"Aus Tarif- werden Staatslöhne" Arbeitgeber erwägen Klage gegen Mindestlohnerhöhung
21.02.2022, 14:09 Uhr
Aus dem Gesetzentwurf von Bundesarbeitsminister Heil geht hervor, dass sich etwa 6,2 Millionen Beschäftigte eine Gehaltserhöhung versprechen können.
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Unternehmer fühlen sich in ihrer Tarifautonomie angegriffen, wenn der Mindestlohn ab Oktober auf zwölf Euro steigen soll. Sie halten mehrere Aspekte für juristisch fragwürdig. Derweil rechnet die Bundesbank mit erhöhtem Lohndruck in allen Einkommensklassen.
Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) hält die zum 1. Oktober geplante Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf zwölf Euro für angreifbar, will aber noch keine juristischen Schritte ergreifen. "Es ist nicht beabsichtigt, jetzt in den nächsten Tagen vor das Verfassungsgericht zu ziehen", teilte BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter mit. "Wir möchten dem Gesetzgeber die Chance geben, seine Dinge zu korrigieren." Der Spitzenverband legte ein Gutachten des Göttinger Rechtsprofessors Frank Schorkopf vor.
Demnach wäre die von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil per Gesetz geplante Anhebung unter anderem angreifbar, weil die Mindestlohn-Kommission übergangen wurde und der Mindestlohn vor Ablauf der bisher üblichen Zwei-Jahres-Periode erhöht würde. Die Bundesregierung will am Mittwoch im Kabinett den Gesetzentwurf auf den Weg bringen, den Heil vor gut vier Wochen vorgelegt hatte.
Aus dem Entwurf geht hervor, dass sich davon etwa 6,2 Millionen Beschäftigte eine Gehaltserhöhung versprechen können. Derzeit beträgt der Mindestlohn noch 9,82 Euro. Am 1. Juli steigt der Stundenlohn auf 10,45 Euro. Das wäre der letzte Schritt einer vierstufigen Erhöhung, die die Mindestlohnkommission 2020 beschlossen hatte. Drei Monate später würde der Mindestlohn per Gesetz auf zwölf Euro steigen.
Scholz will Wahlversprechen erfüllen
"Wir attackieren nicht eine bestimmte Höhe eines Mindestlohns, (...) sondern wir haben sehr viel grundlegendere und prinzipielle Erwägungen, diesen Gesetzentwurf ausgesprochen kritisch zu sehen", sagte Kampeter. Er sprach von einem grundlegenden Angriff auf die Tarifautonomie: "Aus Tariflöhnen werden Staatslöhne." Das Rechtsgutachten sei ein Weckruf an die Verantwortlichen, den eingeschlagenen Weg zu korrigieren. Ein von der BDA ebenfalls in Auftrag gegebenes Gutachten zu arbeitnehmerrechtlichen Fragen stehe noch aus.
Die Erhöhung des Mindestlohns in einem Schritt auf zwölf Euro noch in diesem Jahr war ein Kernversprechen des damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz im Bundestagswahlkampf 2021. Auch die Grünen forderten dies, die FDP gab im Koalitionsvertrag ihre Zustimmung. Der gesetzliche Mindestlohn war 2015 mit 8,50 Euro eingeführt worden. Über seine Anhebung entschied bisher die Mindestlohnkommission aus Arbeitgebern und Gewerkschaften, die sich dabei an der Tariflohn-Entwicklung orientieren soll.
Der Rechtsgelehrte Schorkopf argumentiert, seinerzeit habe der Gesetzgeber eine Systementscheidung getroffen - für eine Anpassung des Mindestlohns durch die Kommission. Davon könne der Gesetzgeber nicht einfach wieder abweichen. Zudem werde im geltenden Gesetz ein Zeitraum von zwei Jahren definiert für Mindestlohnerhöhungen. Durch eine Anhebung zum 1. Oktober werde diese Frist um drei Monate unterschritten. Der Gesetzgeber "greift in die Speichen eines sich drehenden Rades hinein".
Lohn-Preis-Spirale könnte die Folge sein
Die Bundesbank rechnet in Zeiten erhöhter Inflation damit, dass sich die Arbeitnehmer einen größeren Schluck aus der Lohnpulle gönnen. "In der diesjährigen kleinen Tarifrunde für rund acht Millionen Beschäftigte könnten die günstigen gesamtwirtschaftlichen Perspektiven, zunehmende Arbeitsmarktknappheiten und hohe Inflationsraten zu spürbar stärkeren Lohnabschlüssen beitragen", heißt es in dem am Montag veröffentlichten Monatsbericht der deutschen Zentralbank.
Auch die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns dürfte laut den Volkswirten der Bundesbank den gesamtwirtschaftlichen Lohndruck verstärken. Dieser politische Eingriff in die Lohnfindung würde die Verdienste in den unteren Entgeltgruppen spürbar anheben und auch auf die darüber liegenden Segmente merklich ausstrahlen. Dadurch dürfte sich der Aufwärtsdruck verstärken. Wenn man die historischen Beziehungen zugrunde lege, seien die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen aber "wohl überschaubar". Allerdings sei nicht auszuschließen, dass in dem gegenwärtigen Umfeld sehr hoher Inflationsraten eine stärkere Überwälzung der Löhne auf die Preise erfolge.
Quelle: ntv.de, lve/rts