"Er war auch bei mir zu Hause" Arrivederci, Francesco - die Welt steht Schlange für den Papst


Millionen Menschen trauern um Papst Franziskus. Das wird vor allem in Rom deutlich.
(Foto: Boris Roessler/dpa)
Schaut man auf den Petersplatz und die Menschenmassen, die sich im und um den Vatikan tummeln, hat man für einen Moment wirklich das Gefühl, Rom sei Caput Mundi - also die Hauptstadt der Welt. Gläubige, Pilger und Touristen erweisen dem Verstorbenen die letzte Ehre.
Erst gestern Abend erfuhr man, dass Obdachlose, Migranten, Transgender und Häftlinge Papst Franziskus morgen in der Basilica Santa Maria Maggiore, seiner letzten Ruhestätte, einen letzten Gruß an ihn richten dürfen. Sicher wird sich Rosanna freuen, auch wenn sie selbst nicht dabei sein kann. Gestern, unter den Kolonnaden des Petersplatzes sitzend, erzählte sie ntv.de: "Der Papst war auch bei mir zu Hause, zum Essen." Einen Moment lang überlegt man, ob das stimmen kann. Während man noch nachdenkt, fügt Rosanna hinzu: "Mit 'bei mir zu Hause' meine ich Sant' Egidio. Ich lebe dort schon seit vier Jahren." Sant' Egidio ist eine in Rom gegründete und heute in 70 Ländern verbreitete christliche Gemeinschaft, die sich vor allem Obdachlosen und Migranten annimmt. Franziskus stand ihr sehr nahe.
Sieben Uhr morgens. Die U-Bahn-Station Ottaviano spuckt Hunderte Menschen aus, alle mit demselben Ziel: Petersplatz, Basilika, Sarg mit Papst Franziskus. Bei den Vatikanischen Mauern angekommen, traut man aber seinen Augen nicht: Die Menschenschlange ist unendlich.
Er besuchte Kenia, jetzt besuche ich ihn
Für den Papst, der "vom anderen Ende der Welt kam", wie er selbst bei seiner ersten Rede sagte, steht die Welt Schlange. Man hört Portugiesisch, blickt sich um und sieht, an den kleinen Schleifen an den Rucksäcken, dass es Brasilianer sind. Mit schnellem Schritt bewegt sich eine Afrikanerin, ein Kleinkind auf dem Rücken tragend: "Ich komme aus Kenia", erzählt sie. "Dort hat Papst Franziskus uns 2015 besucht, und jetzt erweise ich ihm die Ehre." Auch ein junges Paar aus dem Iran steht geduldig Schlange. Die junge Frau erklärt: "Für uns ist es eine Frage des Respekts, sich von einem Toten zu verabschieden, gleich welcher Religion er angehört."
Eine Antwort, die Papst Franziskus sicher sehr gefreut hätte. Genauso wie die der kleinen Syra, die mit ihren Teenager-Freunden aus Kalabrien angereist ist. Auf die Frage in die Runde, wer eine besondere Erinnerung an Papst Franziskus hat, hebt Syra sofort die Hand und sagt: "Ich werde versuchen, mich an eine seiner Mahnungen zu erinnern, man sollte nie im Streit zu Bett gehen. Denn wer weiß, was die Nacht bringt."
Von den sogenannten "Mächtigen der Welt", die morgen auf dem Petersplatz der Trauerfeier beiwohnen werden, darunter auch US-Präsident Donald Trump, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj, kann man solch fundierte Überlegungen wohl nur schwer erwarten. Eher unwahrscheinlich ist es auch, dass es am Rande der Trauerfeierlichkeiten zu bilateralen, wenngleich informellen Treffen kommen könnte. Gerüchte dazu gibt es, diese werden aber auch immer wieder verneint. Man wird sehen.
Nutzt Italiens Rechte die Trauerfeierlichkeiten aus?
Politische Spannungen gibt es auch in Italien. Melonis Rechts-Mitte-Regierung hat nicht nur eine fünftägige Staatstrauer verordnet, sondern auch für "Mäßigung" bei den Zeremonien zum 25. April gemahnt. Dieser Tag ist in Italien Nationalfeiertag, man feiert die Befreiung vom Nazifaschismus. In manchen Gemeinden, die von Bürgermeistern der nationalpopulistischen Lega verwaltet werden, soll es auch verboten sein, das Lied "Bella Ciao" zu singen.
