ernte ein. Aber es sei schon schmerzhaft, wenn die Anerkennung für die künstlerischen Positionen fehle, sagt sie.
Die Kunstszene in Wien sei eine Männerdomäne gewesen. Als sie 1960 in die Hauptstadt zog, gab es kaum Künstlerinnen, die unter die glatte Oberfläche schauten. Mutterschaft und die Rolle der Frau wurden nicht infrage gestellt. Auch nicht, was richtig und was falsch ist und vor allem, wer das sagt. Das vorhandene Rollenbild ist VALIE EXPORT zu eng, und sie bricht mit ihrer Arbeit permanent aus den tradierten Darstellungen aus. Als feministische Vorreiterin wurde sie belächelt, beschimpft, aber auch bedroht. Einmal sei sogar ihre Telefonnummer mitsamt einem Foto in einer Tageszeitung veröffentlicht worden. "Danach ging es rund", sagt sie. "Ich war ausgeliefert und es machte mir Sorgen, denn ich konnte nicht einschätzen, ob die nicht wirklich vor meiner Tür warten, wie sie am Telefon gedroht hatten."
Entwicklung geht rückwärts
Bei ihren Aktionen hingegen kannte sie keine Angst, sie sei in der Idee eingebettet gewesen, dass alles anders wird. In ihren kurzen Filmen hantiert sie radikal mit Messern, verletzt sich, übergießt ihre Hände oder Füße mit Wachs. Schmerz und Selbstverletzung will sie am eigenen Körper darstellen. "Das sollte weder masochistisch sein noch therapeutisch. Kunst hat für mich keinerlei therapeutische Funktion", erklärt sie. Ihre Kunst rüttelt durch Provokation auf, stellt weibliche Stereotype infrage, löst Emotionen und Debatten aus. Es geht um Emanzipation, Befreiung aus der patriarchalischen Gesellschaft. Damit schreibt sie sich tief in die Kunstgeschichte ein.
Hat sich die harte Arbeit gelohnt, hat sich alles zum Guten gewandelt? Einerseits habe man im feministischen Bereich viel erreicht, zeitgleich gibt VALIE EXPORT zu Bedenken, dass die Entwicklung wieder rückwärts gehe. "Wir leben in einer Zeit, in der wir alles tun, alle Grenzen einreißen können und divers sind. Aber diese Freiheit bedeutet auch, dass man uns noch mehr unterdrücken kann." Man dürfe nicht aus dem Blick verlieren, was für Gesetze gemacht werden, wohin sich manche Länder in Europa politisch entwickeln. Als Pionierin, resümiert sie, kann man nur einen Teil erreichen, rundherum sei doch noch die ganze Welt, die man nicht erreicht habe.
VALIE EXPORT. Retrospektive, noch bis zum 22. Mai, C/O Berlin, Amerika Haus, Hardenbergstraße 22-24, 10623 Berlin
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Quelle: ntv.de