Aber zurück zu Papst Franziskus: Während sich die einen auf stundenlanges Schlangestehen vorbereiten, verlassen die Frühaufsteher schon wieder den Petersplatz. Wie Anita, eine ältere Dame. "Mein Mann hat mich heute Morgen so gegen 6 Uhr hierhergefahren. Zum Glück waren da noch nicht viele Leute, denn die Beine wollen nicht mehr so richtig." Auf die Frage, welchen Gedanken sie von Papst Franziskus im Herzen behalten wird, sagt sie: "Viele. Darunter auch seine letzte Geste: Er hat einer römischen Strafvollzugsanstalt für Minderjährige 200.000 Euro aus seinem privaten Vermögen hinterlassen."
Die Ordensschwester der Transvestiten
Für Rührung sorgte auch die Ordensschwester Geneviève Jeanningros aus Ostia, der man im Petersdom gewährte, etwas länger vor dem Sarg zu verweilen. Papst Franziskus soll dieser 82-jährigen Schwester des Ordens "Petit Soeurs de Jesus" den Spitznamen "Enfant terrible" gegeben haben. Ihr Bestreben und ihre Bemühungen galten schon immer den Prostituierten, den Transvestiten, den Mitgliedern der LGBTQIA+- Gemeinschaft.
Apropos gleichgeschlechtliche Beziehungen: Alice und Giulia kommen aus dem Veneto, sind Mitte 20 und ein Paar. Zusammen beten sie vor einem Muttergottesbild in der Basilika Santa Maria Maggiore. "Freilich hätte er viel mehr machen müssen für uns", sagen sie. "Aber immerhin hat er es versucht. Er hat gesagt, 'Wer bin ich, zu urteilen?'". Die Anspielung gilt dem deutschen erzkonservativen Kardinal Gerhard Ludwig Müller, der, von den Medien zitiert, darauf hinweist, keinen Häretiker zu wählen. Seiner Meinung nach sei Franziskus, was das Gleichgeschlechtliche, Frauen und den Islam betrifft, viel zu doppeldeutig gewesen.
Danke für die Duschen
Und das ist jetzt auch die Frage, die sich alle stellen: Was wird von Franziskus' vorgelebter Lehre und Barmherzigkeit bleiben? "Papst Franziskus hinterlässt einen enormen Nachlass, der nicht nur für das Kirchenvolk, sondern auch für die Gesellschaft, die Politik, die Wirtschaft wichtig ist", erklärt Monsignore Gian Carlo Perego. Er ist Erzbischof und Vorsitzender der Bischofskommission für Migration und der Stiftung Migrantes. "Seine erste Reise als Pontifex führte ihn auf die Insel Lampedusa, wo die Migranten stranden. Das Mittelmeer hat er als 'einen enormen Friedhof' bezeichnet und es vor dem EU-Parlament wiederholt."
Auch deswegen hat sich Franziskus' Ruf weit über alle Grenzen verbreitet, sagt der junge Don Mattia Ferrari, Seelsorger der NGO 'Mediterranea Saving Humans'. "Die Migranten in Libyen, die wirklich wie der letzte Abschaum behandelt werden, haben seine Liebe gespürt. Schon während seines Aufenthalts im Krankenhaus beteten sie für ihn. Wo immer sie sich auch befanden, ob in Libyen oder in Tunesien - er war für sie wie ein Vater, ein großer Bruder."
Und das auch für viele Sträflinge, an deren Seite er bis zu seinem letzten Atemzug stand. Zwar konnte er sich selbst nicht mehr niederknien und diesen am Rosendonnerstag die Füße waschen, dem Ritus wohnte er aber trotz allem in der Strafvollzuganstalt Regina Coeli bei.
Angelehnt an die Vatikanmauer, gleich beim Eingang zum Petersplatz, sitzen Constantin und Salvo. Constantin kommt aus Rumänien, Salvo aus Sizilien, sie sind beide obdachlos. Constantin ist sich nicht sicher, ob und wie lange die Lehre dieses Papstes überleben wird. "Ich bin ihm auf jeden Fall dankbar für die Duschen, die er für uns hat errichten lassen." Salvo ist da zuversichtlicher. "Wie ein Fluss wird auch Franziskus Botschaft in die Zukunft fließen." Zum Schluss sagen beide: "Arrivederci Francesco".
Quelle: ntv.de